Wort zum Sonntag

Das anschauliche Vorspiel

Alle vier Evangelien berichten über das besondere Ereignis der Brotvermehrung. Etwa 5000 Männer, Frauen und Kinder wurden mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen gesättigt. Klingt das nicht wie eine fromme Sage? Können wir, die technisch Fortgeschrittenen des 21. Jahrhunderts, solchen Berichten Glauben schenken?

Was ist darauf zu antworten? Für eine geschichtliche Tatsache ist es nicht entscheidend, ob man das „Wie“ versteht, sondern nur, ob sie glaubhaft bezeugt ist. Unser ganzes Geschichtswissen beruht auf glaubhaften Zeugnissen. Ohne diese Zeugnisse wäre uns der größte Teil der Vergangenheit eine „terra ignota“, d.h. unbekanntes Land. Die Evangelien berichten nicht darüber, „wie“ das Brot vermehrt wurde, sondern nur die Tatsache, dass es geschehen ist. Für unser ewiges Heil ist das „Wie“ ohne Bedeutung. Die Tatsache, dass Christus Brot vermehrt und noch andere Wunder gewirkt hat, ist gut bezeugt, und zwar von Zeugen, die für ihr Zeugnis den Martertod erlitten haben. Wir nehmen doch auch als Tatsachen hin, was uns der römische Geschichtsschreiber Tacitus über die Germanen berichtet hat. Wir glauben ihm, auch wenn ihm für sein Werk kein Haar gekrümmt wurde. 

Im Naturgeschehen gibt es so viele Erscheinungen, die wir zwar erfahren, aber nicht begreifen können. Die Radiowellen sind mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbar. Durch sie wird das Wort in Funken umgewandelt, im Nu über tausende Kilometer gesendet und wieder in Worte zurückgewandelt. Dasselbe geschieht mit den Fernsehwellen. Können wir ihr Entstehen, Dasein und Wirken begreifen? Hätte im Mittelalter ein Mensch das Radio erfunden, wäre er wahrscheinlich wegen Zauberei auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Sogar der heilige Albert der Große (1200-1280) wurde verdächtigt, dass er mit Teufelskünsten arbeite. Er war nämlich ein Universalgenie. Er war nicht nur in Philosophie und Theologie hervorragend, sondern auch in den Naturwissenschaften, wie Physik und Chemie. Er hat Experimente durchgeführt, ja das Experiment als notwendig erklärt. 

Als vor 250 Jahren ein Jesuitenpater in Lissabon als Erster einen Luftballon fliegen ließ, wurde er kurzerhand eingesperrt.

Es ist eben so: Viele Menschen machen ihre begrenzte Erfahrung zum Maßstab aller Möglichkeiten. Nur was sie verstehen und begreifen können, ist für sie wahr. Alles Übrige wird als Märchen oder Täuschung erklärt. So glauben sie auch nicht an Wunder. Diese Einstellung ist aber genauso töricht wie die Einstellung der Leute zur Zeit Alberts des Großen.

Die Natur mit all ihren Gesetzen hat Gott geschaffen. Kennen wir alle Naturgesetze? Wir kennen nur solche aus unserer Erfahrung. Soweit diese Erfahrung reicht, reicht auch unsere Erkenntnis über die Naturgesetze. Gott kann noch andere Gesetze in Kraft setzen, die wir Menschen nicht kennen, denn wir sind ja nicht „allwissend“. Die uns bekannten Naturgesetze reichen nicht aus, um das Phänomen des Brotwunders zu erklären. Wunder bestehen darin, dass der allmächtige Herr und Schöpfer der Natur immer noch höhere Gesetze in der Hand hat, als wir kennen. Der Forschungsbereich der Naturwissenschaft erstreckt sich nur auf das Erforschbare, das man messen und wagen kann. Unsere Erde mit ihren Naturgesetzen ist nur ein kleiner Teil der Schöpfung Gottes.

Wir fragen: Weshalb hat wohl Christus das Brotwunder gewirkt? Wollte er sich dadurch „populär“ machen? Als die Sattgewordenen ihn zum König ausrufen wollten, verbarg er sich vor ihnen. Sie hatten seine Absicht missverstanden. Als sie, hungrig geworden, ihn am nächsten Tag wieder suchten, erklärte er ihnen seine Absicht: „Ich bin das Brot den Lebens! Wer dieses Brot isst, das ich geben werde, wird leben in Ewigkeit!“ Was erwarten wir heutigen Menschen von Christus? Wir sind Geisteswesen im sterblichen Leib. Für den Broterwerb des Leibes sind wir gut ausgerüstet, für den Geist aber nicht. Darum kam Christus zu uns Menschen, um uns das „Brot des Geistes“ zu reichen, das, wie es im Evangelium heißt, „vorhält zum ewigen Leben“. Die wunderbare Brotvermehrung war das „augenscheinliche Vorspiel“ dazu.