Temeswarer Intellektuelle wenden sich an Europäische Kommission

Im Kulturhauptstadt-Verein brodelt es weiter: „eine besorgniserregende Entwicklung“

Der EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport, Tibor Navracsics, der rumänische Minister für Kultur und Nationale Identität, George Ivașcu, der Bürgermeister der Stadt Temeswar, Nicolae Robu, und der Vorsitzende des Temescher Kreisrates, Călin Dobra, sind die Empfänger einer von vielen Temeswarer Persönlichkeiten verfassten Denkschrift, die vor der „besorgniserregenden Entwicklung des Kulturhauptstadt-Vereins“ warnt. Gleichzeitig werden mehrere Sofortmaßnahmen gefordert, um die Vorbereitungen für das Jahr 2021 wieder in gelenkte Bahnen zu bringen und der Vergeudung einer Gesamtsumme von 48 Millionen Euro vorzubeugen.

Die 77 Unterzeichner haben sich zu einer „Reflexions- und Initiativgruppe Temeswar Europäische Kulturhauptstadt“ zusammengeschlossen, ihr gehören unter anderen die Journalistin Brândușa Armanca, der Historiker Vasile Docea, der Vorsitzende des Jazz-Banat-Vereins, Marius Giura, der Filmregisseur Florin Iepan, die Kunstkritikerin und Galerieinhaberin Sorina Jecza, der Maler Silviu Oravitzan, die Kunstkritikerin und Professorin Ileana Pintilie, der Karrikaturist Ștefan Popa-Popas, die Maler Ciprian Radovan und Valeriu Sepi, der Komponist Ilie Stepan, der Archäologe Alexandru Szentmiklosi, der Architekt Romeo Szorad, der Publizist Robert Șerban, die Kunstkritikerin und Professorin Alexandra Titu, der Publizist Marcel Tolcea, der Regisseur Andrei Ujică, die Kunsthistorikerin Rodica Vârtaciu und der Schriftsteller Daniel Vighi an. Zahlreiche Vereine aus fast allen Kulturbereichen, Inhaber von Kunstgalerien und Reiseagenturen, der Verein „Societatea Timișoara“ und der Verein der Studenten der West-Universität zählen ferner zu den Unterzeichnern.

Ähnlich lang ist die Liste der Vorwürfe, die die Autoren der Denkschrift gegen den Kulturhauptstadt-Verein erheben: Eineinhalb Jahre, nachdem der Stadt der Titel einer europäischen Kulturhauptstadt verliehen wurde, drohen die Vorbereitungen im Sand zu verlaufen. Der Verein habe sich eingeigelt, wichtige Mitarbeiter, die an der Vorbereitung der Kandidatur maßgeblich teilgenommen hatten, seien inzwischen abgesprungen. Die Zivilgesellschaft habe an der Vereinstätigkeit keinen Anteil, fünf Mitglieder des leitenden Vereinsgremiums hätten sich zurückgezogen, ohne dass bisher andere Persönlichkeiten hinzugewonnen werden konnten. Selbst der Ehrenvorsitzende des Vereins, der ehemalige Direktor der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, sah sich zum Rücktritt gezwungen.

Wie die ADZ Anfang des Jahres berichtete, scheinen sich die Geister vor allem an der Person des künstlerischen Vereinsleiters Chris Torch zu scheiden. Vereinsleiterin Simona Neumann habe Torch zum künstlerischen Leiter ernannt, ohne das vorgeschriebene Auswahlverfahren zu befolgen. Die Ernennung von Torch soll eine Entscheidung im Alleingang gewesen sein, der Mann sei jedoch ungeeignet. Er und sein Team hätten bislang nicht überzeugend erklären können, warum der Verein den Ankauf teurer Produktionen aus dem Ausland der Unterstützung lokaler Künstler vorzieht. Ein weiterer Zankapfel ist die Mitgliedschaft des Gatten von Simona Neumann, Professor Dr. Victor Neumann, im leitenden Vereinsgremium, der die Arbeit von Simona Neumann überprüfen soll. Für die Unterzeichner der mehrseitigen Denkschrift soll es sich hierbei um einen eklatanten Interessenkonflikt handeln.

Ferner habe der Verein Finanzierungen für Projekte einiger der Mitglieder des leitenden Gremiums genehmigt, ein weiteres Beispiel eines Interessenkonflikts. 2017 habe man eine Million Euro ausgegeben, ohne dass darüber ein entsprechender Rechenschaftsbericht vorgelegt werden konnte. In der Stadt sei der Eindruck entstanden, dass der Verein vor allem für Organisationen und Unternehmen von außerhalb eine Plattform bietet, sodass diese schnell und einfach an Finanzierungen herankommen können. Dies sei jedoch nicht der Zweck der Sache. In der Denkschrift heißt es dann weiter, dass der Verein anscheinend keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen will, kein Aufnahmeantrag wurde bislang angenommen, da man angeblich auf die für diesen Monat angesetzte Wahl eines neuen Vorstandes warten wolle. Das bedeute natürlich, dass man den potenziellen neuen Mitgliedern nicht die Chance geben will, an den Vorstandswahlen teilzunehmen und ihre Stimme abzugeben. Gravierend sei unter anderem auch die Tatsache, dass einer der angeblich unabhängigen Experten, die die Vereinstätigkeit prüfen sollen, einem Brüsseler Verein vorsitzt, dem sowohl Chris Torch, als auch Simona Neumann angehören. Es bestünden somit erhebliche Zweifel an der Objektivität jedweden Prüfverfahrens.

Da der Verein seine Glaubwürdigkeit eingebüßt habe, müsse man sich die berechtigte Frage stellen, wie die Temeswarer Öffentlichkeit nun Landes- und Kommunalbehörden überzeugen kann, ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Verein und der Stadt sach- und zeitgerecht nachzukommen. Deshalb fordern die Verfasser der am Mittwoch vorgelegten Denkschrift die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliedervollversammlung, die Gründung eines Beirates, der vor allem ein transparentes Auswahlverfahren für die Besetzung der leitenden Posten innerhalb des Vereins in die Wege leiten soll, sowie die sofortige Erstellung eines Aktionsplans und eines Haushaltsentwurfs, die bis Ende 2019 gelten sollen und auf deren Grundlage Projekte für die erste Hälfte des kommenden Jahres ausgeschrieben werden können. Der Kreisrat und die Stadtverwaltung werden des Weiteren aufgefordert, ihr Vertrauen in die gegenwärtige Leitung des Kulturhauptstadt-Vereins im Hinblick auf die dargestellten Risiken zu überprüfen.

Vereinsleiterin Simona Neumann reagierte auf die schweren Anschuldigungen gelassen. Der Lokalpresse erklärte sie, die Kritik sei keineswegs außergewöhnlich oder unerwartet. Sie käme von Personen, die die Leitung des Vereins übernehmen wollen. Nach Eingang der Denkschrift bei der Europäischen Kommission werde diese sicherlich Erklärungen fordern. Diese habe man bereits geliefert, auch auf lokaler Ebene, sagte Neumann und verwies auf die drei Treffen, die bisher stattgefunden haben und in deren Mittelpunkt eben diese Kritik stand. Der Verein werde in diesem Jahr einer Verjüngungskur unterzogen, aber alles geschehe nach einem bereits beschlossenen Zeitplan. Ein Problem sei aber weiterhin die Finanzierung, dieses Jahr sei bislang kein Leu in die Vereinskasse geflossen, weder von Stadt und Kreis, noch von der Regierung.