Wie sich der Kreis schließt

Wort zum Sonntag

Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: „Sie gefallen mir nicht“; ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, – zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; – ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt. Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat. (Prediger 12,1-7)

Das heutige Bibelwort ist im Grunde genommen ein Gedicht, eine künstlerische Verarbeitung des Lebens-abends und der Art und Weise, wie der Exitus aus dem Leben erfolgen wird. Dem Wort fehlt aber der letzte Satz, der das Buch des Predigers berühmt gemacht hat: „Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.“ (12,8) Man hat sich daran gewöhnt, dieses biblische Buch und diese seine fast letzte Äußerung als Pessimismus einzustufen. Aber der spätantike Verfasser  denkt nicht in den modernen Kategorien der Lebenseinstellungen. Ihm geht es um eine eigentlich simple Feststellung: Alles ist Windhauch! (Denn dieses Wort steht in der hebräischen Bibel für etwas Eitles, Vorübergehendes.) 

Alles ist wie der Windhauch: Alles entsteht, hält eine Weile und verschwindet. Das ist kein Pessimismus, das ist Realismus. Also ist der Prediger ein Realist, und dieser Realismus sorgt nicht nur für traurige Feststellungen, sondern auch für eine gesunde und ausgewogene Einstellung zu einem Leben in und voller Freude: „So geh hin und iss dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dein Tun hat Gott schon längst gefallen. Lass deine Kleider immer weiß sein und lass deinem Haupte Salbe nicht mangeln. Genieße das Leben mit der Frau, die du lieb hast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat; denn das ist dein Teil am Leben und bei deiner Mühe, mit der du dich mühst unter der Sonne. Alles, was dir vor die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft, das tu; denn im Totenreich, in das du fährst, gibt es weder Tun noch Denken, weder Erkenntnis noch Weisheit.“ (9,7-10).

Der Prediger fordert also zu carpe diem auf, das Leben soll man als Gottes gute Schöpfung genießen und Freude an ihm haben. Das Leben mit seiner Windhauch-Geschwindigkeit genießen zu können ist in der Tat eine Kunst. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass der Prediger nicht ein hedonistisches Genießertum oder ein Leben voller Exzesse damit meint, sondern vielmehr ein Leben in echter, nachhaltiger Freude, gekennzeichnet durch Mäßigkeit, Ausgewogenheit und Erfüllung. Und dabei denkt er von der Schöpfung her. Dass ich einen Schöpfer habe, der mich erschaffen und der für mich sorgt, bis ans Ende. Der Trost für den Prediger besteht nicht in der Enthaltsamkeit hier, um dadurch im Jenseits ein üppiges Leben zu führen, sondern in einem erfüllten Leben hier, wobei der Schöpfer als Garant und Schutzmacht für eine freudige Lebensweise und einen geordneten und leichten Abgang steht. In einer Gesellschaft, die an Sippschaft und Familie orientiert war, konnte eine Weiterexistenz als Einzelseele, als Individuum nicht sinnvoll erschienen sein, vielmehr aber die Rückkehr zu dem Schöpfer, der ohnehin trägt und segnet und als Schöpfer auch der Urheber der Freude ist.

Zwar stößt die Feststellung des wie ein Windhauch dahinschwindenden Lebens an die Grenzen der klassisch-israelitischen Vorstellung der Unmöglichkeit eines Weiterlebens der Einzelseele nach dem Tod, die Mahnung des Predigers aber an den Schöpfergott zu denken und daran, dass der Mensch wieder zum dem Staub zurückzukehren hat, aus dem ihn Gott schuf, verdeutlicht also um so besser die Geborgenheit und die Fülle des Lebens, die Er uns hier auf Erden schenkt, wofür wir ihm dankbar sein wollen. Amen.