Was bleibt, ist das Lachen des Wassermanns

„Bewegungen eines nahen Bergs“, Dokumentarfilm-Poesie von Sebastian Brameshuber

Zwei Männer, über eine Motorhaube gebeugt: Wie viel werden diese Teile wohl bringen, fragt der eine. Sie verkaufen sich nicht schlecht, meint der andere. Du bekommst dafür einen Teller Reis und einen Fisch. Leicht ironisch fügt er an: Das ist das Gute in diesem Land. Wer nicht arbeitet, isst auch nicht. Verhaltener Humor schwingt in der Unterhaltung der beiden Nigerianer mit, während sie in einer riesigen Halle Autowracks für den Verkauf in der Heimat ausschlachten.

Bis auf wenige solcher Begegnungen – und das Feilschen mit lokalen Kunden, das den gesamten Film dominiert – ist Cliff stets allein. Die trostlose Halle, in der er seinen Alltag bestreitet, liegt nahe an einem Berg in den österreichischen Alpen. Aus der Ferne sieht er manchmal den Bewegungen beim Erzabbau zu.

„Bewegungen eines nahen Bergs“ heißt der mehrfach prämierte Film (Cinéma du Réel, Vienna International Film Festival, Diagonale Graz etc.) von Sebastian Brameshuber, eine österreichisch-französische Koproduktion (2019), in der es um Integration und Untergrundgeschäfte geht. Der 1981 in Gmunden, Oberösterreich, geborene Regisseur tritt damit zum 13. internationalen Wettbewerb „One World Romania“ an (27. August, 20.15 Uhr, Manasia Hub).

Auf den ersten Blick gibt es darin keine Sozialkritik. Nichts lädt zu einer engagierten Diskussion, etwa über Intoleranz oder Rassismus, ein. Die wenigen Konversationsfragmente lassen solche Probleme allenfalls vage erahnen. Der Film überwältigt stattdessen durch die Tristesse der Einsamkeit, Isoliertheit, Fremdheit des Haupthelden inmitten der Menschen, die ihn sowohl in seinem Dasein in Österreich als auch auf der Reise nach Nigeria umgeben.

Winter, Sommer, Regen, Sonne. Die Jahreszeiten kommen und gehen. Das Leben von Cliff bleibt monoton. Schrauben, Abmontieren, Verpacken. Ankauf, Verkauf, Feilschen. Träume? Sie deuten sich minimalistisch an. Das Mädchen sieht nett aus, sagt er zu seinem Landsmann, als sie auf dem angrenzenden Gelände einer Gruppe beim Paintballspielen zusehen und überlegen, ob sie Offizierin sein könnte. Statt einen Blick auf das bunte Treiben zu erhaschen, verbleibt der Zuschauer mit dem Haupthelden in dessen trostlos grauem Leben. Kochen, Wäsche, Körperhygiene. Alles geschieht auf der von Rissen durchzogenen Betonplatte in, vor oder hinter der Halle. Der improvisierte Grill, der Wassereimer, der Zaun als Wäscheständer. Der einsame Mann, der seinem Tagewerk mit stoischer Ruhe nachgeht, in sein Schicksal ergeben. Die Einfachheit könnte manchmal romantisch wirken, wäre da nicht das ziehende Fehlen von Nähe, von menschlichen Gefühlsregungen. Es deutet sich nur einmal zaghaft an. „Miki“, ruft der Mann fast zärtlich, stellt einen vollen Teller auf den Boden und geht weiter. Als die Katze unter dem Auto hervorkriecht, ist er weg.

Die Langatmigkeit der Szenen beginnt zu schmerzen. Wann passiert endlich irgend etwas? Endlos zieht sich die Gegenwart hin, wie ein Kaugummi an der Schuhsohle. Der Mann hat keine Zukunft, enthüllt nichts aus der Vergangenheit. Nur einmal lobt er die Ehrlichkeit der Nigerianer, nach einer vergeblichen Fahrt zu einem Auto, das der Verkäufer kurz davor einem anderen gegeben hatte, ohne ihm abzusagen. Kein Grund, aufzubegehren, sagt sich Cliff. Hier ist das eben so üblich. Und nimmt einem damit die Chance, sich gedanklich zu solidarisieren oder wen auch immer anzuklagen. Wer ist überhaupt schuld an seinem Schattendasein? Diese Frage bleibt der Regisseur schuldig.

Nigeria, auf dem Automarkt: Wieder Feilschen und Alleinsein, nur dass Cliff vor dem dortigen Chaos mit seiner ordentlichen Kleidung hervorsticht. Ein Mann zwischen den Welten. Kein Ausblick auf Änderung. Auf-der-Stelle-Treten.

Die Bewegungen des nahen Berges – symbolisieren sie seine verlorene Hoffnung? Zweimal rezitiert Cliff ein Gleichnis, das auf der Sage des Wassermannslochs im steirischen Erzberg beruht. Darin fangen Arbeiter einen Geist des Wassers, der ihnen für seine Freilassung drei Dinge zur Auswahl stellt – einen goldenen Fuß, ein silbernes Herz,  einen eisernen Hut. Das Gold soll nur einen Atemzug währen, das Silber ein Menschenleben, das Eisen eine Ewigkeit. Als die Männer die Ewigkeit wählten, als Hoffnung für einen Ausweg aus der Sklaverei, zeigte der Wassermann auf einen nahen Berg. Ein Jahr lang bauten sie dort profitabel Erz ab. Damit schien der Zweifel am Versprechen des Wassermanns ausgeräumt. Doch als sie ihn von seinen Ketten befreiten, tauchte er blitzschnell im Dunkel in den Fluten unter. Nur sein Lachen schallte noch lange durch die Täler und ließ die Männer sprachlos zurück…

Von Sebastian Brameshuber sind bisher folgende Filme erschienen: „Muezzin“ (2009), „Und da in der Mitte, da sind wir“ (2014), „Of Stains, Scrap & Tires“ (2014), „In, Over & Out“ (2015).