Sie bauen und bauen Brücken

Zum Band des Essaywettbewerbs „Die Brückenbauer – Junge Deutsche zwischen zwei Kulturen“

Ingeborg Szöllösi (HRSG.): „Die Brückenbauer. Junge Deutsche zwischen zwei Kulturen“. Essaywettbewerb. Metropol Verlag Berlin, 16 Euro

„Die Kinder von Aussiedlern, Vertriebenen, Flüchtlingen werden manchmal selbst zu Wandervögeln. Wenn auch nicht physisch heimatlos, bleiben sie oft von Heimat unbesiedelt.“ (S. 23) Diese Feststellung macht Kathrin Bartha, 1986 in Marburg geboren, deren Oma jedoch aus Siebenbürgen stammt. „Alles, was ich weiß ist, dass ich kein Deutscher bin“ (S.33), schreibt Johannes Breuninger, 1996 in Heilbronn geboren, dessen Eltern, von Wolga-Deutschen abstammend, in Kasachstan das Licht der Welt erblickt hatten. Ihnen ähnlich schildern 24 junge Erwachsene mit Verständnis und Nostalgie, erhobenem Finger und auch Humor ihr Dasein zwischen zwei (oder mehreren) Kulturen, das positiv ist, aber auch schmerzhafte Fragen nach der eigenen Identität aufwirft. Sie berichten über ihren Lebensweg, ihre Erfahrungen und die Lösungen, die sie fanden, um sich mehr oder weniger eine „Heimat“ zu schaffen. Es sind die 24 besten Texte, die für den von der Deutschen Gesellschaft e.V. Berlin (DG) Ende 2014 ausgeschriebenen Essaywettbewerb zur Frage „Sind auch Sie ein Brückenbauer?“ verfasst worden waren und die Dr. Ingeborg Szöllösi im Auftrag der DG herausgegeben hat.

Der Wettbewerb „Die Brückenbauer – Junge Deutsche zwischen zwei Kulturen“ hatte sich an junge Erwachsene gerichtet, deren Wurzeln im östlichen Europa liegen und verstand sich als Fortsetzung des 2013 stattgefundenen Wettbewerbs „Wie viel Heimat braucht der Mensch? – Auf der Suche nach einer Identität zwischen Russland und Deutschland“, so das von der Herausgeberin gezeichnete Vorwort. Prämiert wurden drei von einer Jury ausgewählte Essays, dank der sehr unterschiedlichen Herkunft der „Brückernbauerinnen und Brückenbauer“, sind jedoch alle eindrucksvoll und lesenswert. Die jungen Erwachsenen, ihre Eltern oder Großeltern stammen bzw. leben im Banat oder Siebenbürgen, Pommern oder Ostpreußen, Schlesien oder Böhmen, Ungarn oder dem Kosovo, Bosnien-Herzegowina oder Russland. Ihnen gemeinsam ist die deutsche Sprache und die Erfahrung eines „Lebens dazwischen“, eines „Anders Sein“, der Identitätskrisen und Selbstfindung.

Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass sie Brücken nicht bloß zwischen Kulturen bauen, sondern auch zu sich selbst. Eine Brücke bedeutet – so Marek Pollok, in Polen geboren, der die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland verbracht hat – immer auch ein „Zwischen“ und als „Zwischen“ bezeichnet er seine Muttersprache, sein Vaterland, seine Nationalität, seine Identität. „Nicht einschätzbar für andere zu sein und sich selbst nicht einordnen zu können. (...) Eine Belastung oder eine Bereicherung? (...) Die Wahrheit wird wohl im Zwischen liegen“, meint er (S. 93 ff). „Die Unterschiede sind kaum erkennbar und waren doch immer spürbar“ (S. 125) stellt Daniela Tulai-Depner fest, 1993 in Hamburg geboren, wo sie ihre gesamte Kindheit verbracht hat, deren Eltern aber aus Rumänien stammen, wohin sie 2007 zurückgezogen sind. War sie in Deutschland – trotz deutscher Staatsbürgerschaft – die Rumänin, ist sie nun in Rumänien die Deutsche. „Wenn ich in beiden Ländern eine Ausländerin bin, wo ist dann meine Heimat?“ fragt sie (eine Erfahrung, die auch Yvonne Varvara-Baier gemacht hat, S. 134). Tulai-Depner schließt optimistisch mit der Feststellung, dass Brückenbauer versuchen, die unterschiedlichen Kulturen als Einheit zu gestalten und führt als „bestes Beispiel eines Brückenbauers“ den Präsidenten Rumäniens Klaus Johannis an.

Mit dessen Wahl verbindet Rahel Türk-König, in Siebenbürgen geboren, wo sie mit den Eltern geblieben ist, neue Hoffnung für die deutsche Minderheit in Rumänien (S. 132) – aus der übrigens sechs der 24 Brückenbauer und Brückenbauerinnen stammen.

Zur Sprache kommen die Vorurteile und gängigen Klischees, das Bemühen von Eltern, die Kinder einsprachig zu erziehen, um nicht aufzufallen – Kinder, die sich dann mit der Oma aber nicht mehr verständigen können und sich die andere Sprache letztlich doch aneignen. Erwähnt wird das Verschweigen des Geburtsortes – um misstrauische Blicke oder eine sofortige Kategorisierung zu vermeiden. Was alle Essays kennzeichnet, ist die große Bereitschaft zu verstehen, zu verarbeiten, der Situation Positives abzugewinnen, eben Brücken zu bauen. Und diese jungen Erwachsenen tun das. Sie bieten Modelle, wie unterschiedliche Kulturen zusammenfinden und in derselben Person vereint werden können, jetzt, wenn das Thema aktueller ist denn je.