Wen stört es, wenn die Störe aussterben?

WWF-Studie über Fischwilderei an der unteren Donau und Schwarzhandel mit Störprodukten

Ein Fisch aus der Zeit der Dinosaurier ist akut vom Aussterben bedroht. Die Ursache: der Mensch. Genauer gesagt der Gourmet-Mensch, der in Kauf nimmt, dass für seine banalen Gaumenfreuden ein uralter Erdenbewohner für immer von diesem Planeten verschwinden könnte… Das besorgniserregende Ausmaß des illegalen Handels mit Störprodukten an der unteren Donau hat der WWF  Österreich nun erstmals mit wissenschaftlichen Methoden bewiesen und in seinem „Endreport 2021“ veröffentlicht.

Ziel dieses Berichts ist nicht nur, über die  Stör-Wilderei und den illegalen Handel mit aus gefährdeten Störarten hergestellten Produkten an der unteren Donau aufzuklären. Mit dem grenzübergreifenden Austausch relevanter Daten unter zuständigen Behörden sollen auch die Bekämpfung erleichtert und ähnliche Folgeuntersuchungen gefördert werden.

Im Fall der Störe stellen die illegale Fischerei an der unteren Donau und der illegale Handel mit ihrem Fleisch und Rogen eine erhebliche Bedrohung für Störpopulationen weltweit dar. Die Tatsache, dass solche Vergehen in der Vergangenheit viel häufiger gemeldet wurden, dass es für wilde Populationen bisher keine festgelegten Fang- und Handelsquoten gibt, aber auch die massive Zunahme des Handels mit Störprodukten aus Zuchtkulturen haben zu der allgemeinen Wahrnehmung geführt, dass das Problem weitgehend behoben wurde. Die aktuellen Daten aus dieser Studie beweisen jedoch genau das Gegenteil!

Stehen Störe kurz vor dem Aussterben?

Laut eines Berichts der Internationalen Union für Naturschutz (IUCN) 2010 sind Störe und Löffelstöre (Acipenseridae) die weltweit am stärksten gefährdeten Fischarten. Ihr Rogen, der als Kaviar verkauft wird, gehört zu den wertvollsten Wildtierprodukten im internationalen Handel und der Verzehr von Störfleisch hat in vielen Regionen eine lange Tradition. Dies hat zu einer starken Ausbeutung und einem dramatischen Rückgang von Störpopulationen weltweit geführt.

Aus einem 2020 veröffentlichten Dokument der Donaustör-Einsatzgruppe geht hervor, dass von sechs an der Donau beheimateten Störarten zwei – Acipenser sturio und Acipenser nudiventris – bereits als ausgestorben gelten. Alle übrigen vier Arten werden von der IUCN als bedroht aufgeführt, drei davon sind akut gefährdet.

Da auf dem europäischen Kontinent die Donau und in Georgien der Rioni die letzten Flüsse sind, in denen Störe sich natürlich vermehren, sind der Störfang und der daraus resultierende Handel mit Wildfang für alle Störarten komplett verboten in den unteren Donauländern Serbien, Bulgarien, der Ukraine und der Republik Moldau sowie in den Ländern an der Schwarzmeerküste, insbesondere in Georgien, Russland und der Türkei. Außer in Rumänien und Bulgarien wird das Fangverbot durch die jeweilige Gesetzgebung dauerhaft umgesetzt. Fangverbote in Rumänien und Bulgarien traten bisher nur für begrenzte Zeit in Kraft. Während Bulgarien gerade die Fünf-Jahres-Frist bis Ende 2025 verlängert hat, war in Rumänien die öffentliche Debatte für ein unbegrenztes Fangverbot bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichts noch nicht abgeschlossen.

Wissenschaftlich bedeutende Untersuchung

Die Marktforschung zum illegalen Störhandel an der unteren Donau ist im Rahmen des von der EU-Kommission geförderten LIFE-Projekts entstanden, wurde von WWF Österreich koordiniert und in Zusammenarbeit mit den WWF-Filialen der unteren Donauländer, der rumänischen Behörde für das Donaudelta-Biosphärenreservat und dem Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Leibnitz, Deutschland, durchgeführt. Die Untersuchung deckt die gesamte Handelskette mit Störprodukten ab. Einzigartig ist die Arbeit durch ihre regionale Reichweite, da sie die vier wichtigsten Länder der unteren Donau und der nordwestlichen Schwarzmeerregion, welche dieselben wandernden Störpopulationen teilen, umfasst.

Der Bericht zeigt das Vorkommen des illegalen Fischhandels mit Stören an der unteren Donau, insbeson-dere in Bulgarien, Rumänien, Serbien und der Ukraine. Er liefert erstmals Beweise für das Ausmaß von Wilderei und illegalem Handel mit wild gefangenen Stören. Während des Untersuchungszeitraums von 2016 bis 2020 waren Fischerei und Handel mit allen Wildarten der Donau-Störe in Bulgarien, Rumänien und der Ukraine verboten. Serbien war das einzige Land, in dem der Fang von Sterlet-Stören mit einer Gesamtlänge von über 40 Zentimetern bis Ende 2018 erlaubt war. Der Handel mit allen Stören und deren Produkten aus Fischzucht oder wilden Quellen werden über CITES, dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Wildtier- und Wildpflanzenarten, und - im Fall von EU-Mitgliedstaaten - über die EU-Vorschriften für Wildtierhandel geregelt.

Bei der Marktforschung wurden insgesamt 145 Proben an verschiedenen Standorten und von unterschiedlichen Arten von Einzelhändlern wie Läden, Supermärkten, Restaurants, Bars, lokalen Märkten, Fischzuchten, Zwischenhändlern, Fischern, sowie Online-Angeboten in Bulgarien, Rumänien, Serbien und der Ukraine gesammelt. Alle Proben wurden zwischen Oktober 2016 und Juli 2020 entnommen. Um Art und Herkunft (also Wild- oder Zuchtbeschaffung) des Fleisches und der Rogen zu eruieren, wurden die Proben DNA- und Isotopentests unterzogen.

Knapp ein Drittel der Proben illegal

Aus der Marktuntersuchung und der forensischen Prüfung ging her-vor, dass knapp ein Drittel aller gesammelten Proben illegal zum Kauf angeboten worden waren. 19 Prozent aller Proben stammten dabei von wild gefangenen Stören und weitere 12 Prozent von ihnen waren Kaviar, der unter Verstoß gegen die CITES-Vorschriften, das bedeutet ohne erforderlichen CITES-Etiketten, mit falschen CITES-Codes oder ohne CITES-Genehmigung importiert und verkauft wurde.

Die Möglichkeit, dass das tatsächliche Ausmaß des illegalen Handels deutlich höher als die dokumentierten Fälle sein könnte, ist allerdings nicht auszuschließen.

Darüber hinaus wurde in vielen Fällen durch das Etikett des Produkts irregeführt. Zum Beispiel wurden aus wilden Stören hergestellten Produkte als von Zucht-Stören stammend deklariert („whitewashing“) - und umgekehrt („blackwashing“). Manchmal wurde Fleisch vom Europäischen Wels oder Nilbarsch als Störfleisch vermarktet oder Produkte von preisgünstigeren Störarten als höherpreisige, wie etwa der Beluga-Stör, angeboten. Sogar künstliche Produkte mit Kaviar-Etikett gab es.

Außerdem wurden während der EU-Untersuchung im Zeitraum von Januar 2016 bis Dezember 2020 mindestens 214 zusätzliche Fälle von Verstoß gegen die CITES-Vorschriften regis-triert, darunter 82 in Rumänien, ebenso viele in Bulgarien und 50 in der Ukraine. Dazu gehört auch die Verwendung illegaler Fanggeräte. Allein in Bulgarien wurden 594 Stück illegaler Angelschnüre (karmaci) mit einer Gesamtlänge von 23,5 Kilometern beschlagnahmt.

Die meisten Fälle wurden 2018, 2019 und 2020 gemeldet. Am stärksten waren dabei die Sterlet-Störe betroffen, gefolgt von den Sternstören. Die am wenigsten betroffenen Störarten waren der Beluga- und der russische Stör. Die Häufigkeit von Fällen mit unterschiedlichen Störarten widerspiegelt deren jeweilige Knappheit in der Natur.

Stand in Rumänien: rund die Hälfte

Im Rahmen der Marktuntersuchung wurden in Rumänien 52 Stichproben entnommen: 16 Proben in Geschäften, elf in Restaurants oder Bars, weitere elf von einem Vermittler, sechs Proben bei Online-Käufen, drei aus Zuchten, zwei auf Märkten, weitere zwei von Fischern und eine Probe bei einer privaten Veranstaltung. Von allen Stichproben waren 33 Proben Störfleisch und 19 Kaviar. Knapp die Hälfte von ihnen wurde illegal verkauft. Zwölf Fleischproben, also knapp ein Viertel aller Proben, wurden forensisch als Wildfänge identifiziert.

Zu den Problemen mit den 13 illegal verkauften Kaviardosen gehörten Etiketten mit falschen CITES-Codes, Unstimmigkeiten zwischen der auf dem Etikett erklärten Störart und dem Ergebnis der DNA-Analyse oder fehlende Etiketten.  

Offiziell wurden in Rumänien zwischen April 2016 und Dezember 2020 insgesamt 82 Fälle illegalen Störhandels gemeldet. Während 2016 nur sieben Fälle verzeichnet wurden, verdoppelte sich diese Art von Kriminalität im Folgejahr, erreichte einen Höhepunkt von 26 Fällen 2018, sank auf 15 Fälle 2019 und nahm 2020 mit 18 gemeldeten Fällen wieder zu. Das in diesem Zeitraum beschlagnahmte Störfleisch wog insgesamt knapp 3,5 Tonnen und der konfiszierte Kaviar über 25 Kilogramm. Zudem entdeckten die rumänischen  Strafverfolger mindestens 436 Störexemplare, die in der Donau oder ihren Nebenflüssen illegal gefischt wurden.

Der jüngste Vorfall gesetzwidrigen Störhandels passierte im August 2020, als Beamte der Deltapolizei aus dem Kreis Tulcea zusammen mit ihren Amtskollegen aus dem Kreis Arge{ drei Männer auf frischer Tat ertappten, als sie Kaviar in Arge{ zum Kauf anboten beziehungsweise kauften. Die Polizei konfiszierte damals 22,6 Kilogramm Kaviar, der in 40 Glasbehältern transportiert wurde. Der Marktwert der Beschlagnahme wurde auf 50.000 Euro geschätzt.

Gemeinsame Strategien zur Bekämpfung

2000 wurde das allgemeine CITES-Kennzeichnungssystem für Kaviar zur Identifizierung von dessen Herkunft eingeführt. Die Besonderheit: CITES-Etiketten können nicht unbeschädigt entfernt werden, sind also nicht „wiederverwertbar“. Sie müssen Auskunft geben über Störart oder -hybride, den Quellcode des Kaviars („W“ für Wildfang, und „C“ für Fischzucht), das Herkunftsland, usw. Ein Problem ist die Verbrauchertäuschung mit gefälschten, falsch etikettierten oder illegal zum Kauf angebotenen Produkten. Es ist für den Kunden fast unmöglich, die Herkunft der Fischprodukte zu überprüfen. Die von Verkäufern oder Kellnern bereitgestellten Informationen sind nicht immer zuverlässig.

Zur besseren Bekämpfung des illegalen Handels wurden der Paneuropäische Aktionsplan für Störe und 2017 die Wiener Erklärung (infolge des in Wien stattgefundenen achten internationalen Symposiums zum Thema Störe, an dem sich rund 300 Stör-Experten aus 32 Länder beteiligt haben), ins Leben gerufen. Beide Erklärungen betonen die Bedeutung von unangekündigten Marktkontrollen, die forensische Prüfung der Stichproben mittels modernster Techniken wie DNA- und Isotopenanalyse und die Umsetzung der örtlichen strafrechtlichen Gesetze im Fall der Wilderei und des Wildtierhandels.

Im Grunde genommen wurden Produkte von wild gefangenen Stören in allen vier Ländern der Studie - Bulgarien, Rumänien, Serbien und der Ukraine - entdeckt. Daraus kann geschlossen werden, dass diese illegale Aktivität, die von der Verwendung unerlaubter Ausrüstung für das Fischen bis hin zur eigentlichen Wilderei, von Verbrauchertäuschung bis hin zu Verstößen gegen die CITES-Kennzeichnung,  gegen Einfuhrbestimmungen und dem illegalen Handel mit Wildfängen reicht, ein dringendes Problem im gesamten Donau-raum bleibt. Das Überleben stark bedrohter Störarten in der Region hängt von ständigen Marktkontrollen ab.  Es sollte nicht nur den Gourmets zuliebe gesichert sein.