Umkämpfte Häuser

Ganz gleich, ob Bukarest, Brüssel oder Berlin: Der Wohnungsmarkt ist extrem angespannt

Arbeiten in Kleingruppen vor dem unabhängigen Kulturzentrum Casa Tranzit, das sich seit 1998 in einer ehemaligen Klausenburger Synagoge befindet. Fotos: die Verfasserin

Klausenburger Roma, Aktivisten und Studierende arbeiten gemeinsam an Lösungen der Wohnungskrise.

Oft scheint es purer Zufall zu sein, wer eine bezahlbare Unterkunft findet – und wer aus dem Zentrum verdrängt wird. Bei allen regionalen Unterschieden ähneln sich die Ursachen für Wohnungskrisen in einigen Ländern. Grund genug, um Expertinnen, Interessierte und Aktivisten aus ganz Europa für eine Bürgerversammlung zum Thema „Wohnungsgerechtigkeit“ zusammenzubringen. 

11. Juni, Klausenburg/Cluj-Napoca: In der Hauptstadt Transsilvaniens ist bezahlbarer Wohnraum rar. Darum überrascht es nicht, dass sich an diesem Sonntagmorgen trotz des gleichzeitig stattfindenden Filmfestivals TIFF eine bunt gemischte Gruppe von rund 50 Aktivistinnen, Studierenden und Experten in einem Kulturzentrum eingefunden haben. Sie alle wollen als „Transnational Citizen Assembly for Housing Justice“ über heiß begehrte Sozialwohnungen und die Herausforderungen des Wohnungsmarkts diskutieren. 

Die Konferenz wurde von der Klausenburger Stiftung Desire organisiert und ist Teil einer ganzen Reihe von innovativen Bürgerversammlungen. Diese sogenannten TransEuropa Assemblies (TEA) finden in wechselnden Ländern statt. Ihr Ziel: Dass bei den Europawahlen im Jahr 2024 auch genau die Sorgen thematisiert werden, die zahlreiche europäische Bürgerinnen und Bürger täglich umtreiben und dennoch nicht genug politische Aufmerksamkeit bekommen – wie das Thema Wohnen. 

Ungleichheit und verschärfte Gesetze 

An diesem Sonntag wird es schnell politisch. Wohnraumaktivistinnen und -aktivisten aus fünf verschiedenen europäischen Städten schildern ihre Erfahrungen zwischen Räumungsaktionen, Protest und bürokratischen Hürden. „Brüssel ist eine reiche Stadt mit extrem vielen armen Einwohnern. Aber der kapitalistische Markt hat kein Interesse daran, die Wohnungskrise zu lösen“, berichtet Andreas, der sich mit der belgischen Organisation „Action Longement Bruxelles“ für sozialen Wohnungsbau in Belgien einsetzt. 

Auch in Paris werden Menschen mit niedrigem Einkommen immer weiter aus der Stadt verdrängt, erzählt die Aktivistin Stella von der französischen Organisation „Droit Au Logement“. Und: von staatlicher Seite werden diejenigen, die Wohnraum am dringendsten nötig haben, zunehmend kriminalisiert. „Fehlender Wohnraum wird als individuelles Problem behandelt. Wer ein Haus besetzt, kann dafür im Gefängnis landen“, erzählt sie. Damit geht Stella auf das sogenannte „Anti-Squat“-Gesetz ein, ein neues französisches Gesetzesvorhaben, das am 14. Juni 2023 vom französischen Senat verabschiedet wurde und in Zukunft wohnungslose Hausbesetzer zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und bis zu 30.000 Euro Strafe verurteilen kann.  Der Aktivist Peter von der Berliner Initiative „STOP Zwangsräumungen“ sieht in Gesetzesvorhaben wie dem französischen eine große Gefahr: „Jetzt haben andere Länder eine Vorlage für vergleichbare Gesetzestexte“, warnt er. Während die Lebenshaltungskosten und Energiepreise beinahe überall in Europa explodieren und die wenigsten Gehälter mit der Inflation mithalten können, werde das Recht auf Wohnraum auch in Städten wie Berlin oft nicht gewährleistet. 

Ressentiments gegen Roma: Nicht nur ein rumänisches Problem 

Der aus Portugal angereiste Aktivist Anselmo von der Lissaboner Organisation „Habita“ wiederum unterstreicht, wie sich die Situation in seinem Heimatland durch den zunehmenden Tourismus massiv verschärft hat. „Seit 2015 wurde Lissabon zum trendigen Reiseziel für viele digitale Nomaden. Ehemals günstige Nachbarschaften sind jetzt touristische Hotspots mit einer Airbnb-Wohnung neben der anderen“, erzählt er. Außerdem spiele Rassismus von Vermietern gegenüber schwarzen Portugiesen und Roma eine große Rolle. Damit wird diesen Bevölkerungsgruppen der ohnehin schon schwere Zugang zum Wohnungsmarkt zusätzlich verbarrikadiert. 

Struktureller Rassismus und Klassismus sind laut Aussage des Bukarester Aktivisten Misha von „Frontul Comun Pentru Dreptul La Locuire“ auch in Rumänien entscheidende Faktoren. „Der Wohnungsbau wird dem freien Spiel des Immobilienmarktes überlassen. Dadurch verschärft sich der Wettbewerb um die wenigen bezahlbaren Wohnungen ausgerechnet zwischen denjenigen, die sie am dringendsten brauchen”, erklärt er. Räumungen von informellen Siedlungen werden laut seinen Ausführungen von einem Großteil der Bevölkerung mit Desinteresse gestraft, solange es sich dabei um Roma handele. Gleichzeitig seien diese Räumungen oft nicht angekündigt, verlaufen zunehmend gewaltvoll und bieten Wohnungsaktivisten kaum Spielraum, um die Betroffenen zu unterstützen.

Eine reiche Stadt, die die Schwächsten nicht schützt

Dass die Bürgerversammlung ausgerechnet in Klausenburg stattfindet, ist kein Zufall. Auch hier hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in den letzten Jahren massiv verschärft. „Bald wird das Zentrum von Cluj voller Touristen, aber ohne Einwohner sein“, sagt George von der Initiative „C²{i Sociale ACUM!“ resigniert. Als größtes Problem sieht er dabei, dass sich keine politische Partei das unpopuläre Wohnungsthema auf die Fahnen schreiben möchte – erst recht nicht ein Jahr vor den rumänischen Wahlen. „Wir befinden uns hier in einer der reichsten Städte Rumäniens. Dennoch gibt es immer weniger bezahlbaren Wohnraum, weil man mit dem Thema keine Wahlen gewinnen kann“. Die Kulturstadt, die weit über die rumänischen Landesgrenzen hinaus für prestigeträchtige Musikfestivals wie „UNTOLD“ und „Electric Castle“ bekannt ist, biete viel zu wenig Sozialwohnungen für den erforderlichen Bedarf an, während mancherorts Häuser in Privatbesitz leer stehen. 

Dass es auch anders gehen kann, zeigt das Beispiel des Veranstaltungsorts der Konferenz, das Casa Tranzit. Direkt am Ufer des Flusses Someșul Mic gelegen, wurde die ehemalige „Poalei Tzedek“-Synagoge im Jahr 1998 zum ältesten unabhängigen Kulturzentrum der Stadt umgewandelt. Damit ist sie heute ein Vorzeigebeispiel, wie eine kaum genutzte Immobilie zu einem soziokulturellen Hotspot werden kann. An der Fassade künden zwei Davidsterne und Ornamente in Form des siebenarmigen Leuchters noch vom religiösen Hintergrund des Gebäudes, mittlerweile komplettiert durch graphische Bemalungen und moderne Kunstinstallationen. Doch laut dem Klausenburger Aktivisten George ist das eine der wenigen Ausnahmen und das Casa Tranzit ebenfalls durch steigende Mietpreise in seiner Existenz bedroht. 

Nicht nur politisches Desinteresse gegenüber sozialen Fragen wird kritisiert. Einige Konferenzteilnehmende erzählen von der explizit rassistischen Einstellung einiger Stadtoberer gegenüber Roma. „Vor ein paar Jahren mussten für eine Sozialwohnung noch drei Seiten Formulare ausgefüllt werden. Heute besteht der Antrag aus 15 Seiten, höhere Bildungsabschlüsse werden positiv bewertet, mehrere Kinder im Schulalter dagegen nicht“, führt der Sozialbauaktivist George aus. Da statistisch gesehen unter den Klausenburger Roma-Familien die Bildungsabschlüsse eher niedrig und die Kinderzahl hoch ist, sieht er in diesen städtischen Vorgaben einen Beleg für deren Diskriminierung. 

Räumungen und Ausgrenzung

Großangelegte Räumungen von informellen Siedlungen haben in der Vergangenheit für heftige Diskussionen gesorgt – und auch international Schlagzeilen gemacht. Im Dezember 2010 mussten 76 Roma-Familien ihre Wohnungen in der damaligen Coastei-Straße im zentral gelegenen Klausenburger Stadtteil Mărăști räumen. Die rund 320 Personen wurden nach Pata Rât am Stadtrand umgesiedelt, direkt neben die größte offene Müllkippe Rumäniens.

„Es gibt keine Sanitäranlagen, keinen Strom, kein Internet und es stinkt fürchterlich, weil die Müllhalde so nah ist“, beschreibt Linda Greta Zsiga die katastrophalen Umstände. Auch ihre Familie gehörte zu denjenigen, die von der Coastei-Straße nach Pata Rât umgesiedelt wurden. „Diese Erfahrung hat mich zur Aktivistin werden lassen, denn wir Roma werden nach wie vor diskriminiert und unsere Menschenrechte verletzt.“ Neben Zsiga sind mehrere Angehörige der Roma-Community aus Pata Rât bei der Konferenz vor Ort und erzählen von ihrem oft ergebnislosen Kampf für bessere Lebensbedingungen. 

Die 28-jährige Maria Stoica hat den größten Teil ihres Lebens in Pata Rât verbracht. Seit sie selbst Mutter geworden ist, sind die Umstände für sie immer schwerer auszuhalten: „Nicht einmal Tiere sollten in einem solchen Umfeld wohnen. Überall ist Müll und wer weiß was für Bakterien – ich will nicht, dass meine Kinder so aufwachsen müssen“, sagt sie. Darum setzt sich Stoica für bessere Wohnbedingungen ein und unterstützt Mitglieder aus ihrer Nachbarschaft, wenn diese an den komplizierten Sozialanträgen scheitern. Seit der großangelegten Räumung im Jahr 2010 hat sich in Klausenburger ein Netz an Aktivistinnen und Aktivisten gebildet. Ein Klageverfahren gegen die Stadt, in dem die Räumungen und derzeitigen Lebensbedingungen der Roma von Pata Rât angeprangert werden, läuft derzeit noch.

Gemeinsam für eine gerechtere Zukunft

Auf der Bürgerversammlung für Wohngerechtigkeit wird es nach all dem Input am Nachmittag praktisch: In Kleingruppen diskutieren die Teilnehmenden die Probleme, Ursachen und Auswirkungen der Wohnungskrise in Klausenburg und sammeln mögliche Lösungsansätze – auch mit Blick auf die Beispiele aus anderen europäischen Städten. Alle Ergebnisse werden im Plenum zusammengetragen und sollen in den kommenden Wochen im sogenannten „Klausenburger Manifesto für Wohngerechtigkeit“ münden. Ein Manifest, das an alle Abgeordneten des Europaparlaments verschickt werden soll.

Am späten Abend verlassen erschöpfte, aber auch bestärkte Grüppchen das Gelände des Casa Tranzit. Man ist sich einig, dass der Austausch bei aller Resignation über die aktuellen Bedingungen gut getan hat, dass die Vernetzung motiviert. Denn ob es sich um eine Romni aus Pata Rât oder einen Berliner Hausbesetzer handelt: Der Kampf für das Recht auf Wohnen eint alle.