Vom Zahlenvirtuosen Ramanujan bis zur String-Theorie

Zwei namhafte Physiker und ein glänzender Vortrag in Temeswar

Prof. Dr. Peter Freund (links) stellt Prof. Dr. Jeffrey Harvey von der Universität Chicago vor.
Foto: Zoltán Pázmány

Professor Peter Freund, einem Freund und Mäzen der Temeswarer akademischen Welt, ist es zu verdanken, dass Prof. Dr. Jeffrey Harvey vom Enrico-Fermi-Institut der Universität Chicago am Montag in einem Hörsaal der West-Universität Temeswar vor den Professoren der Physik-Fakultät gestanden ist. Professor Harvey ist auf seinem Gebiet ein Name, den man mit großen Lettern schreibt. Prof. emerit. Dr. Peter Freund ist ebenfalls ein namhafter Physiker und ein gebürtiger Temeswarer, der 1956 als Student gegen den Kommunismus demonstriert hat und schließlich dem Regime entkommen ist. In Wien hat er promoviert und war danach jedoch vorwiegend in den USA, an der Universität Chicago tätig, wo er zu einem Pionier des sogenannten „dualen Modells“ wurde, aus dem die „String-Theorie“ hervorgegangen ist. Eine umstrittene Theorie, die die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik vereint, und in letzter Zeit immer mehr Anhänger unter den Wissenschaftlern findet. Und die sich mit der Frage befasst: Was, wenn die Welt nicht aus punktförmigen Elementarteilchen, sondern aus „Strings“ („Fäden“ oder „Saiten“) besteht? Schwingende, eindimensionale Energiefäden also und keine punktförmigen Grundbausteine der Materie und des Universums.

Seit Jahren schon pflegt Professor Freund seine Beziehung zur Geburtsstadt und der hiesigen akademischen Welt und vermittelt dank seiner internationalen Verknüpfungen mal der West-Universität, mal der Technischen Universität einen – im akademischen Jargon – „Keynote-Speaker“ (darin besteht Professor Freunds Mäzenatentum). Im Herbst an der TU Temeswar, jetzt an der West-Universität, beim neunten „Erwin Schrödinger“-Vortrag an der hiesigen Physik-Fakultät, einer Vortragsreihe, die vom Internationalen Institut für Mathematische Physik „Erwin Schrödinger“ in Wien gesponsert wird.

Ein Genie krempelt die Welt um

Und Professor Harvey setzte sich in seinem Vortrag, der ihn zu „Bosonen“, „Schwarzen Löchern“ und „Umbral Moonshine“ (das gar nichts mit dem Mondschein zu tun hat) führte, und vor allem zu Verknüpfungen zwischen Mathematik und Physik in der String-Theorie, mit einer romantisch klingenden, aber durchaus wahren Geschichte auseinander:
Ein Inder hat vor hundert Jahren mathematische Formeln in einem genialen Einfall aufgeschrieben, die heute die String-Theorie unterstützen. Srinivasa Ramanujan war Buchhalter, verfügte über keinen Uni-Abschluss und hätte eigentlich die Masern nicht überleben können, wie das die Statistiken im Indien seiner Zeit, aber auch das Schicksal seiner Geschwister besagen. Ramanujan hat begonnen, Formeln aufzuschreiben, und schickte sie schließlich an namhafte Mathematiker nach Großbritannien. Zunächst nichts als Absagen. Bis die Briefe bei Godfrey Harold Hardy, einem Cambridge-Professor, ankamen. Der sie anfangs zur Seite schob, dann überflog, schließlich sich ihrer annahm, um sich  dann mit steigendem Interesse hineinzuarbeiten. Und Ramanujan nach Großbritannien einzuladen, denn mittlerweilen wusste Hardy: „Diese Formeln konnten nur von einem Mathematiker der höchsten Klasse geschrieben worden sein. Sie müssen wahr sein, denn wären sie es nicht, könnte niemand sie erfinden“. Zwischen 1914 und 1918 haben die beiden mitten im Ersten Weltkrieg eine wissenschaftliche Arbeit nach der anderen veröffentlicht. Was damals auf dem Cambridge-„Zauberberg“ entstand, ist heute immer noch sehr wertvoll.

Das Klima und die englische Diät machten Ramanujan gesundheitlich zu schaffen, er musste England verlassen. Noch ein Jahr überlebte er, schrieb wundervolle Formeln, auf denen sich der Jahrzehnte-Staub absetzte und deren Schönheit und Funktionalität erst viel später entdeckt werden konnten. Es entstanden über 100 Seiten von dem, was man als Ramanujans letztes oder verschollenes Tagebuch kennt. Dieses wurde von seiner Witwe 1919 an einen indischen Mathematiker weitergegeben. Von Hand zu Hand, von Mathematiker zu Mathematiker weitergereicht – insgesamt sieben Besitzer – kam es schließlich in die Obhut der Wren-Bibliothek in Cambridge, wo es bis 1968 fast begraben schien, als ein Wissenschaftler es unverhofft entdeckte. Noch ein paar Jahre später machten die Formeln Karriere in der String-Theorie.
Und standen jetzt auch auf der Slide-Show vor den Augen des Temeswarer Auditoriums.