Wenn man nicht wegschauen kann

Caty Roos und die Eltera-Stiftung: gelebte Solidarität

Eltera als frohe und engagierte Gemeinschaft: Mitarbeiter, Freiwillige, Freunde und Kinder.

Caty Roos kann Kindern ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Auch in Sambia ist Hilfe willkommen. Fotos: www.eltera.org

„Eltera ist ein Buch, und wir, die Freiwilligen, schreiben jeden Tag eine neue Seite. Die meisten unserer Kinder können noch nicht lesen, aber wir hoffen, dass sie unser Beispiel verstehen können.”

Die Kraft des Beispiels soll aber nicht nur Kinder erreichen, die aus verschiedenen Gründen der Schule fern bleiben, sondern kann auch als Botschaft gelten. Eine Botschaft an uns, die wir zu oft wegschauen von Kindern, die vernachlässigt werden, von Familien, die in bitterer Armut überleben, von Menschen am Rande der Gesellschaft, die krank und verlassen sind.

Maria Ecaterina Roos, kurz Caty genannt, kann nicht akzeptieren, dass Kinder leiden müssen, dass sie Unsicherheit und Angst als etwas Selbstverständliches in ihrem Leben kennenlernen. Die heute 37-jährige Kronstädterin kann schon seit bald zwei Jahrzehnten nicht mehr gleichgültig bleiben. In Temeswar/Timișoara hatte sie als Studentin ohne zu Zögern zwei kleine Brüder aus ihrem trost- und zukunftslosen Bettlerdasein praktisch „freigekauft“. Sie zahlte deren Vater den Monats-Erlös aus, mit dem dieser aus der Bettelei seiner Kinder rechnete, und kümmerte sich selbst um die Kleinen, indem sie sie nach Kronstadt/Bra{ov mitnahm. Die beiden Geschwister, Elvis und Rafael, sind heute Erwachsene, die ihren eigenen Weg im Leben gefunden haben, die aber nicht vergessen haben, wem sie das verdanken. Zu den beiden kam zunächst Teresa hinzu und später Roxana und Oana, beide aus einem Kinderheim zur Adoption freigegeben. Die ersten Vornamen-Silben von Elvis, Teresa und Rafael sollten später namensgebend für die Stiftung „Eltera“ werden. 

Etwas rastlos sei sie, stets mit mehreren Projekten beschäftigt und all das, um zu helfen – so wird  Caty von ihrem Ehemann Matthias Roos beschrieben. Kennengelernt haben sie sich vor rund fünf Jahren, als der Trompeter aus Deutschland mit der Blaskapelle „Aalbachtal-Express“ am Kronstädter Oktoberfest aufspielte. Heute hat sich Matthias an das rege Treiben und die vielen Besuche in der gemeinsamen Wohnung gewöhnt und ist selbst Teil der Eltera-Hilfskampagnen geworden. Die gemeinsame Tochter Sofia ist die Jüngste im Bunde, stets mit dabei und stolz, dass ihre Mama „tausende von Kindern“ hat.

Als Vorsitzende der Eltera-Stiftung initiiert und leitet Caty Roos inzwischen Hilfskampagnen, die durch Spenden von Unternehmen und Privatpersonen möglich sind. Aktionen, an denen sich auch eine beherzte Gruppe von Freiwilligen mitbeteiligt. Nutznießer sind Familien, die aus eigener Kraft kaum über die Runden kommen; vor allem deren Kinder, für die der Schulbesuch kein Luxus bleiben darf, von dem sie ausgeschlossen werden, sondern die Chance für eine gesicherte Zukunft. Ein Beispiel wäre die Unterstützung für die „Stallkinder“ aus Schweischer/Fișer. Im dreisprachigen Blog (rumänisch, englisch, deutsch)  auf der Webseite der Stiftung (www. eltera.org) werden die Umstände beschrieben, in denen fünf Kinder wohnen und für die Schule lernen:
„Wir fanden die Kinder in einem kleinen Raum, der an den Stall angebaut war. Sie hatten zwei Betten und einen Holzofen. Ihre Kleidung wurde in Kisten aufbewahrt. Fünf kleine Kinder und ihre Eltern leben in diesem Zuhause.
Die Schule liegt eine Schlammstraße von zu Hause entfernt, ihre Kleider tragen den Geruch von Tieren und Rauch und ihre ungewaschenen Hände halten sich auf dem Weg zur Schule und unter den Tischen gegenseitig fest. Sie haben keine Hefte und Stifte, also sitzen sie einfach hinten in der Klasse und versuchen, so leise und unbemerkt wie möglich zu sein. Und sie scheinen sehr lange Zeit unbemerkt geblieben zu sein. 

Jeden Morgen eilt ihre Mutter zu den Tieren hinaus. Sie hat keine Zeit und kein Essen, um mit den Kindern zu frühstücken. Sie werden allein gelassen und die Älteren helfen den Jüngeren, sich vorzubereiten. Sie machen sich zu jeder Zeit auf den Weg zur Schule. Sie wissen nicht, wie spät es ist. Es gibt keine Uhr an der Wand, und wenn es eine gäbe, wüssten sie nicht, wie sie zu lesen ist.
Sie kennen auch keine Wochentage. Sie wissen, dass die Woche vorbei ist, wenn der Lehrer sagt: ‘Morgen keine Schule!’“

Das war 2019 zu einer Zeit ohne Coronavirus-Pandemie. Zusammen mit der Schweischer Dorfschule und mit Unterstützung von Freiwilligen wurde jeden Mittwoch und Freitag nach den Schulstunden zunächst ein gemeinsames mitgebrachtes Mittagessen genossen, mit allem was dazu gehört: Händewaschen, Besteck und Serviette, Gebet sprechen. Anschließend spülen und trocknen Freiwillige mit Unterstützung der Kinder das Besteck und die Tassen. Nachher wird gelernt und groß ist die Freude, wenn Buchstaben zu Worten und Sätzen aneinandergereiht werden, die geschrieben und gelesen werden können. In Würde zu leben - das wird den Kindern vermittelt, beginnend mit der Wahrung der Sauberkeit zu Hause und im Dorf, bis hin zu einem gestärkten Selbstwertgefühl, zum Beispiel mit einer kleinen, von Eltera ermöglichten Geburtstagsfeier. Dass die Helfer dabei ihre Schützlinge nicht von oben herab behandeln, ist auch ein Zeichen der Wertschätzung. „Wir sind so stolz auf diese Kinder!“ heißt es schlussfolgernd am Ende des Beitrags. Inzwischen sind diese Aktivitäten zu pädagogischen Unterstützungspunkten, zu sogenannten „Kinder-Clubs“ herangereift. Davon gibt es zwei im Kreis Kronstadt und zwei im Kreis Buzău. Als wegen Corona die Schulen geschlossen werden mussten, wurde auch das Nachschulprogramm eingestellt. Dennoch wurden den Kindern weiterhin Bücher, Hygieneartikel, Medikamente und Lebensmittel nach Hause geliefert.

Eltera hilft auch armen Familien, indem sie ihnen ermöglicht, einen Gemüsegarten, ein Kartoffelfeld und ein Gewächshaus zu pflegen. Dabei trifft man sich regelmäßig, spricht mit-einander, feiert gemeinsam und lernt sich besser kennen. Beeindruckend für die Stadtmenschen: die Selbstverständlichkeit und Bereitschaft, mit der zwei Großmütter im Dorf die Rolle der abwesenden Mütter übernehmen – ein generationsübergreifendes Verantwortungsgefühl, aller-dings eher einseitig, von Alt zu Jung.

Im Winter 2019 hat Eltera nach Nussbach und Arini ein Ärzteteam als „Wanderklinik“ gebracht und konnte so medizinische Beratung und Behandlung für 52 Kinder zwischen acht Monaten und fünfzehn Jahren sichern, verbunden mit einer Spendenaktion von Mützen, Handschuhen und Socken, wobei auch Spielsachen nicht fehlten. Die Begegnung mit den Ärzten war für den neunjährigen Luca schicksalshaft: Für die nötige Operation an beiden Augen konnte ein Arzt in Kronstadt vermittelt werden, der sich anbot, diese Eingriffe kostenlos vorzunehmen. Für Sara hatte die Wanderklinik einen nichtärztlichen Nebeneffekt: Sie will nun ihre Schulausbildung wieder aufnehmen und beenden, um irgendwann dem Ärzteteam helfen zu können. Die Schule hatte sie in der achten Klasse abgebrochen, weil sie es, als einzig verbliebenes Mädchen in der Klasse, eher vorzog, zu Hause zu bleiben, ihrer Mutter zu helfen und auf die kleineren Geschwister aufzupassen. Weitere Eltera-Projekte samt Spendenmöglichkeiten werden auf der Webseite der Stiftung beschrieben. Unter ihnen auch die Sommercamps mit Ausflügen nach Kronstadt samt Zoo-Besichtigung (für manche Kinder die erste größere Ausfahrt) mit Beteiligung einiger „Leih-Großmütter“ vom Schweischer Altenheim.

Oder der persönliche Einsatz von Caty Roos für Kinder in Sambia. Dort war sie bereits als Freiwillige vor einigen Jahren und war stark beeindruckt von der Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Bevölkerung, selbst wenn diese unter Hunger und großer Armut leidet. Caty hatte die Kinder einer Schule in Luanshya besonders in ihr Herz geschlossen. Zusammen mit anderen rumänischen Helfern brachte sie Geld für 1600 Essensportionen auf und kümmerte sich selbst um die Zubereitung und Austeilung dieser Mahlzeiten. 

Für dieses Jahr hatte sie versprochen, wiederzukommen. Organisieren will sie, zusammen mit Matthias Roos, je ein warmes Mittagsmahl für zwei Wochen für 400 Schulkinder. Das Versprechen muss natürlich auch eingehalten werden: Am 16. Oktober traten die beiden die Reise zu den Freunden aus Afrika an.