WORT ZM SONNTAG: Wegbereiter und Wegbereitung des HERRN

Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und  alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.    (Jesaja 40,3 – 5)

Dieses Prophetenwort stammt aus einer Zeit, als die babylonische Herrschaft langsam aber sicher auf ihr Ende zusteuerte. Neue Hoffnung kam unter den Israeliten wieder auf, wiewohl die schweren Exiljahre drei Menschengenerationen geprägt hatten. Das Ende der Deportation des Volkes Israel rückte in greifbare Nähe. Der Perserkönig Kyros, der das babylonische Reich zu Fall bringen sollte, sollte dann tatsächlich auch das Exil aufheben (Edikt des Kyros im Jahr 538 v. Chr.), sodass alle, die dies wollten, auch „nach Hause“ konnten. Wir wissen jedoch, dass damals nicht das ganze Volk aus Babylon nach Israel ging, war doch die „Erlebnisgeneration“ längst gestorben. So mancher blieb im Zweistromland, da dort geboren und dort „integriert“. Die Anfänge dessen, was man „jüdische Diaspora“ nennt, liegen in dieser Zeit. Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass sich die historischen, politischen, sozialen und eben auch die religiösen Gegebenheiten für das Volk Israel grundlegend änderten. Der Traum, wieder im eigenen Land leben zu können, begeisterte. In Jerusalem wurde etwa zwei Jahrzehnte später (515 v. Chr.) der Tempel wieder aufgebaut.

Es ist erstaunlich und hochinteressant, dass ein etwa 2500 Jahre alter Text Arbeitsmethoden des Straßenbaus – die erst in den letzten Jahrzehnten, dank modernster Technik möglich geworden sind – einfach vorwegnimmt. Heute sind Tunnel und Talbrücken im Straßen- und Bahnverkehr eine Selbstverständlichkeit. Vor zweieinhalb Jahrtausenden aber, müssen diese Bilder von erhöhten Tälern und erniedrigten Hügeln in den Bereich des Unerreichbaren und Unmöglichen gehört haben, bzw. konnte die Realisierung solcher Bauten nur im Zusammenhang mit übernatürlichen Kräften gesehen werden. So ist es eine logische Schlussfolgerung, dass diese „Wegbereitung des HERRN“ nur von dem HERRN selbst vorgenommen werden kann, sind doch die Menschen außerstande, eine ihm angemessene Straße zu bauen. Dieses suggestive Bild, dass die Menschen außerstande sind, eine angemessene Straße zu bauen, passt aber (auch nach zweieinhalb Jahrtausenden) haargenau in die Realität des postkommunistischen Rumäniens: Seit mehr als 20 Jahren wird eine Autobahn gebaut bzw. soll ein Autobahnnetz entstehen. Doch wie von unsichtbarer Hand aufgehalten, kommt der Bau nicht voran, und es ist nicht abzusehen, wann diese Autobahn von Südosten nach Nordwesten endlich befahrbar sein wird.

Der Sinn des alttestamentlichen Bildes von einem Weg durch die Wüste ist ein zweifacher: einerseits soll die Herrlichkeit des HERRN gleichsam einer Prozession, aus dem Exil wieder nach Jerusalem einziehen, damit das religiöse Zentrum wieder dahin kommt, wo es hingehört. Andererseits soll natürlich das Volk auf diesem Weg schnellstens wieder in die Heimat kommen.

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Dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden zu ihm sandten Priester und Leviten von Jerusalem, dass sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin nicht der Christus. Und sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elia? Er sprach: Ich bin’s nicht. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie zu ihm: Wer bist du dann? dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Ebnet den Weg des Herrn!“, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. (Johannes 1,19 – 23).

Folgenden Satz las ich bei einem Theologen unserer Zeit: „Propheten locken nicht zur Identifizierung, allenfalls jene Möchtegern-Propheten, die sich in den Mittelpunkt stellen. Propheten bleiben fremd. Sie sprechen uns nur an, wenn ihre Botschaft uns im Innersten trifft.“ (PSt. 2006/2007)

Johannes der Täufer ist eine der merkwürdigsten Gestalten des Neuen Testamentes. Ein Außenseiter ist er. Sonderbare Kleidung trägt er, nämlich ein „Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel“. Ebenso sonderbar sind seine Essgewohnheiten; er ernährt sich von „Heuschrecken und wildem Honig“ (Matthäus 3,4). Und sonderbar ist auch sein Verhalten: Menschen, welche zu ihm kommen, fangen sich zunächst eine ordentliche Standpauke ein: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?“ (Lukas 3,7) Und doch übt Johannes eine fast magische Anziehung aus. Die Leute kommen zu ihm, wie zu einem Heiligen. Sie holen sich Rat für ihr Leben. „Die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir tun?“ (Lukas 3,10) Und sie lassen sich im Jordan taufen, als Zeichen ihrer Bußwilligkeit, d. h. als Zeichen dafür, dass sie ihr Leben ändern wollen.

Wer ist dieser Johannes nun wirklich und was will er eigentlich? Bemerkenswerter Weise – so hält es der Evangelist Johannes (von Johannes dem Täufer zu unterscheiden) fest – wird zuerst darauf Gewicht gelegt, was Johannes der Täufer NICHT ist, u. zw. mit einer dreifachen Negation: Er ist nicht der Messias, er ist nicht Elia und er ist nicht der Prophet (wer dieser Prophet genau sein soll, bleibt offen). Auf Anfrage dann, zitiert der Täufer den alttestamentlichen Text aus dem Jesajabuch: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Ebnet den Weg des Herrn!“ Johannes verkündigte: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen …“ (Markus 1,15)

Gottes Kommen in diese Welt (oder, um beim Bild zu bleiben: Gottes Weg zu uns Menschen) vollzog sich aus christlicher Sicht nirgends anschaulicher und sichtbarer als in der Geburt des Gottessohnes Jesus Christus in Bethlehem. Das vorzubereitende Kommen oder der vorzubereitende Weg ist in seiner Ambivalenz von größter Aktualität. Auf der einen Seite kam Gott damals in Bethlehem zu den Menschen, er tat es immer wieder neu und er tut es auch heute noch. Andererseits sind wir Menschen gefordert, ihn gebührend zu erwarten und können es aber doch nicht in gebührender Weise tun. So ähnlich wie es jenen Leuten geht – die Johannes fragen, wer er sei und dabei dreimal die falsche Frage stellen – so ähnlich geht es auch uns: Oft sind wir auf der falschen Fährte, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn.

Heute ist Gottes Kommen zu uns eine geistliche Realität und der Weg ein spiritueller. Unsere Seele gleicht einer Wüste, mit Höhen und Tiefen. Um den Weg zu unsern Herzen zu finden, muss ein „Weg durch diese Wüste“ gebahnt werden, müssen „Täler erhöht“ und „Berge erniedrigt“ werden. Gott kann und will dies machen. Die Frage ist aber: Wollen wir es? Wir werden – wenn wir nun auf das Christfest zugehen – dazu aufgerufen, Gott Raum in unserem Leben zu geben. Wenn wir das tun, beteiligen wir uns an der Vorbereitung des Weges. Doch die Hauptverantwortung für die Herrichtung und Begehbarkeit dieses Weges trägt ER. Und wir werden feststellen: Wenn wir uns – mit all unsern Unzulänglichkeiten – anschicken, auf Gottes Kommen zu warten, da ist er schon längst unterwegs zu uns.