„Sie schwimmt wie eine Moräne mit“

Zum Workshop „Geschichte des Nationalsozialismus in Siebenbürgen“

Prof. Dr. Paul Philippi und Prof. Dr. Andreas Möckel führten mit ihren Zeitzeugenberichten in die Tagungsthematik ein.

Wir wissen noch viel zu wenig. Das war sowohl das Motiv als auch die Schlussfolgerung von Dr. Ulrich A. Wien, dem Initiator und Hauptorganisator des Internationalen Workshops „Geschichte des Nationalsozialismus in Siebenbürgen/Rumänien“. Stattgefunden hat die Tagung am 11. und 12. September in Landau, wo Wien, der Vorsitzende des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde e.V. (AKSL), der akademische Direktor des Instituts für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau ist. Die Problematik des Nationalsozialismus in Rumänien und insbesondere bei den Siebenbürger Sachsen von Wissenschaftlern erneut aufgreifen zu lassen, dazu hatte der Sozialpädagoge Prof. Dr. Andreas Möckel gedrängt, nachdem sie vor drei Jahren auf der in Bad Kissingen veranstalteten Tagung mit dem Titel „Die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft in Rumänien von 1920 bis 1980 – Kontinuitäten und Diskontinuitäten“ angesprochen worden war. In den vergangenen rund 30 Jahren erschienen zur NS-Zeit in Rumänien einige Bücher mit kontroversen Forschungsergebnissen, die unterschiedlichen Aspekte und Facetten der Thematik sind jedoch genauso wenig erfasst, wie die zugänglichen Quellen ausgewertet worden sind.

Die bevorstehende Edition der Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien aus den Jahren 1919-1944, die der Religionswissenschaftler Dirk Schuster und der Kunsthistoriker Timo Hagen unter der Leitung von Dr. Wien in einem Projekt am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau vorbereiten, boten den Anlass für den Workshop. Veranstaltet wurde er von den Sektionen Zeitgeschichte und Kirchengeschichte des AKSL, dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Universität München (IKGS) und dem oben erwähnten Projekt und hatte in der Firma Frühmesser (Landau) einen Förderer.

Am Programm des eineinhalbtägigen Workshops standen zwei Zeitzeugenberichte und zehn Vorträge. Profitiert haben „von den eindrücklichen Zeitzeugenberichten, von den breit recherchierten Archivstudien bis hin zu den differenzierten Analysen und Überblicksdarstellungen alle voneinander“, so Dr. Wien. „Wir hatten nachdenkliche, engagierte Diskussionsrunden, sogar mit weiteren Zeitzeugen oder deren indirekter Präsenz durch deren Kinder. Die Atmosphäre war geprägt von wacher Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber den Fragestellungen und den vorgestellten Informationen und Analysen, selbst und gerade wenn es zu Kontroversen kam.“ Einmal mehr wurde deutlich, wie wichtig die Aufarbeitung (auch) dieser schmerzvollen Zeit ist, die im Bewusstsein vieler von in der Nachkriegszeit gestreuten Mythen und Rechtfertigungen besetzt ist. Die vorgestellten Beiträge werden 2016 in einem Themenheft der „Spiegelungen“ (des IKGS) veröffentlicht.

        Die Zeitzeugen

Begonnen hat der Workshop mit den beiden Zeitzeugenberichten: Prof. Dr. Andreas Möckel, 1927 in Großpold/Apoldu de Sus geboren, sprach reflektiert über den Jugendbund, den Südostdeutschen Wandervogel, die Jugend-Arbeitslager, den Missbrauch der „halben Kinder“ durch die völkische Bewegung und sodann die bereits nationalsozialistisch geprägte Deutsche Jugend. Als Schüler der Honterusschule hat er erlebt, wie sich der christlich-liberale Geist ab 1941 änderte, die Klasse wurde zum „Jungzug“, es wurde marschiert, braune Hemden wurden getragen, es wurde mit „Heil Hitler!“ gegrüßt. Die NS-Bewegung schmeichelte den Halbwüchsigen, der Konformitätsdruck war enorm. Er spürte die Erregung der Erwachsenen angesichts des Krieges und Stalingrad und dass sie die Exponenten der Deutschen Volksgruppe in Rumänien verachteten, aber: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Erwachsener gewarnt hätte, halt dich raus“. Und: „Warum fehlte es an Protest und erschien die politische Anlehnung an Nazi-Deutschland als alternativlos?“, fragte er. Im Januar 1945 wurde auch er zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Damals habe er über die Denkkriterien nicht verfügt, um beurteilen zu können, was geschehen war, meinte er.

Aus seinem Erleben und den Erwägungen auf dem Weg von der Schulbank über das „völkische Dienstjahr“ zur Waffen-SS sprach sodann der 1923 in Kronstadt/Braşov geborene Theologe, Historiker und Politiker Prof. Dr. Paul Philippi. Er berichtete über die Indoktrination der Schüler durch den „Führer des Jungvolkes“ der Deutschen Volksgruppe. Fast alle 18-Jährigen wollten an die Front, denn den Krieg betrachteten sie als „notwendiges Übel“, dem man sich stellen muss. Er hatte Bedenken, in die Armee eines fremden Staates einzutreten und wollte im rumänischen Heer dienen, was der Volksgruppenführer jedoch ablehnte. Prof. Dr. Philippi bewies das mit der Kopie des seinerzeitigen Schreibens. Der Wunsch, als „Deutsche unter Deutschen anerkannt zu werden“, die Deutschland-Gläubigkeit aber auch das gespannte Verhältnis zum rumänischen Staat führten dazu, dass sich die meisten jungen Männer der Musterung (mehr oder weniger freiwillig) stellten. Berichtet hat Philippi vom „Rabaukentum“, das bei der SS herrschte, dass die Waffen-SS als „kämpfende Truppe“ wahrgenommen wurde und ihre Beteiligung an Verbrechen ihnen erst später bekannt geworden ist. Es müsse als politische Schuld betrachtet werden, dass die rumäniendeutsche Gemeinschaft sich die Volksgruppenführung hat aufoktroyieren lassen, doch sei es ungerecht, den von der Schulbank Rekrutierten Schuld zuzuweisen, dass sie in der Waffen-SS gedient haben, so Philippi.

           Die Forscher

Die Reihe der wissenschaftlichen Vorträge leitete der designierte IKGS-Direktor Dr. Florian Kührer-Wielach ein, der über die Rahmenbedingungen der politischen Radikalisierung im Rumänien der Zwischenkriegszeit sprach. Wenige Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war ein überregionales „deutsches Volksbewusstsein“ nur bei der recht dünnen Schicht an einschlägigen Aktivisten präsent, doch griff eine stetig wachsende Desillusionierung über die neuen staatlichen Verhältnisse um sich (auch bei den andersnationalen „Neurumänen“ infolge der Vereinigung von 1918), sodass sich letztlich der Volkstumsgedanke in seiner radikalsten Form durchgesetzt hat. Anhand der Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Kirche referierte danach Timo Hagen (Uni Heidelberg) über die Kooperation der Landeskirche mit der völkischen Bewegung bis 1933. Er kam u. a. zum Schluss, dass die Machtübernahme durch Vertreter dieser Bewegung in der Kirche nicht an unüberbrückbaren Differenzen, sondern vielmehr an der Machtelite in der Kirche scheiterte, die nicht gewillt war, die Macht abzugeben.

Dirk Schuster (Uni Potsdam) ging in seinem „reflektierenden Vortrag“ (U. Wien) der Frage nach, warum die Evangelische Kirche A.B. dem Nationalsozialismus gegenüber so anfällig war, d. h. Fragen nach den Hintergründen der „Selbstnazifizierung“ der siebenbürgischen Landeskirche. Bekanntlich trat sie 1941 dem 1939 in Eisenach gegründeten Förderkreis des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ bei und gründete anschließend gar eine eigene Abteilung in Siebenbürgen. Auf die schrittweise „Selbst-Gleichschaltung“ der Evangelischen Landeskirche ging Dr. Ulrich A. Wien ein, der diese anhand des Verständnisses von Kirche und Politik bei den Bischöfen Viktor Glondys und Wilhelm Staedel darstellte. Nach einer anfänglichen Ablehnung kommt es 1938 zu einem „Konkordat“ (U. Wien) zwischen Kirche und nationalsozialistisch geprägter politischer Vertretung der Rumäniendeutschen, der 1941 zum Bischof bestimmte Staedel ordnet die Kirche dann der SS-gesteuerten Volksgruppenführung unter und gibt sie ihr preis, sagte Wien.

Die Darstellung der Haltungen, Entwicklungen und schließlich Gleichschaltung in den anderen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens leitete der an der Hermannstädter Lucian-Blaga-Universität wirkende Historiker Dr. Corneliu Pintilescu ein. In seinem Vortrag mit dem Titel „Wer gegen uns ist, ist gegen das Reich” ging er auf die in der siebenbürgisch-sächsischen landwirtschaftlichen Presse der Jahre 1935-1944 verbreitete NS-Propaganda ein, ein äußerst wichtiger Sektor, da rund 80 Prozent der Siebenbürger Sachsen damals Bauern waren. Über die Beteiligung der deutschen Volksgruppe an der Arisierung von jüdischen Immobilien und Unternehmen sprach die Verfasserin dieser Zeilen und kam zum Schluss, dass es die von Antonescu betriebene Rumänisierungspolitik war, die den Arisierungsansprüchen Grenzen setzte und auch eine Gleichschaltung der „deutschen Volkswirtschaft“ mit den Interessen des Dritten Reiches erfolgt ist.

Der Klausenburger Historiker Dr. Ottmar Traşcă stellte die Kooperation von Mitgliedern der Deutschen Volksgruppe mit dem Informationsnetz des Sicherheitsdienstes Ausland in Rumänien und deren Beobachtung durch den rumänischen SSI (Serviciul Special de Informaţii) vor. Ob denn der Volksgruppenführer Andreas Schmidt Rückhalt bei den „Volksdeutschen“ hatte – ihm war nämlich die Intensivierung der SD-Tätigkeit zuzuschreiben – wurde Traşcă gefragt. Großen Rückhalt hatte er nicht, antwortete der Historiker, Andreas Schmidt hatte auch zahlreiche Gegner, aber eine Opposition ist in den Unterlagen nicht festzustellen. Unter dem Titel „Von der Banatia zur Prinz-Eugen-Schule“ referierte der Historiker Dr. Stephan Schüller (Uni Mainz) über das Banater deutsche Schulwesen von 1918 bis 1944 und ging dabei auf die in drei Phasen vollzogene Übergabe der römisch-katholischen Schulen im Bistum Temeswar/Timişoara an die Deutsche Volksgruppe im Jahr 1942 ein. Anders als in Siebenbürgen geschehen, behielt die katholische Kirche das Eigentumsrecht über die Gebäude und der Bischof die Kontrolle über den Religionsunterricht. In einer kurzen Übersicht ging Hansgeorg von Killyen (Freiburg) auf die Einstellung siebenbürgisch-sächsischer Ärzte zum Nationalsozialismus ein.

Im Abendvortrag machte die Literaturhistorikerin Dr. Michaela Nowotnick (Humbold Universität, Berlin) den Spagat von rumäniendeutschen Autoren, die in ihren Werken die nationalsozialistische Zeit thematisieren, zu Schriftstellern, die in jener Zeit publiziert haben. Adolf Meschendörfer, Erwin Wittstock und Heinrich Zillich gehörten zu den Autoren, die zum Dichtertreffen mit Joseph Goebbels geladen waren. Sie standen nicht im Dienste der NS-Propaganda, doch haben sie sich von dieser vereinnahmen lassen und vom System profitiert. Eine Behandlung bzw. Auseinandersetzung mit der NS-Zeit hat es auch bei den zunehmend in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelten rumäniendeutschen Autoren nicht gegeben – wie zum Beispiel bei Anna Seghers in der DDR – sie begann erst nach 1990, so Nowotnick. Diskutiert wurde – auch im Kontext der Literatur – über die Begriffe „völkisch“ und „nationalsozialistisch“, die nicht gleichzusetzen sind. Der „völkische Nationalismus“ transportiert in seiner modernen Variante einen rassistischen Volksbegriff – und der wurde unkritisch in das Selbstverständnis auch bei den Rumäniendeutschen übernommen, konnte festgestellt werden. Ein passendes Bild lieferte Dr. Andreas Möckel: Er bezeichnete das „Völkische“ als „Einstiegsdroge in den Nationalsozialismus“ und meinte: „Es schwimmt bei uns wie eine Moräne mit.“