Wodka, Trockensauna und Traktorfahren

Wodka trinken („aber nicht während der Arbeit“), in die Trockensauna gehen („Die Chinesen haben uns gesagt, dieses Virus stirbt bei 60 Grad“) und einfach drauflosarbeiten in der Landwirtschaft, „am besten auf dem Feld, mit einem Traktor (...) Leute auf dem Dorf arbeiten mit dem Traktor, keiner spricht über die Viren. Dort wird der Traktor alle heilen, das Feld wird alle heilen.“ Das sind, neben dem „banalen“ Händewaschen, die Empfehlungen des „letzten Diktators Europas“, des seit 26 Jahren im Amt befindlichen Alexandr Lukaschenko (65) aus Weißrussland, ein ehemaliger Kolchosdirektor, an sein 9,5-Millionen-Volk.

Laut Angaben des Menschenrechtszentrums Wjasna aus Minsk sind im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom letzten Sonntag allein seit Mai mehr als tausend Menschen festgenommen worden. Lukaschenko schürt vor seiner voraussehbaren Wiederwahli Ängste, indem er die Bevölkerung aufruft, „Versuchen einer Destabilisierung der Lage im Land zu widerstehen, die zum Verlust der Unabhängigkeit führen kann.“ Die Nesawissimaja Gazeta zitierte den Politologen Andrej Porotnikow: „Die Staatsmacht versucht, der Bevölkerung einzuflößen, dass ihre Wahl dem Muster folgen wird: Lukaschenko oder Krieg!“

Dass Lukaschenkos ernsthafteste politische Gegnerin eine Frau ist, sieht der Diktator gelassen: „Unsere Gesellschaft ist noch nicht reif dafür, eine Frau zu wählen.“ So apodiktisch denkt die Frauenkoalition nicht, die – zumindest dem Interesse nach, das ihre Wahlkampfauftritte geweckt haben – überhaupt keine Ängste in dieser Richtung hat. Denn die Haupt-Gegenkandidatin Lukaschenkos, Swetlana Tichanowskaja (37), Übersetzerin, die Frau des eingesperrten Bloggers Sergej Tichanowski, hat zwei starke Frauen an ihrer Seite: Maria Kolesnikowa, die Wahlkampfmanagerin des ebenfalls eingesperrten Bankiers Viktor Babariko (er galt als aussichtsreichster Gegenkandidat Lukaschenkos) und Veronika Tsepkalo, deren Mann Waleri, ein Unternehmer und Ex-Botschafter in den USA, nicht als Präsidentschafts-Kandidat zugelassen wurde. Das Wahl-Logo der „Frauenkoalition“ besteht aus Herz, Faust und den V-Fingern.

Setzt man die Republik Belarus in den internationalen Kontext, dann drängt sich für Lukaschenko die Nähe zu den bis zur Stupidität das Vorhandensein der Corona-Ansteckungsgefahr verneinenden Autokraten von Typus Trump auf, während Swetlana Tichanowskaja in die Nähe einer Jacinda Ardern aus Neuseeland, von Angela Merkel, der Finnin Sanna Marin oder der Taiwanesin Tsai Ing-wen rückt, von starken Frauen, die durch Klugheit, Bedachtsein und Umsicht ihre Länder durch die Gesundheitskrise steuern.

Dass Tichanowskaja als Gefahr für Lukaschenko empfunden wird, beweist am besten die Tatsache, dass ihre Familie telefonisch bedroht wurde und sie ihre Kinder (fünf und zehn Jahre alt) zu Verwandten ins EU-Ausland in Sicherheit bringen musste: „So sieht die Sicherheit einer Familie im 21. Jahrhundert im Zentrum Europas aus.“ Zu ihren prominenten Unterstützerinnen gehört auch die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch: „Ich werde für Swetlana Tichanowskaja stimmen“, sagte sie den Sendern Free Europe und R. Liberty. Und: „Lukaschenko dachte, dass er der Gesellschaft wieder etwas vortäuschen könne. Aber dies ist nicht passiert.“

In Weißrussland heißt der Sicherheitsdienst auch heute KGB. Unabhängige Meinungsumfragen sind verboten. Das freie Wirken der unabhängigen oder ausländischen Medien auch. Fotografen wurden nicht einmal zugelassen, als die Kandidaturen beim zentralen Wahlbüro hinterlegt wurden…. Der Vergleich einer Tichanowskaja mit Ardern, Merkel, Marin oder Tsai Ing-wen hinkt insofern, als die 37-Jährige, die gegen einen Diktator kämpft, nie Gelegenheit hatte, ihre politischen Kompetenzen nachzuweisen.

Vielleicht ist/war gerade das ihr Vorteil.


i dieser Beitrag wurde am Wahlsonntag geschrieben