„Wenn man sich als Freunde bezeichnet, darf man sich manchmal so richtig die Meinung sagen“

Gespräch mit dem Historiker Dr. Heiner Wittmann über die deutsch-französischen Beziehungen

Dr. Heiner Wittmann sprach in Temeswar über 50 Jahre Élysée-Vertrag. In die Stadt an der Bega kam er auf Einladung des Deutschen Kulturzentrums und des Französischen Instituts.
Foto: Zoltán Pázmány

Er hat Romanistik, Geschichte und Politikwissenschaften in Paris und Bonn studiert und betreibt seit 2006 einen gut besuchten Frankreich-Blog. Dr. Heiner Wittmann, Spezialist in deutsch-französischen Beziehungen, kam vor Kurzem nach Temeswar, wo er anlässlich des 50. Jahrestags seit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags zwei Vorträge – auf Deutsch und Französisch – hielt. Unter www.france-blog.info können Interessenten zahlreiche Artikel lesen, die die Entwicklung der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Laufe der Jahre widerspiegeln. ADZ-Redakteurin Raluca N e l e p c u traf Dr. Wittmann in der Nikolaus-Lenau-Schule und führte mit ihm folgendes Gespräch.

Herr Dr. Wittmann, von wo dieses Interesse Ihrerseits für die deutsch-französischen Beziehungen?

Ich selbst habe 1976, nach dem Abitur, mit dem Studium in Paris angefangen. Am Institut für Politische Studien habe ich vor allen Dingen den Alfred Grosser-Vorlesungen beigewohnt. Alfred Grosser ist ja einer der wichtigsten Mittler zwischen Deutschland und Frankreich. Bei ihm habe ich so richtig die Art und Weise gelernt, wie wichtig es ist, sich für die Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich einzusetzen.

Warum halten Sie es für wichtig, dass Schülerinnen und Schüler diesen Aspekt der Geschichte kennenlernen?

Zwischen Deutschland und Frankreich ist ein richtiger Friede entstanden. Es ist wichtig, dass Schüler heute lernen, dass es nicht darum geht, dass zwei Länder kooperieren oder gar die Vormachtstellung in Europa haben wollen. Schüler sollten diese Geschichte kennen, weil es vor allem für die Zukunft Europas wichtig ist. Ich habe das auch in meinem Vortrag ein bisschen angedeutet, dass der Élysée-Vertrag, in dem beschlossen wurde, dass die beiden Länder künftig zusammenarbeiten wollen, ein wichtiger Exportartikel für die Welt war, dass Länder, die sich nicht miteinander verstehen, ein Abkommen schließen, dass sie sich künftig regelmäßig treffen werden. Das ist die gute Grundlage für einen Ausgleich. Der Élysée-Vertrag ist ein Erfolg für Europa geworden. In Deutschland und Frankreich sollte natürlich mehr Französisch bzw. Deutsch gelernt werden, das ist auch wichtig.

Und trotzdem: In beiden Ländern nimmt die Zahl derer ab, die Deutsch bzw. Französisch lernen. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel verständigt sich mit dem französischen Präsidenten François Hollande mit Hilfe von Dolmetschern oder auf Englisch. Wie kommentieren Sie das?

Es ist klar, dass nicht alle Politiker in Deutschland auch Französisch können. Es ist natürlich auch schade. Aber wir haben im Augenblick die hervorragende Situation, dass der französische Premierminister Jean-Marc Ayrault Deutschlehrer ist und sich perfekt mit Frau Merkel auf Deutsch unterhalten kann. Das ist natürlich ausgesprochen wichtig. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass Hollande bei seiner Wahl versprochen hat, dass der Artikel 20 der Verfassung befolgt wird, nämlich dass die Regierung, nicht der Präsident, die Regierung, die die Politik der Nation bestimmt, mehr in den Vordergrund gerückt wird. Bei allen Treffen spricht man ja immer nur von dem Präsidenten und von der Kanzlerin, aber der Premierminister saß im Bundestag neben Frau Merkel – ich habe das von der Pressetribüne aus beobachtet – und die beiden haben dauernd miteinander getuschelt. Und sie fast mehr mit Ayrault als mit Hollande.

Dennoch konnten wir oft beobachten, dass beide Staaten unterschiedliche Ziele verfolgt haben – gerade bei der Eurokrise war dies deutlicher denn je. Gibt es diese  Freundschaft wirklich oder ist es eher nur eine gewisse Freundschaftsrhetorik?

Wenn man sich als Freunde bezeichnet, darf man sich manchmal so richtig die Meinung sagen. Das hält eine Freundschaft aus, die gut ist. Die Eurokrise ist eine wichtige Zeit gewesen, weil sich in der Zeit zuerst Sarkozy und Frau Merkel überhaupt nicht verstanden haben, aber es blieb ihnen gar keine andere Chance, als einen Ausgleich zu finden. Ich habe in meinem Vortrag die deutsch-französische Methode skizziert, so wie sie Frau Miard-Delacroix von der Sorbonne bei einem Vortrag in Stuttgart aufgezeigt hat: Zuerst stellt man fest, wo man unbedingt drauf beharren muss, die Parameter, die ganz wichtig sind, und dann die Möglichkeiten, einen Kompromiss zu finden, und dann findet man die entsprechende Linie. Und diese deutsch-französische Methode ist zwischen Sarkozy und Merkel mit Erfolg probiert worden. Frau Merkel wollte manche Sachen nicht, man sagt, es gab rote Linien, die nicht überschritten werden durften, aber der französische Präsident hat ihr klar gemacht, das muss gemacht werden, und auf diese Weise haben beide eine richtig gute Lösung gefunden. Die Griechenland-Krise ist bis jetzt zwar nicht gelöst, aber sie ist auf dem guten Weg, gelöst zu werden, und das ist auch ein Verdienst der deutsch-französischen Zusammenarbeit.

Auch der französische Präsident François Hollande hatte mal behauptet: „Man ist nicht Freund, man wird es“. Wie sehen Sie die Zukunft der deutsch-französischen Freundschaft?

Ich bin mir sicher, dass François Hollande und Angela Merkel noch mehr zusammenarbeiten werden. Ich erhoffe mir, dass man natürlich wieder in eine Situation kommt wie in der Hoch-Zeit der deutsch-französischen Beziehungen unter Giscard und Helmut Schmidt, wo man in den deutsch-französischen Beziehungen in wirtschaftlicher Hinsicht einen großen Sprung nach vorne gemacht hat. Auf jeden Fall spricht man von gewissen Schwierigkeiten, die im Augenblick zwischen beiden Ländern existieren, diese darf man aber nicht überbewerten. Man spricht immer davon, wenn der Motor ein bisschen stottert, man spricht nie über den Motor, wenn er rund läuft. Das ist wie bei den Zügen der Bundesbahn. Man spricht nur über die Züge, wenn sie Verspätung haben, denn wenn wir über die Züge sprechen würden, die pünktlich ankommen, dann würden wir nichts mehr anderes tun. So ist es auch im deutsch-französischen Verhältnis, wo wir meist nur über Probleme diskutieren. Die täglichen Erfolge der Zivilgespräche, die tägliche Zusammenarbeit ist aber so beeindruckend, dass wir uns ab und zu auch ruhig die Meinung sagen können. Das ist zum Vorteil von beiden – und zum Vorteil Europas.