Was tun, wenn der „Segen von oben“ auf sich warten lässt?

Siebte AHK-Konferenz „Cities of Tomorrow“: Akteure auf lokaler Ebene vernetzen

Dragoș Anastasiu: „Wer kann Rumänien ändern? – Jeder hier!“ Fotos: AHK

An die 300 Teilnehmer besuchten die Konferenz der AHK.

Prämiert: Die NGO Over4 will Wohnblöcke energetisch effizienter und umweltfreundlicher machen.

„Global denken – lokal handeln“ - unter dieser Devise fand am 26. März zum siebten Mal die von der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer (AHK) organisierte Konferenz „Cities of Tomorrow“ im Bukarester Marriott Hotel statt. Im Vordergrund stand dieses Jahr der „Trialog“ zwischen Behörden, Unternehmen und der Zivilgesellschaft zur städtischen und regionalen Entwicklung.


An die 300 Personen aus dem In- und Ausland – Architekten, Urbanisten, Vertreter von Lokalbehörden, Firmen und NGOs – beteiligten sich an den Diskussionen oder präsentierten ihre Projekte. Darin geht es um Nachhaltigkeit, Bürgerfreundlichkeit, „smart solutions“ und um die Frage, wie man eine Stadt fördert, damit sie für Investoren attraktiv wird, erklärt Sebastian Metz, Generaldirektor der AHK. Ziel der Konferenz ist auch die Bildung von Netzwerken. 

AHK-Präsident Dragoș Anastasiu erinnert an den Beginn der Diskussionen vor acht Jahren. Sie entstanden aus der Frustration heraus, trotz des hohen Potenzials in Rumänien schwer zum Erfolg zu gelangen. Das Vertrauen in den rumänischen Staat sei in den letzten 30 Jahren stetig gesunken und derzeit an einem Tiefpunkt angelangt. Hinzu kommen wenig förderliche populistische und nationalistische Tendenzen, etwa, multinationale Konzerne und Banken zu Buhmännern zu stempeln. Doch was tun, wenn der Segen „von oben“ auf sich warten lässt? Dann müssen die Ideen und Initiativen eben „von unten“ kommen - durch Kooperation auf lokalem Niveau, am besten im engen Austausch mit den direkt betroffenen Bürgern. 

Mittlerweile gibt es hierfür jede Menge Erfolgsbeispiele, von denen man lernen kann. „Gestern war ich bei einem Abendessen mit Bürgermeistern, da erzählte einer, er hätte eine gute Lösung für den lokalen Geldtransport gefunden – ein anderer stand auf und rief sofort seine Leute an, um dies auch in seiner Gemeinde zu implementieren“, illustriert er. Auch Zusammenschlüsse von Gemeinden in Siebenbürgen oder der Moldau seien „die richtige Antwort auf das, was zentral passiert“, meint Anastasiu. Und macht Mut: „Wir müssen Erfolg demonstrieren, dann wird sich auch die Mentalität ändern.“ 

Den Werterahmen definieren

„Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen“, zitiert der deutsche Botschafter in Bukarest, Cord Meier-Klodt, ein afrikanisches Sprichwort aus seiner früheren Mission in Ghana. Mit anderen Worten: Um Neues zu entwickeln, braucht man Vorbilder, Ideentransfer, Dialog. Er betont, wie wichtig das Thema Stadtentwicklung ist: Die halbe Menschheit lebt in Städten, bis 2050 werden es drei Viertel sein. Urbanisation ist der Schlüssel zum Erfolg, Städte tragen als Motoren des Wachstums über 80 Prozent zur Weltwirtschaft bei. In Rumänien erwirtschaften die acht größten Städte mehr als die Hälfte des BIP. Andererseits generiert Urbanisation die größten Probleme: Umweltbelastung, wirtschaftliches und soziales Ungleichgewicht, Überfüllung, Infrastrukturprobleme. Die Frage lautet daher: Wie können Städte nachhaltiger werden? 

„Jede Strategie muss die richtige Mischung aus Top- down- und Bottom-up-Ansätzen beinhalten. Im Herzen muss der konstruktive Dialog zwischen allen Interessenten stehen“, empfiehlt der Diplomat und ermutigt vor allem die rumänische Zivilgesellschaft, sich stark einzubringen.

„In demokratischen Ländern wollen die Leute nicht wie Nummern behandelt werden, sondern ihre lokale Umgebung mitgestalten“, erklärt auch der international bekannte Urbanist Dr. Arnold Voss. Wie bringt man sie dazu? Indem man ihnen „Macht“ verleiht! – Die Macht der Information, provoziert er in seinem Vortrag mit dem Titel „The power of solution versus the solution by power“ (sinngemäß: Die Macht der Lösung vs. Lösung durch die offiziellen Machtstrukturen). Fazit: Überzeugende Lösungen setzen sich durch. „Doch es gibt keine Kooperation ohne Vertrauen!“ Vertrauen ist die Währung für die Teilnahme der Bürger, diagnostiziert er messerscharf das Problem in Rumänien. 

„Man muss die Bürger optimistischer machen“, meint Architekt Eugen Pănescu, der seit 20 Jahren in der Stadtentwicklung tätig ist. „Sonst hat man täglich einen ärgerlichen Mob an der Türschwelle.“ Seine Empfehlungen: Interessenskonflikte zu einem Projekt frühzeitig austragen. Plattformen für den Dialog mit der Zivilgesellschaft schaffen. Stadterneuerung (der zielgerichtete Prozess zur Erhaltung, Verbesserung und Weiterentwicklung von Stadtteilen) steht vor „harter Infrastruktur“ - Projekte sind nicht genug. Gesetzeskaskaden kompensieren nicht die fehlende Beteiligung der Öffentlichkeit. Stadtplanung brauche nicht perfekt sein, doch die Bürger müssten sehen, dass sich etwas bewegt. „Menschen müssen auf etwas hoffen können“, schließt Pănescu.

Erfolgsbeispiele in Rumänien

Ein Beispiel für umfangreiche Bürgerpartizipation ist die Online-Kampagne „Prioritățile orașului tău“ (Prioritäten in deiner Stadt), vorgestellt von Marius Cristea von der Weltbank. Es handelt sich um ein in Rumänien einzigartiges Projekt zur Einholung der Meinung der Bürger über die Prioritäten der Entwicklung ihrer Stadt. Auf der Plattform der Kampagne wurden 372 strategische Projekte in 41 Städten zur Auswahl gestellt. Zirka 100.000 Bürger gaben ihre Stimmen ab. Festgestellt wurde dabei eine direkte Korrelation zwischen Bildungsniveau und dem Interesse an der Gemeinschaft. Die Auswertung der Ergebnisse endete am 26. März. Für Bukarest wurden als Prioritäten bekanntgegeben: Ausbau des U-Bahn-Netzes, Modernisierung der Umgehungsstraßen, Autobahnen in Ilfov mit Umfahrungen der Städte. Die Prioritäten landesweit betrafen Gesundheitswesen und Infrastruktur.

Des Weiteren wurden die zehn Finalisten des Cities-of-Tomorrow-Wettbewerbs zur Entwicklung nachhaltiger Projekte im Bereich regionale Entwicklung, Marketing, Verbesserung der Lebensqualität und Dialog zwischen Interessensgruppen vorgestellt, ausgewählt unter 83 Kandidaten (siehe www.citiesoftomorrow.ro/submitted-projects.html): 

Sparte „Lokalverwaltung“: „Vertrauen in Reșița“ (Unterstützung von Bürgerinitiativen mit nicht rückzuzahlenden Mini-Grants, Gesamtsumme 500.000 Lei, zur Verbesserung des Zusammenlebens in der Stadt); Reghin City App (App zur Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen, zu Infrastruktur und Tourismus); Transformation des Stadtzentrums Großwardein/Oradea (Gestaltung des historischen Zentrums, Fußgängerzonen, Fassadenrestauration, Parkplätze, urbane Regeneration, Einbeziehung ungenutzter Gebäude) und Investitionen im Schiltal (gemeinsame Aktion der Gemeinden im Schiltal, um Investoren anzuziehen, regionale Probleme zu lösen, sozio-ökonomische Regeneration der ehemaligen Bergwerksinfrastruktur). 

– Kategorie „Business“: Ceetrus mit „Drumul Taberelor“ (Transformation eines Bukarester Shopping-Centers in ein Gemeinschaftszentrum für lokale Anrainer für Workshops, Hobby, Sport, Freizeit); Life is Hard mit „City Apps“ (Plattform für die Kommunikation zwischen Bürger und Lokalverwaltung, Meldung von Problemen, Feedback; implementiert in sieben Städten, Testphase in weiteren fünf); Speedwell mit „Record Park Klausenburg/Cluj-Napoca“ (Stadtteil-Regenerierung mit kombinierter Nutzung: Wohnen, Arbeiten, Läden, Freizeit)

– Zivilgesellschaft: Die NGO Over4 mit einem Pilotprojekt zur integrierten Rehabilitation von Bukarester Wohnblocks, Reduzierung von Energieverbrauch und Umweltbelastung, Entwicklung eines Prototyps für ein passives, modulares Solarhaus aus Holz als Kandidat des Solar Decathlon 2019 Wettbewerbs; die „Fundația Comunitară București“ mit dem Projekt „Bucureștiul Pregătit“, Reduzierung der Verluste im Fall eines Erdbebens oder einer Großkatastrophe in der Hauptstadt, Mobilisierung und Schaffung eines Spendenfonds; der Architektenorden OAR mit dem Projekt platforma30zile.ro zur zeitlichen Straffung (Reduzierung auf 30 Tage) und Vereinheitlichung des chaotischen und willkürlichen Baugenehmigungssystems im ganzen Land. 

Drei Gewinner wurden anschließend von einer Fachjury ausgewählt: „Vertrauen in Reșița“, Ceetrus und Over4.

Ein Ansatz aus Deutschland

Einblicke in die Vorgehensweise jenseits der Grenzen gaben die Vertreter des Stadtplanungsprojekts „Raumwerk D“ in Düsseldorf. Judith Artmann und Leif von Nethen stellten Herausforderungen und Ansätze zur Stadtentwicklung und -erneuerung vor. Düsseldorf sieht sich vor allem mit hoher Siedlungsdichte und raschem Bevölkerungswachstum konfrontiert: 2000 waren es 540.000 Einwohner, bis 2030 sollen es 660.000 sein. 296.000 Pendler strömen täglich in die Stadt, 95.149 aus der Stadt. Jährlich müssen 3000 Wohneinheiten gebaut werden. Der Rhein ist sowohl Potenzial wie auch Problem (Hochwasser). „Die Stadt ist so dynamisch, wenn man heute ein Konzept macht, braucht man zwei Jahre später ein ganz neues“, illustriert von Nethen. Andererseits dauert die konkrete Umsetzung von der Genehmigung bis zum Bau oft Jahre. So wurde von Anfang an versucht, ein Gesamtbild zu erfassen, statt sich auf einzelne Probleme zu stürzen. Begonnen wurde mit einem Event zur Konsultation der Öffentlichkeit. Man fragte: Wo sollen neue Häuser gebaut werden, wo neue Arbeitsplätze entstehen? Welche Zonen sollen bleiben wie sie sind - und warum? Die subjektive Wahrnehmung bestimmter Stadtteile wurde in einem „mental mapping“ erfasst, so erkannte man, welche Zonen vernetzt sind und wo es dringend Entwicklungsbedarf gibt. Zum Schluss wurden 10 thematische „D-Cluster“ zur Lösung von Problemfeldern gebildet, mit suggestiven Titeln wie „integratives D“, „mobiles D“, „smart D“, „green D“ usw. Halböffentliche Workshops luden Interessensgruppen zum Networking ein. Eine Webseite informiert die Öffentlichkeit über Fortschritte. „Es ist ganz wichtig für die Bürger“, betont von Nethen, „dass sie erkennen, dass ihre Vorschläge auch umgesetzt werden.“

Rettung für Herkulesbad

Dass es neben Meinungsaustausch, „Best Practice“ und Networking auch konkrete Lösungen geben kann, zeigt der zweite Teil der Konferenz mit Rundtischgesprächen zu speziellen Themen: Energiemanagement, Finanzierung und EU-Fonds, Tourismus & Lifestyle, Kreislaufwirtschaft, Baurecht etc. Von den Teilnehmern prämiert wurde am Ende die von Dragoș Anastasiu moderierte Gruppe Tourismus & Lifestyle, aufgrund des konkreten Lösungsansatzes zur Rehabilitierung des Kurorts Herkulesbad/Băile Herculane. 31 Experten aus den Bereichen Tourismus, Gastgewerbe, Gesundheit, Denkmalschutz sowie Vertreter der zentralen und lokalen Verwaltung kamen überein, eine Destinations-Managementgruppe zu bilden. Als Projektmanager wurde Marius Băzăvan (Bacolux) auserkoren. „Im Tourismus haben wir keine Zeit, zu warten, da müssen wir jetzt handeln. Herkulesbad ist eine Perle des rumänischen Tourismus, die bis jetzt verlachlässigt wurde. Doch mit der Organisation eines lokalen Destinationsmanagements, unterstützt von allen Interessenten an diesem Tisch, kann Herkulesbad in drei-vier Jahren wieder das sein, was es sollte“, erklärt Anastasiu.