Vertragsverletzungsverfahren wegen Forstfrevel

EU reagiert auf die Beschwerde dreier Umweltschutzorganisationen

Der Bestand an Natur- und Urwäldern in Rumänien wird auf 525.000 Hektar geschätzt.Dem unermesslichen illegalen Holzschlag der letzten Jahre nach zu urteilen, den die Behörden tatenlos hinnehmen, ist dieser Bestand in akuter Gefahr.

Drei Umweltschutzorganisationen – Clientearth, Agent Green und die Stiftung Euronatur – haben 2019 erneut Beschwerde eingereicht bei der Europäischen Kommission in Brüssel „wegen illegaler Abholzungen der letzten Urwälder Europas in den rumänischen Karpaten“. Und diesmal hat die EU geschaltet und rechtliche Schritte angekündigt gegen die Behörden Rumäniens, die illegale Abholzungen dulden. Denn trotz jahrelanger wilder Abholzungen mit Duldung und sogar Genehmigung der rumänischen Behörden gibt es in den Karpaten immer noch „eine Waldwildnis, wie man sie in weiten Teilen Mitteleuropas seit dem Mittelalter nicht mehr kennt”, schreibt Euronatur in einem Kommuniqué aus Brüssel. Und diese muss vor der Forstmafia geschützt werden.

Die rechtlichen Schritte von Brüssel kommen nach Jahren von Warnungen seitens der Umweltschutzorganisationen, „da die rumänischen Behörden es systematisch und dauerhaft unterlassen, die letzten Naturwälder Europas zu schützen.“ Die drei Umweltschutzorganisationen hatten 2019 einmal mehr „die fortschreitende und vorsätzliche Zerstörung Zehntausender Hektar geschützter Natur- und Urwälder in Rumänien” angeprangert. Sie brachten Beispiele dafür, wie das Forstmanagement Rumäniens „in geschützten Natura-2000-Gebieten Kahlschläge durchführt“ – u. a. auf weiten Arealen des Semenik-Bergstocks im Südbanat – „ohne die Auswirkungen auf diese einzigartigen Gebiete angemessen zu prüfen“. Das sei „ein Verstoß gegen EU-Recht“, wird in der Beschwerde zu Recht behauptet, der darin bestehe, dass „adäquate und strategische Umweltprüfungen vor der Bewilligung von Fällungen in Schutzgebieten” einfach nicht durchgeführt werden, aber auch, dass durch die Forstbehörden zu „Umweltinformationen“ durch Abschottung „mangelnder Zugang“ gewährt werde.

Die drei Umweltschutzorganisationen begrüßen folglich den Vorstoß Brüssels zum Start eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Rumänien als „neuen Hoffnungsstrahl für den Schutz der Naturwälder des Landes.“ Dazu die Anwältin von Clientearth, Ewelina Tylec-Bakalarz: „Die Waldzerstörung in Rumänien ist ein riesiges systematisches Problem weit größeren Ausmaßes als im Falle der illegalen Kahlschläge im polnischen Bialowieza-Urwald, die wir dort vor drei Jahren zum Gegenstand unserer Beschwerde gemacht haben. Die rumänische Regierung hat es wiederholt versäumt, ihre Verpflichtungen zum Schutz der Wälder nach einer Reihe von europäischen Umweltgesetzen zu erfüllen. Mit der Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Rumänien setzt die Europäische Kommission ein klares Signal, dass sie dieses Problem sehr ernst nimmt. Dies ist eine wichtige Warnung, dass Rumänien aufhören muss, seine gesetzliche Verpflichtung zum Schutz dieser einzigartigen Wälder eklatant zu missachten.“
Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer der Stiftung Euronatur und in den vergangenen Jahren zu einem exzellenten Kenner der Problematik der Urwälder der rumänischen Karpaten avanciert, ergänzt die Anwältin: „Rumänien beherbergt noch mehr als 500.000 Hektar Alt- und Primärwälder, auch wenn seit dem EU-Beitritt 2007 schon riesige Flächen abgeholzt wurden. Natura-2000-Schutzgebiete sind sogar zu Hotspots der Fällungen geworden. Das EU-Recht wurde und wird weitgehend ignoriert. Das Einschreiten der EU-Kommission kommt daher in letzter Minute und wir rufen dringend dazu auf, den Prozess schnellstmöglich durchzuführen, da er die einzige wirkliche Chance ist, einen sehr großen Anteil von Europas letzten großen Naturwäldern zu retten. Sie sind die Heimat von vielen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten und sie speichern enorme Mengen an Kohlenstoff.“

Der Hauptexponent von Agent Green, Gabriel Păun, der durch spektakuläre Protestaktionen in den Karpaten wiederholt ins Blickfeld der Medien geraten ist – und auch wiederholt zur Zielscheibe der brutalsten Exponenten der rumänischen Holzmafia wurde – meint: „Nehmen Sie als Beispiel einen einzigen Kahlschlag von 3700 Hektar im Natura-2000-Schutzgebiet der Marmarosch – das ist die Gegend, wo der Förster Liviu Pop im vergangenen Herbst von Holzdieben ermordet wurde. Das Gebiet ist größer als die Innenstadt von Brüssel. Es schaut heute aus wie ein Schlachtfeld. Wir haben in und um dieses Schutzgebiet Zehntausende Hektar Kahlschläge dokumentiert, selbst in prioritär bedeutenden Lebensräumen der Eschen- und Erlenbestände. Diese Wälder waren die Heimat von Wölfen, Bären und Luchsen, aber auch von vielen anderen Wildtieren. Es ist nicht zu fassen, dass mindestens fünf Millionen Festmeter Holz im Wert von 250 Millionen Euro einfach verschwunden sind, und das allein von jenen Kahlschlägen, die wir in diesem Gebiet dokumentiert haben. Dasselbe passiert im Fogarascher Gebirge in den Südkarpaten, dem beliebtesten Waldgebiet des Karpatenraums. Aber ausnahmslos auch in anderen Natura-2000-Gebieten. Diese Taten geschehen sowohl in staatlichen als auch in privaten Wäldern. Die Lage ist völlig außer Kontrolle!“

Agent Green, Clientearth und Euronatur rufen die Regierung Rumäniens dazu auf:
1. unverzüglich die Einhaltung der EU-Naturschutzrichtlinien zu veranlassen;
2. alle verbliebenen Ur- und Naturwälder gemäß der PRIMOFARO-Studie in Natura-2000-Gebieten strengstens zu schützen;
3. auch die Ur- und Naturwälder außerhalb von Natura-2000-Schutzarealen unter wirksamen Schutz zu stellen und
4. Einschlagpläne und Bestandsaltersdaten (also die Forsteinrichtung) aus allen Waldmanagementplänen von Natura-2000-Arealen zu veröffentlichen.

Im Rahmen des gegen Rumänien eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens wegen illegalen Holzeinschlags in den Natura-2000-Schutzgebieten ergreift die EU-Kommission auch rechtliche Schritte gegen Rumänien. Geahndet werden soll das Versäumnis, die EU-Holzverordnung (EUTR) ordnungsgemäß umzusetzen, indem zugelassen wird, dass illegal geschlagenes Holz auf den EU-Binnenmarkt gelangt. „Die rumänische Regierung ist jetzt verpflichtet, der Europäischen Kommission binnen einem Monat eine detaillierte Stellungnahme abzugeben“, schreiben die drei Umweltschutzorganisationen. „Die Kommission wird danach entscheiden, ob sie weitere Schritte unternimmt und den Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringt, vor das höchste Gericht der EU.“ Rumänien hat noch schätzungsweise 525.000 Hektar (potenzielle) Natur- und Urwälder. Das ist mehr als jeder andere EU-Mitgliedsstaat – ausgenommen Skandinavien. Die obenerwähnte PRIMOFARO-Studie (von PRIMary and Old-growth Forest Areas of Romania), ausgeführt von Agent Green und Clientearth, zeigt aber auch, wie rasch die Waldzerstörung voranschreitet. Es gibt zahlreiche rumänische zivilgesellschaftliche Gruppen, die dagegen ankämpfen und versuchen, dem illegalen Holzfällen Einhalt zu gebieten. Doch die Lage in den rumänischen Karpaten ist außer Kontrolle. Selbst die offizielle staatliche Forstinventur zeigt, dass neben den 18 Millionen Kubikmetern legal gefällten Holzes allein zwischen 2009 und 2013 rund 8,8 Millionen Kubikmeter PRO JAHR, und zwischen 2014 und 2018 sogar 20,6 Millionen Kubikmeter pro Jahr illegal eingeschlagen wurden.