„Wenn ich eine Farbe wäre,  dann wäre es rot“

Literaturabend mit Christel Ungar

Autorin Christel Ungar: „Wenn ich eine Farbe wäre, dann sicher rot.“ Fotos: der Verfasser

Dr. Andreea Dumitru-Iacob führte durch den Literaturabend.

„Liebe bedeutet Gefangenschaft, Abhängigkeit, Haltlosigkeit und Risiko, doch ohne Liebe lohnt sich unser Dasein nicht. Sie ist die einzige Kraft, die uns treibt, die Lehrerin, die uns wertvolle Lektionen erteilt“, erklärte Dr. Andreea Dumitru-Iacob während der Eröffnung eines Literaturabends, der unter dem Zeichen der Lyrik als persönlicher Weg in die komplexe Welt des Gefühls, welches wir Liebe nennen, stehen sollte.

Am Freitag, den 9. Juni 2023, fand in der Bibliothek des Instituts für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt/Sibiu ein Literaturabend mit Christel Ungar statt. Der Einladung des Institutsleiters Dr. Rudolf Gräf und der Literaturwissenschaftlerin Dr. Andreea Dumitru-Iacob folgten viele Hermannstädter, so dass in der Bi-bliothek fast kein Platz unbesetzt blieb, was aber die intime Atmosphäre, die einem Literaturabend zu eigen sein sollte, nicht beeinträchtigte.  

In seinem Grußwort erklärte Dr. Rudolf Gräf, dass es ein Vorhaben des Instituts sei, sich auch für ein breiteres Publikum zu öffnen. Zwar bleibe die Forschung und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse weiterhin die Hauptaufgabe, doch wünsche man sich, mittels unterschiedlichster Veranstaltungen auch eine öffentliche Komponente der Tätigkeit des Instituts hinzuzufügen. Ein erster Schritt in diese Richtung seien die in diesem Jahr vorgeschlagenen Literaturabende, die in Zusammenarbeit mit Dr. Andreea Dumitru-Iacob organisiert werden und von dem Konsulat der Bundesrepublik Deutschland finanziell unterstützt werden. 

Dr. Andreea Dumitru-Iacob stellte die für diesen Abend eingeladene Schriftstellerin Christel Ungar vor, indem sie in chronologischer Reihenfolge die vier bis jetzt veröffentlichten Gedichtbände der Hermannstädter Journalistin vorstellte. Einleitend bemerkte Dumitru-Iacob, dass auch für sie dieser Abend eine Premiere darstelle, da sie sich zum ersten Mal in ihrer germanistischen Tätigkeit in einem öffentlichen Rahmen mit Dichtung auseinander setzen würde. 

Als dominantes Gefühl und Thema in Christel Ungars Lyrik erkennt Andreea Dumitru-Iacob die Liebe: „Das höchste Gefühl für sie ist das Gefühl der Liebe, denn ohne Liebe hat der Mensch keinen Wert. Liebe bedeutet Entwicklung und Wandlungen, Zuwendung und Abkehr, Beständigkeit und Vergänglichkeit – die Liebe wird zum ständigen Begleiter, der über innere Lebendigkeit oder inneren Tod entscheidet. Liebe entsteht zwischen zwei Wesen, die den Zwischenraum, der sie voneinander trennt, überbrücken müssen, damit sie zu-einander finden können.“ Mittels einer Parallele zu Rainer Maria Rilke stellte die Germanistin die Kraft und zu-gleich die Verletzlichkeit, aber auch die persönlich-subjektive Note vor, die der Lyrik Christel Ungars eigen ist. 

Da die Veranstaltung zweisprachig gedacht war – Deutsch und Rumänisch –, wurde die Dichterin von ihrer Schwester Beatrice Ungar begleitet, die über die Jahre alle Bücher ins Rumänische übersetzt hat und an diesem Abend den Vortrag der Gedichte in rumänischer Sprache übernahm.  

Obwohl Lyrik im Mittelpunkt des Abends stehen sollte, eröffnete die Schriftstellerin ihre Lesung mit dem Prosatext „Mein Bukarest“, welcher in bekannt persönlicher Weise einen Bogen zwischen ihrer Kindheit in Hermannstadt und ihrem Bukarest spannte, welches noch so manche Ecken und Gebäude hat, die sie selber noch entdecken muss – wobei als verbindendes Element zwischen den beiden Welten die Glocken der Evangelischen Kirche in Bukarest dienen. 

Die anschließend vorgetragenen Gedichte boten einen unvermittelten Einblick in die Gefühlswelt der Autorin. Eher kurze Gedichte, definiert durch eine sehr genaue und zugleich bildstarke Wortwahl, erlaubten der Zuhörerschaft, in das Labyrinth der erfüllten oder verlorenen Liebe einzutauchen, für die man kämpfen muss, der man sich aber mit dem ganzen Wesen hingibt. 

„Christel Ungar scheut sich nicht davor, ihre intimsten Empfindungen preiszugeben, und sie regt die Leserschaft dazu an, selbst auf diese verborgene Seite aufmerksam zu werden: Ihre Gedichte sind ‚Echos der Liebe‘ und ‚Spiegel‘ der eigenen Wahrnehmungen für ihre Leser“, hatte es Andreea Dumitru-Iacob in ihrer Einleitung treffend beschrieben. 
Mit der noch unveröffentlichten Kurzgeschichte „Die Bank am Bahnsteig“ schloss Christel Ungar den literarischen Teil des Abends. Die darauf folgende Fragerunde gab weitere Einblicke in die Schaffenswelt der Schriftstellerin, aber auch in ihre Zukunftspläne (ein Prosaband befindet sich in Arbeit). Auf die Frage, welche Farbe sie wäre, wenn sie sich durch eine solche definieren würde, blickte Christel Ungar auf ihr rotes Sakko und sagte: „Die Antwort ist doch offensichtlich: rot.“


Christel Ungar, geboren 1966 in Hermannstadt, ist bekannt als Journalistin und Chefredakteurin der deutschen Sendung von TVR. Außerdem hat sich sich  einen Namen als Jazzsängerin und Lyrikerin  gemacht: „So blau / Atât de albastru“ (Global Media, 2001), „Wenn wir jetzt / Dacă acum“ (Honterus, 2011), „Rot / roșu“ (Honterus, 2016) und ,,Du bist mein Kreuz / Tu ești crucea mea“ (Honterus, 2020).