Streit um Deutungshoheit

Seit dem 28. Oktober tobt ein Krieg zwischen den ewiggestrigen Rechtsradikalen Rumäniens (Gruppierungen der orthodoxen Kirche, Nostalgiker des Rechtsextremismus, „Kampfgruppen“ der Nationalisten usw.) und einem Journalisten sowie zwei Historikern, die eine festgefahrene und den National-Faschisten genehme Meinung erschütterten.
William Totok, ein probater Erforscher der Securitate-Archive (jener Securitate, die ihn in seiner Studentenzeit fast neun Monate ohne jede Anklage und Prozess hinter Gittern hielt), führte für Radio France International ein Gespräch mit dem Historiker Mihai Demetriade, der für das Dokumentationszentrum CNSAS, bei den Securitate-Archiven, als Staatsangestellter arbeitet. Demetriade dementiert in diesem Gespräch (nachzulesen in der jüngsten Ausgabe der Wochenschrift „22“) die gängige Meinung, dass die Opfer des „Experiments Pitești“ (auch „Phänomen Pitești“) voll und ganz als tragische Opfer der Schergen des Kommunismus zu betrachten seien. Dort mussten sich die Häftlinge im Rahmen der „Umerziehungsmaßnahmen“ des Regimes gegenseitig foltern, bis sie nur noch Folterer, also „umerzogen“ und daher „neue Menschen“ waren.

Demetriade sagt im Totok-Interview, dass die Opfer der einzigartigen Folter-Rohheit nicht ausschließlich als Opfer bezeichnet werden können. Da es sich fast durchwegs um Mitglieder der „Legion des Erzengels Michael“ handelte, also um rechtsextreme „Legionäre“, waren sie mit Folter und Foltermethoden vertraut, folterten sich also gegenseitig unter „ihrem Legionärsinstinkt“. Demetriade verwendet den Begriff nicht, lässt ihn aber durchblicken. Bis zu einem gewissen Grad haben sie also den Status von Tätern oder Komplizen des kommunistischen Regimes, so der Historiker. Die Gefängnisverwaltung schuf den adäquaten Rahmen für die Ent-Fesselung dieser Instinkte. Die Frage stellt sich auch, ob Eugen Țurcanu, der damalige Gefängnischef, Kommunist war (1945 trat er dem Kommunistischen Jugendverband UTC bei, 1947 wurde er Parteimitglied) oder Legionär (ab 1940 war er Mitglied der Kreuzbruderschaften). Was Demetriade suggeriert, ist nicht neu, weist Gabriel Andreescu nach (dazu publizierten bereits Horváth Ŕndor oder Michael Shafir, von dem die Formel stammt „die Opfer sind nicht so recht Opfer“; und auch Totok spricht in seiner wohlrecherchierten Studie „Zwischen Mythos und Bagatellisierung“ von der Relativierung des Opferstatus und den verschwommenen Grenzen zwischen Legionären/Faschisten und Kommunisten).

Kurz nach Veröffentlichung des Gesprächs nimmt Mădălin Hodor, ebenfalls Historiker und Forscher am CNSAS, auf Facebook seinen Kollegen gegen den einsetzenden Shitstorm der Rechtsextremen in Schutz. Seither spricht man vom „Fall Demetriade-Hodor“, dem, subtil oder grob, immer wieder auch Totok beigefügt wird. Sie und der sie in Schutz nehmende Alexandru Florian, Direktor des rumänischen „Elie Wiesel“-Instituts, werden als „Juden“ oder „Verjudete“ beschimpft und sind bereits mehrmals mit dem Tod bedroht worden (Totok bekam einen Morddrohungsbrief – nicht zum ersten Mal – von den „Söhnen des Avram Iancu“, einer rechtsextremen Organisation mit Zweigstellen auch in Deutschland), wobei die Phantasie der Dreckschleuderer keine Grenzen kennt. Zu den namhaften Gegnern der These von den „Nicht-Ganz-Opfern“ gehören, mit Argumentationen, Marius Oprea (der Standpunkt der beiden unterscheide sich kaum von jenem des berüchtigten Foltergenerals der Securitate Nicolschi), Sorin Lavric und der ominöse Dan Puric. CNSAS distanzierte sich von der Meinung seiner Historiker, einige der Spitzenforscher wiederum vom CNSAS-Kommuniqué. Das Institut für die Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus und das Gedenken an das rumänische Exil (ICCMER) sprach von „intellektuellem Vandalismus“. Mehrere Mitglieder des Führungsgremiums gingen auf Distanz.
Es tobt ein Krieg um die Deutungshoheit des „Experiments Pitești“. Ungeklärtes lässt Raum für Streit. Intellektueller Streit kann klären.