Vergessene Dakerfestung Piroboridava

Siedlungskontinuität von der Bronzezeit bis heute

Wenn man an Dakerfestungen denkt, dann meist an steinerne Verteidigungsanlagen, die auf schwer zugänglichen Gipfeln thronen, umgeben von megalithischen Steinwällen, dem „murus dacicus“, mit den typischen Löchern zur Befestigung der hölzernen Wehrgänge... Oder an Sarmizegetusa als hehres Ziel des römischen Kaisers Trajan, der sich mit dessen Eroberung Zugang zu dakischem Gold, zu lebenswichtigen Salzvorräten und einem strategischen Ort für die Kontrolle der Region erhoffte. Piroboridava, die größte aller bislang entdeckten Dakerfestungen, erfüllt keines dieser Kriterien. Weder hatte sie militärische Zwecke, noch wurde sie jemals von den Römern erobert, obwohl archäologische Funde darauf hinweisen, dass sie sich auch dort aufgehalten haben. Heute weiß man: Piroboridava war einst das bedeutendste Handelszentrum der Daker für Import und Export südlich und nördlich der Donau. Und noch mehr: Mindestens seit der Bronzezeit ist der Ort lückenlos bewohnt.

Geschichte einer Tonscherbe

Poiana, Landkreis Galatz/Galaţi. Die Kamera schwenkt über einen unauffälligen Hügel am Ufer des Siret. Nichts deutet auf die einstige Bedeutung dieses Ortes hin. Nichts gibt es hier zu sehen – außer Gras, Sand und Natur. Doch auf einmal ertönt das Getrappel von Hufen, Holzhäuser auf Steinfundamenten wachsen wie Pilze aus dem Boden – das Bild der Vergangenheit überlagert sich dem heutigen Sein. Im Film „Povestea unui ciob de lut“ (Geschichte einer Tonscherbe) erwacht Piroboridava zum Leben... Am 10. Dezember wurde der von der Technischen Hochschule für Theater- und Filmkunst in Tecuci unter Regie von Viorel Costea produzierte Dokumentarstreifen über die geto-dakische Siedlung erstmals im Bukarester Bauernmuseum gezeigt. Ein Film von Bedeutung, so Museumsdirektor Virgil Niţulescu anlässlich der Premiere, der Piroboridava als eine der wichtigsten archäologischen Stätten identifiziert. Über 100 Jahre lang, seit 1913, wurde dort gegraben, zu den ersten Archäologen zählen bekannte Namen wie Vasile Pârvan oder Radu und Ecaterina Vulpe. Das Filmprojekt will der Öffentlichkeit vor allem bewusst machen, dass diese größte zivile Ansiedlung auf rumänischem Gebiet lückenlose Kontinuität demonstriert: von der frühen Bronzezeit, vielleicht sogar dem Paläolithikum, bis zur Gegenwart. Geto-dakische Ansiedlungen hingegen wurden in sechs Schichten gefunden, vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 1. Jahrhundert danach.

Eine freie Handelsstadt

Aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen ist dies jedoch bis heute kaum bekannt. Das Buch „Piroboridava – eine geto-dakische Ansiedlung“, das Radu Vulpe seinerzeit zusammen mit Silvia Teodor aufgrund seiner Ausgrabungen verfasste, ist aus Bibliotheken und Buchhandel längst verschwunden, obwohl es 2003 mit dem Akademiepreis ausgezeichnet wurde. Allenfalls in Antiquariaten kann man es mit viel Glück aufspüren. Akademiemitglied Alexandru Vulpe, Sohn des berühmten Archäologen, erklärt anlässlich der Premiere: „Auf die dakische Zivilisation gibt es nur wenige historische Hinweise. Doch durch archäologische Grabungen wurden sie bestätigt oder ergänzt.“ Allerdings wurden viele Forschungsergebnisse bis heute nicht veröffentlicht. Neben Herodot gehört der Ägypter Claudius Ptolemäus zu den wenigen antiken Quellen, die Piroboridava erwähnen. Nachdem ein Papyrus entdeckt worden war, der auch die Tagesordnung einer römischen Einheit beschrieb, wusste man, dass die Stadt zumindest noch existierte, als die Römer bereits einen Teil Dakiens besetzt hatten. Doch fand man in Piroboridava keine römischen Waffen und keine Objekte, die auf eine römische Eroberung schließen ließen. Die Ansiedlung war, soviel war bald klar, auch nach den dakisch-römischen Kriegen eine freie Stadt geblieben! Indessen zeugten zahlreiche Gegenstände – auch römischen Ursprungs – von ihrer Bedeutung als Handelszentrum in der Region. Man vermutet, dass in Piroboridava alle Handelswege zwischen griechischen Festungen im Süden, römischen im Westen und dakischen Festungen im Norden zusammenliefen. Warum die Festung dennoch im ersten Jahrhundert nach Christus verlassen wurde, bleibt unklar.

Eine Art gesichertes Nobelwohnviertel

Zu den wichtigsten archäologischen Entdeckungen gehören ein filigraner Ring, auf dem die Göttin Minerva auf einem von zwei Rössern gezogenen Wagen thront, und eine einfache dakische Tasse, die der Form nach einzigartig auf der Welt ist. Steinerne Brennöfen für Töpferwaren, Gefäße, Münzen, Armreifen, dakische Waffen und zahlreiche weitere Objekte lassen auf ein hochentwickeltes ziviles Leben schließen. Das Fragment einer getöpferten, beschrifteten Vase zeigt, dass von den Dakern griechische und lateinische Buchstaben verwendet wurden. Die Festung selbst kann man sich als durch einen Erdwall gesichertes Nobelwohnviertel vorstellen, umgeben von weiteren Ansiedlungen.Tatsächlich ist die ganze Gegend übersät mit Hügelgräbern, die so mancher lokale Einwohner, sofern sich eines auf seinem Grundstück befindet, als Außenkeller missbraucht. Bedauerlich ist, dass die Funde aus Piroboridava über verschiedene Museen verstreut sind. Nirgendwo wird die zusammenhängende Geschichte der Festung erzählt, kein Besucherzentrum vor Ort erweckt sie zum Leben. Aus Mangel an Fonds, wie allseits argumentiert wird, gibt es keine einzige seriöse bibliografische Dokumentation, kritisieren auch die Autoren des Films. So bleibt von dem bedeutendsten Handelszentrum der Region nur eine Geschichte – die „Geschichte einer Tonscherbe“, die der Film erzählt.