Weniger Geld, dafür mehr Arbeit

Eine Studie beleuchtet die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Männern und Frauen in Rumänien

1893 organisieren sich in Wien erstmals Fabrikarbeiterinnen und gehen in Streik – sie verlangen und erreichen eine Erhöhung ihres Lohnes, allerdings keine Angleichung an die höheren Löhne der Männer. Außerdem erkämpfen sie eine Verkürzung ihres Arbeitstages von zwölf auf zehn Stunden und das Recht, an den Feiern des 1. Mai teilzunehmen.

Zum 8. März wollen sich Frauen in Rumänien nicht mit Blumen abspeisen lassen.

Rumäninnen sind gegenüber Rumänen wirtschaftlich stark benachteiligt. Darin unterscheidet sich die Situation nicht von der übrigen Welt, aber ein genauerer Blick auf die landesspezifische Situation lohnt sich dennoch: Dies hat eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie getan, und die Ergebnisse sind wenig erfreulich. In kaum einem europäischen Land ist die geschlechtsbedingte Ungleichheit so ausgeprägt wie hierzulande. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation nicht nennenswert verbessert – in mancherlei Hinsicht sogar verschlimmert: Frauen verrichten den Mammutanteil der unbezahlten Arbeit; wenn sie noch Zeit für Lohnarbeit haben, werden sie schlechter bezahlt als Männer; sie bekleiden ihren männlichen Kollegen untergeordnete Positionen und sind den Schwankungen des Arbeitsmarktes stärker ausgeliefert. Die politischen Maßnahmen dagegen  sind unzureichend, ihre Anwendbarkeit und Wirkung unsicher. 

3,3 Prozent weniger Lohn – klingt nach wenig

Auf den ersten Blick überrascht dieser negative Befund: Schließlich beträgt der „GenderPayGap“, also das geschlechtsspezifische Lohngefälle, in Rumänien gerade mal 3,3 Prozent – im europäischen Vergleich liegt er nur in Luxemburg mit 1,3 Prozent noch niedriger (Stand 2019, Daten  der Europäischen Kommission). Man könnte meinen, dass die Entlohnung hier tatsächlich eher nach Leistung denn Geschlecht erfolge – schließlich müssen sich die Estinnen im Schnitt mit  21,7 Prozent weniger Gehalt als die Esten zufriedengeben, die Lettinnen mit 21,1 Prozent weniger, in Deutschland beträgt der Unterschied 19,2 Prozent. Das ist aber nicht der Fall – denn die Frage ist wesentlich komplexer, als sich mit einem Prozentsatz ausdrücken ließe: Etwa bedeutet „wirtschaftliche Gleichstellung“ nicht nur, für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn zu bekommen – denn dafür müssten Frauen erst einmal dieselben Positionen zugänglich sein wie Männern. Und sie müssten die zeitlichen Ressourcen haben, um diese Stellen besetzen zu können. Wer aber mehr oder weniger alleine verantwortlich ist für Kindererziehung und Altenpflege, Einkaufen und Kochen, Putzen und Wäsche hat keine Zeit für Lohnarbeit.

Der Mindestlohn ist für alle gleich niedrig

Hinzu kommt, wie Ștefan Guga und Alexandra Sindreștean in der Einleitung ihrer Studie betonen, dass das oben genannte niedrige Lohngefälle vor einem bestimmten Hintergrund zu lesen ist: Die allgemeine Lohnungleichheit ist in Rumänien extrem hoch, das Gefälle zwischen Spitzen- und Niedriglöhnen so ausgeprägt wie in kaum einem anderen europäischen Land. Und der Mindestlohn, von dem etwa 1,5 Millionen ihr Dasein bestreiten müssen, ist eben tatsächlich für alle gleich hoch (bzw. niedrig), unabhängig vom Geschlecht. Anders die Spitzengehälter: Je höher die durchschnittliche Entlohnung in einer Branche, desto stärker ausgeprägt ist das geschlechtsspezifische Lohngefälle. Eine Kassiererin verdient also den gleichen Mindestlohn wie der Kollege an der Nebenkasse, aber eine Informatikerin wird schlechter bezahlt als ihre Kollegen. Weil hohe Gehälter wie in der IT-Branche aber eher selten sind und der Mindestlohn für alle gleich, fällt die Geschlechterdifferenz statistisch weniger ins Gewicht. 

Hinzu kommt: Je mehr Frauen in einer Branche, desto mehr Mindestlohnbeziehende. Ein Extrembeispiel ist die Textilindustrie, wo über 85 Prozent der Beschäftigten weiblichen Geschlechts sind, und über 55 Prozent der Beschäftigten nicht mehr als die gesetzliche Untergrenze verdienen. 

Keine Zeit für Erwerbsarbeitsarbeit

Im Jahr 2020 stellten Frauen 52,5 Prozent der rumänischen Bevölkerung, aber nur 45,5 Prozent der am Arbeitsmarkt aktiven Bevölkerung. Damit liegt das Land EU-weit an zweitletzter Stelle und ist eines jener beiden Länder, in denen sich zwischen 2013 und 2021 keinerlei Entwicklung feststellen lässt. Das andere ist Dänemark, wo es einfach kaum Raum für Verbesserung diesbezüglich gibt.

Dabei ist die Bezeichnung „inaktiv am Arbeitsmarkt“ etwas irreführend: Inaktiv sind diese Frauen ja meist nicht, ganz im Gegenteil machen sie häufig einen Job, der körperlich wie mental anstrengend ist, weder Feierabend noch Wochenende kennt, kaum soziales Prestige mit sich bringt und vor allem nicht bezahlt wird: Denn der mit 32,7 Prozent am häufigsten angegebene Grund von Rumäninnen, weshalb sie keiner Lohnarbeit nachgehen, lautet „familiäre Pflichten“, also die Sorge um Kinder, Alte und Behinderte, für andere kochen, einkaufen, putzen und waschen. Seit 2015 ist der Anteil an Frauen, die wegen „familiärer Pflichten“ keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, noch um 5,8 Prozent gestiegen. Bei Männern führt Heirat und Vaterschaft selten zu Brüchen in der Erwerbsbiographie, eher im Gegenteil. 

Wie in den 50er Jahren

Der am zweithäufigsten genannte Grund für „Inaktivität am Arbeitsplatz“ lautet „in Ausbildung“, dies geben 24,4 Prozent der Rumäninnen an, und 26 Prozent der EU-Bürgerinnen. Auffallend ist, dass im EU-Schnitt 10,5 Prozent der befragten Frauen als Grund für ihre Erwerbslosigkeit „eigene Erkrankung oder Behinderung“ angaben, aber nur 7,7 Prozent der Frauen hierzulande. In der Studie wird vermutet, dass dies weniger am guten Gesundheitszustand der Rumäninnen liegt, sondern dass das mangelhafte Sozialsystem es vielen schlicht nicht erlaubt, auf die eigene Gesundheit Rücksicht zu nehmen.

Besonders trist an der Situation ist, dass die momentane Beschäftigungsrate von Frauen der der 1950er Jahre entspricht, dazwischen hat es aber schon viel besser ausgesehen: Wie alle kommunistischen bzw. sozialistischen Länder konnte Rumänien den Anteil von erwerbstätigen Frauen im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts massiv anheben, auf über 85 Prozent Ende der 1980er – viel höher als der Anteil damals in kapitalistischen europäischen Ländern. Heute hat sich dieses Verhältnis umgedreht, und eine Besserung ist auch nicht in Sicht: Zwischen 2016 und 2020 wurde der niedrigste Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt in 30 Jahren gemessen.

Selber schuld?

Aber auch in dem Teil der Bevölkerung, der bezahlter Arbeit nachgeht, finden sich deutliche Unterschiede entlang der Geschlechtergrenzen, und darin hat sich im privaten Sektor zwischen 2011 und 2018 kaum etwas bewegt. Positiv auf die Statistik wirken sich die Lohnerhöhungen der letzten Jahre im öffentlichen Dienst aus – da hier viele Frauen beschäftigt sind. Allerdings ist auch hier das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen gestiegen, und insgesamt sinkt der Anteil weiblicher Beschäftigter. Seit 2019 geht die Einkommensschere wieder auseinander, was bestätigt, was schon für frühere Krisen konstatiert wurde: Diese haben auf Frauen am Arbeitsmarkt größere Auswirkungen als auf Männer. Nun könnte man einwenden, dass Frauen selber schuld sind, wenn sie sich schlecht bezahlte Berufe auswählen? Dies blendet einige Faktoren aus – etwa, dass gerade die schlecht bezahlten Jobs oft die sind, die für den Erhalt der Gesellschaft unabdingbar sind. Wenn alle Reinigungskräfte auf IT umsatteln, haben wir ein Problem. 

Aber auch: Selbst wenn Frauen einen besser bezahlten Beruf wählen, verdienen sie immer noch schlechter als ihre Kollegen, und mit steigendem Frauenanteil in einer Branche sinken deren Löhne. Im Sektor Banken und Versicherungen etwa sind 70 Prozent der Beschäftigten weiblich, und sie verdienen im Schnitt 30 Prozent weniger. 

Wurstfest in den oberen Etagen

Allgemein gilt: Frauen machen auch in den sogenannten „frauendominierten Branchen“ zwar den Großteil der (schlecht entlohnten) Arbeit; in den Chefetagen sitzen aber auch hier fast nur Männer. Es findet sich in allen Branchen dieselbe Struktur: Je höher in der Hierarchie, desto weniger Frauen. Es gibt kaum Kindergartenpädagogen und wenig Uni-Senatorinnen. In der Krankenpflege arbeiten überwiegend Frauen, in der Chirurgie überwiegend Männer. Im Handel sitzen Frauen an der Kasse und Männer im Management. Natürlich gibt es überall Ausnahmen, aber die sind eben genau das: Ausnahmen. 

Im Lebensmittelhandel arbeiten erst so viele Frauen, seit dieser von großen Konzernen kontrolliert wird, die viele schlecht bezahlte Arbeitsplätze geschaffen haben – als die Branche noch vor allem aus kleinen Geschäften bestand, waren deren Eigentümer in der Regel Männer. Auch heute noch ist der Anteil an Arbeitgeberinnen verschwindend gering. 

Daten von 2019 zeigen, dass die ökonomisch am stärksten benachteiligte Altersgruppe die unter 34-Jährigen sind – anders als noch vor ein paar Jahren, als die Situation umgekehrt war. Junge Frauen haben also nicht nur weniger die Möglichkeit, einer Erwerbsarbeit nachzugehen als ihre Großmütter damals; sie sind auch stärker benachteiligt als es ihre Großmütter heute sind.

Auswirkungen auf alle Lebensbereiche

Ein Beispiel für die vielfältigen Auswirkungen der ökonomischen Ungleichheit auf alle Lebensbereiche ist der Zugang zu medizinischer Hilfe: 5,4 Prozent der Männer gaben 2020 an, in schlechter oder sehr schlechter gesundheitlicher Verfassung zu sein, aber 9 Prozent der Frauen. 6,6 Prozent der männlichen Befragten konnten keinen Spezialisten deswegen aufsuchen, aber 8,1 Prozent der weiblichen. Bei 51,4 Prozent der Männer war Geldmangel der Grund, aber bei 55,2 Prozent der Frauen.

Wer kein eigenes Geld verdient, ist außerdem finanziell abhängig – oft ein Leben lang, denn die Hausfrauenarbeit führt recht zuverlässig in die Altersarmut. Und finanzielle Abhängigkeit bedeutet auch, dass man sich nicht aussuchen kann, in wessen Gesellschaft man sein Leben verbringt, sondern vielleicht gezwungen ist, Tisch und Bett mit einem Gewalttäter zu teilen. 

Wenn man hier ansetzen würde, könnte man nebenbei Gewalt an Frauen durch ihre Partner effektiv bekämpfen. Denn bei beiden Problemen gilt: Individuelle Anstrengung kommt gegen strukturelle Benachteiligung nicht an. 


Die zitierte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung findet sich online unter: romania.fes.de/publications