Wie viele Kirchenburgen gibt es heute, wie viele hat es früher gegeben?

Ländliche siebenbürgisch-sächsische Wehrbauten: Kirchenburgen, Wehrkirchen, Bauernburgen, Fliehburgen

Komplexe gut erhaltene Kirchenburg: 1. Kirchhof, 2. Zwinger 3. Kirche, 4. erhöhter Chor, 5. Bergfried, Glockenturm, 6. Torturm, 7. Ringmauer, 8. Zwingermauer, 9. Scharwachtürmchen, 10. Flankierungsturm, 11. Kampfhaus, 12. Eckturm, 13. Gaden, Fruchthaus, 14. Rathaus, 15. Wehrturm über Kirchenportal, 16. Kapelle, 17. Wehrgang auf Bögen, 18. Wurfschartenreihe, Maschikulis, 19. Turmwehrgang, 20. Ringmauer mit Wurfschartenreihe.

Wehrkirche: 1. Kirche, 2. Glockenturm, 3. Wehrgeschoss über der ganzen Kirche, 4. Wehrbögen, 5. Ringmauer

Gräfenburg: 1. Bergfried, 2. Torwehre, 3. Kapelle, 4. innerer Burghof, 5. Zwinger

Höhenburg: 1.Burghof, 2. äußerer Bereich, Zwinger, 3. Mauertürme, 4. Torbefestigungen, 5. Hauptmauer, 6. Zwingermauer, 7. Gaden

Burgberg in der Nähe des Dorfes: 1. Torturm, 2. Palisadenbefestigung, 3. das Dorf am Fuße des Berges

Die siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen haben zurzeit Hochkonjunktur, sie werden von verschiedensten Institutionen als wertvolle Baudenkmäler, vor allem touristisch aber auch wissenschaftlich angepriesen. Neuerdings gibt es sogar einen „Kulturbotschafter der Kirchenburgen“, der im Rahmen des Projektes „Entdecke die Seele Siebenbürgens“ für das wertvolle Erbe werben soll (ADZ vom 29. August 2013, S. 6). Die Informationen, Definitionen und Zahlenangaben, die dabei zur Verwendung kommen, sind oft, abhängig von der Seriosität der Institution, der anvisierten Zielgruppe und den öffentlichen Medien, sehr verschieden. Besonders wenn es um die Zahl der noch vorhandenen oder im Mittelalter existenten Kirchenburgen geht, werden immer wieder stark voneinander abweichende Ziffern genannt. Nach Hermann Phleps ergeben sich in einer Karte im Artikel „Die bäuerliche Wehrkunst der Siebenbürger Sachsen“ (in Heinrich Zillich, „Siebenbürgen, ein abendländisches Schicksal“, Königstein im Taunus, 1957, S. 112) folgende Zahlen: 74 erhaltene Kirchenburgen, 46 zum Teil erhaltene Kirchenburgen – zusammen 120 –, 83 abgetragene Kirchenburgen, 74 Berge mit einem auf Schutz oder Burg hinweisenden Namen. Walter Horwath behandelt in seinem Buch „Siebenbürgisch-sächsische Kirchenburgen, baugeschichtlich untersucht und dargestellt“ (Hermannstadt 1940) 50 Kirchenburgen aus Südsiebenbürgen ohne Beispiele aus dem Burzenland.

In seinem Buch „Istoria arhitecturii în România“ (Bukarest 1981, S. 172) gibt Gheorghe Curinschi Vorona als Gesamtzahl der Kirchenburgen 300 an. Diese Zahl finden wir auch bei George Oprescu („Bisericile Cetăţi ale Saşilor din Ardeal”, Bucureşti 1957, S. 6). Dazu schreibt er: „Heute ist die Zahl der Baudenkmäler, die diesen Namen verdienen, auf höchstens zweihundert gesunken.” In dem erwähnten Artikel „Kirchenburgen erhalten Kulturbotschafter“ aus der ADZ heißt es: „Grundgedanken sind in der siebenbürgischen Variante der Erhalt und die Pflege des Kulturerbes der Siebenbürger Sachsen, das mehr als 180 Kirchen und Kirchenburgen umfasst.“ Auf einer Internetseite wird angegeben, dass im Siedlungsgebiet der Sachsen rund 300 Kirchenburgen entstanden sind, von denen etwa 140 in unterschiedlichem Erhaltungszustand vorhanden sind (www.kirchenburgen.ro).

In dem Buch „Das wehrhafte Sachsenland“ von Arne Franke werden in der Einleitung auch diese beiden Ziffern genannt (Arne Franke, „Das wehrhafte Sachsenland, Kirchenburgen im südlichen Siebenbürgen“, Potsdam 2007). Auf der Seite de.wikipedia.org. kirchenburgen in siebenbürgen steht: „In Siebenbürgen (Rumänien) sind etwa 150 Kirchenburgen und Wehrkirchen, die seinerzeit zur Verteidigung gegen Türken- und Tataren-Einfälle erbaut wurden, in teilweise sehr gutem Zustand erhalten geblieben“. Eine andere Information erhält man auf Kirchenburgen von Siebenbürgen-Rumänien www.rumaenien-info.at. Dort heißt es: „Somit sind über 200 Kirchenburgen entstanden, von denen 100 bis heute erhalten sind. Jede ist für sich ein Unikat“. Auf www.weltkulturerbe.com finden wir das Zitat: „Die rumänische Provinz Siebenbürgen (od. Transilvanien) beherbergt eine einzigartige Anzahl von wehrhaften Kirchenburgen. Insgesamt 150 solcher Gotteshäuser wurden dort erbaut“. Unter http://ro.wikipedia.org/wiki/Lista localităţilor cu biserici fortificate din Transilvania sind für das Sachsenland 93 und für das Szeklerland 29 Ortsnamen angegeben. Eine andere Liste finden wir unter http://ro.wikipedia.org/wiki/Liste von Kirchenburgen und Wehrkirchen in Siebenbürgen, dort werden 126 sächsische und 22 szeklerische Ortschaften angeführt.

In der 2013 von dem Medieninhaber und Verleger S. C. Schubert & Franzke S.R.L. in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geisteswissenschaften Hermannstadt herausgegebenen Karte „Süd-Siebenbürgen, Land der Kirchenburgen“, werden 123 Ortschaften genannt, die Bezug zum Thema Kirchenburgen haben, davon sind 24 mit einem Stern, 13 mit zwei Sternen und 6 mit drei Sternen (die Städte Schäßburg, Hermannstadt und die Kirchenburgen in Birthälm, Wurmloch, Deutschweißkirch und Tartlau) entsprechend ihrem touristischen und kunsthistorischen Wert hervorgehoben. Leider fehlen mehr als 50 Ortschaften, die in diesem Zusammenhang auch verdient hätten, auf der Karte eingezeichnet zu werden, wie z. B. Almen, das zwar im Begleittext erwähnt wird, aber auf der Karte nicht erscheint, weiterhin Bulkesch, Neithausen, Meeburg, Dobring, Schaal u. a. Dazu steht im Begleittext der Satz: „Von den Kirchenburgen sind nur jene 70 verzeichnet, die besser erhalten sind“, allerdings können die vorher erwähnten Baudenkmäler auch zu den gut erhaltenen Kirchenburgen gerechnet werden, dementsprechend werden sie auch in dem Kirchenburgenbuch von Walter Horwath einzeln behandelt.
Die Auflistung unterschiedlicher Angaben könnte noch beliebig fortgesetzt werden. Es sollte schon hier klar geworden sein, dass der Bedarf an einer genaueren Untersuchung, nach vorheriger Klärung der einschlägigen Begriffe, evident geworden ist.

Die Untersuchung der mittelalterlichen Wehrbaukunst in den von Siebenbürger Sachsen bewohnten Gebieten erlaubt eine erste Unterteilung in Bauten im städtischen und ländlichen Bereich. Die städtischen Wehrbauten in den sieben siebenbürgischen Städten sind vor allem Stadtmauern mit Wehrtürmen und stellen ein eigenes Forschungsgebiet dar. Gehen wir auf den ländlichen Teil näher ein, so finden wir in Siebenbürgen bei einer ersten Gliederung Wehranlagen die innerhalb und außerhalb der ländlichen Ortschaften errichtet wurden.

Bei der erste Gruppe, die bei den heute erhaltenen Beispielen zahlenmäßig weitaus größer ist, handelt es sich um Kirchenburgen, Wehrkirchen und Gräfenburgen. Bei der zweiten Gruppe unterscheiden wir außerhalb der Ortschaften, meistens auf strategisch günstigen Anhöhen, Fliehburgen, Bauernburgen, Königsburgen, Grenzburgen und Burgen der Adligen. Ihre Anzahl könnte, wenn wir davon ausgehen, dass vielerorts ein Berg in der Nähe der Ortschaft den Flurnamen einer Burg trägt, im Mittelalter bedeutend größer gewesen sein als heute erkennbar. Da es sich, besonders in der Zeit der Einwanderung der Sachsen, wohl um einfache Holz-Erde-Befestigungen gehandelt hat, können sie heute bestenfalls archäologisch dokumentiert werden.

I. Kirchenburgen innerhalb der Ortschaften. Es sind befestigte mittelalterliche Kirchen, die mit wehrhaften Elementen ausgestattet (Wehrkirche), meist aber mit einer Ringmauer mit Türmen und Toren umgeben ist. Die Kirchenburg diente zum Schutz der Bevölkerung vor Überfällen, Plünderei und Belagerung. Um möglichst kurze Wege vom Wohnhaus zur Burg zu haben, hat man vielerorts davon abgesehen, Fliehburgen außerhalb des Dorfes zu bauen, und hat anstelle die Kirchen in den Ortschaften befestigt.
Innerhalb dieser Gruppe können einige Untergruppen benannt werden:

A. Vom Standpunkt der Verteidigung

1.Kirchenburgen, bei denen der Schwerpunkt der Verteidigung zu einem größeren Prozentsatz auf dem Bering liegt.
2.Wehrkirchen wo der Schwerpunkt der Verteidigung auf der Befestigung der Kirche liegt und die Ringmauer eine sekundäre Rolle hat.
3.Gräfenburgen, wo die Verteidigung durch einen Bergfried und eine Ringmauer gewährleistet wird. Obwohl keine Kirchenburgen im eigentlichen Sinn, werden sie, ihrer geringen Zahl wegen, auch in dieser Kategorie behandelt.

B. Vom Standpunkt der Nutzung

1. Fluchtburgen der dörflichen Bevölkerung
2. Gräfenburgen
3. Burgen von Adligen, werden hier nicht behandelt.

C. Vom Standpunkt des Erhaltungszustands

1. Gut erhaltene Kirchenburgen, bei denen sowohl die Kirche als auch die Wehranlagen zu einem hohen Prozentsatz in ihrer mittelalterlichen Form erhalten geblieben sind (Beispiele: Almen, Bogeschdorf, Hetzeldorf, Kelling, Kleinschelken, Wurmloch). Diese Burgen können die Basis für einen Kulturweg der Kirchenburgen bilden. In dieser Kategorie können 82 Beispiele identifiziert werden.

2.    Kirchenburgen, bei denen Teile der mittelalterlichen Kirche oder der Ringmauer im Lauf der Zeit verloren gegangen sind, sie haben einen geringeren Prozentsatz Originalsubstanz, wie die vorige Gruppe, können aber auch als Kirchenburgen bezeichnet werden (Beispiele: Großalisch, Keisd, Martinsdorf, Nadesch, Scharosch/Fogarasch). Hier zählen wir 67 Beispiele, zusammen mit der vorigen Kategorie 149.

3. Verschwundenen Kirchenburgen, deren Existenz anhand von archäologischen Untersuchungen, alter grafischer Darstellung oder anderer dokumentarischer Quellen mit Sicherheit nachgewiesen werden kann (Beispiele: Großlodges, Heldsdorf, Hamlesch, Leblang, Seiburg). 12 Beispiele, zusammen mit den vorigen Baudenkmälern 161.

4.    Kirchen, bei denen aufgrund ihrer geografischen oder städtebaulichen Lage das Vorhandensein von Befestigungen angenommen werden kann: 34 Beispiele.

Das ergibt zusammen 195 vorhandene und angenommene Kirchenburgen.

5. Mittelalterliche Kirchen in siebenbürgisch-sächsischen Dörfern, davon erhaltene mittelalterliche Kirchen 52, durch neuere Kirchenbauten ersetzte Kirchen 25, zusammen 77.

II. Höhenburgen außerhalb der Ortschaften, auf einer Anhöhe gelegene Wehranlage


Nach den Erbauern

1. Vorhandene Fliehburgen: Von Dorfbewohnern einer oder mehrere Ortschaften (Beispiele: Rosenau, Stolzenburg, Keisd, Heldenburg) gebaut, 12 Beispiele.

2. Verschwundene Fliehburgen: Auf einer Anhöhe, einem Hügel oder Berg gelegene Burg, durch Stein-Holz-Erd-Wälle, auch durch Palisaden und Gebück befestigter Bezirk, welcher den Bewohnern der Umgebung als Zufluchtsort diente. Wehranlagen, die heute größtenteils durch Flurnamen (Burchrech, Burchrich, Burich, Birich, Burchtelrech, alte Burg, Burgweg, Burggrund, große Burg, kleine Burg, Kuruzenburg u. a., nach Heinrich Zillich - Hermann Phleps a. a. O. S. 106) erkenntlich sind. Nach der Siebenbürgenkarte von Phleps gibt es hierfür 74 Beispiele.

3. Königliche Grenzburgen und 4. Burgen von Adligen. Diese beide Gruppen stellen ein gesondertes Thema dar und können nicht im Rahmen dieses Beitrags behandelt werden.

Kommen wir zusammenfassend nochmals auf die eingangs gestellte Frage zurück: Wie viele Kirchenburgen gibt es heute und wie viele kann man annehmen, dass es im Mittelalter gegeben hat? Die Antwort lautet nach unsern Untersuchungen: Heute kann man von 149 Baudenkmälern sprechen, die diese Bezeichnung verdienen. Davon sind 82 in relativ gut erhaltenem Zustand. Zu der Zeit, als sie der Verteidigung der Bevölkerung dienten, kann ihre Zahl mit 195 angenommen werden. Wenn wir von erhaltenen siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und mittelalterlichen Kirchen sprechen, so kann man von 201 Bauten ausgehen. Nehmen wir noch die im Lauf der Zeit abgetragenen und ersetzten Bauten dazu, so reden wir von 241 Objekten.

Wenn wir alle Sakralbauten der Sachsen erfassen wollen, so müssen wir auch die Kirchen untergegangener Ortschaften berücksichtigen (z. B. Underten, Wordt, Fettendorf, Furkeschdorf, Weißdorf u. a.) und die Kirchen in Ortschaften, deren sächsische Bevölkerung schon im Mittelalter oder später ausgestorben ist (z. B. Ziegenthal, Eulenbach, Untergesäß, Krakau, Krapundorf, Großlogdes, Reichau u. a.). In diesem Fall kommt man zu einer Zahl, die in der Nähe von 300 liegt, die Zahl, die in den anfangs zitierten Texten öfters vorkommt. Allerdings darf sie nicht für einmal vorhandene Kirchenburgen eingesetzt werden.

Sicher können die oben genannten Zahlen sich durch zukünftige archäologische, geschichtliche und baugeschichtliche Studien noch ändern, wir sind jedoch der Ansicht, dass durch diese Untersuchung, ähnlich wie die Studie von Hermann Phleps für jene Zeit, ein fundierter Rahmen für die heutige Situation gegeben ist.