WORT ZUM SONNTAG: Ahnung von Gottes Herrlichkeit

Gottes Herrlichkeit können wir manchmal erahnen. Wir erleben Momente, wo uns das Herz weit wird und wir etwas von der wunderbaren Herrlichkeit des lebendigen Gottes verspüren: Bei der Geburt eines Kindes, beim Anblick eines herrlichen Sonnenaufgangs, auf dem Berggipfel mit dem phantastischen Panorama, beim Hören von Musik oder beim Lesen des Briefes eines lieben Menschen. Dann möchte das Gotteslob aus uns heraussprudeln und unserer Seele eröffnet sich die Ahnung von Gottes wunderbarer Herrlichkeit.

Der Alltag ist aber meist anders. Da werden die Glaubenszweifel und -anfechtungen täglich durch schlimme Nachrichten bestärkt. Auch mit unseren guten Vorsätzen und Intentionen scheitern wir meistens. Wo bleibt Gottes Herrlichkeit im Vergleich zu der Übermacht dieser Welt? Wo erhalten wir Kraft und Zuversicht für unsere Aufgaben?
Gerade dieser Gegensatz und diese Spannung eröffnet sich uns in Jesu „hohepriesterlichem Gebet“ (Joh.17) in den Abschiedsreden an seine Jünger (Joh.13–17). Damit wird auch der Übergang zur Leidensgeschichte (Joh.18f) vollzogen. Die folgenden Verse (Joh.17,1.6-8) fassen, ähnlich dem Prolog (Joh.1,1-18), das zusammen, worauf es ankommt, nämlich Gottes Herrlichkeit als Ausgangs- und Zielpunkt des Weges Jesu.

Jesus redete und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da: Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche; denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Diese Nähe und Innigkeit zwischen Jesus und seinem himmlischen Vater berührt uns. Philipp Jakob Spener hat nie über dieses Gebet gepredigt, aber in seiner letzten Stunde hat er sich dies vorlesen lassen. Was ein Mensch vor Gott ist, wird ja in seinem Beten am Deutlichsten. Zu Beginn der Karwoche können aber diese Worte für uns Menschen mit unseren Sorgen und Nöten im Blick auf Jesu Kreuz und Ostersieg unseren Glauben stärken und im Vertrauen zu dem himmlischen Vater betend, können wir getrost weitergehen und unsere Aufgaben verrichten.

Die Stunde ist da – das ist viel mehr als eine schwere Prüfung oder eine schwierige Operation, für Jesus geht es um den letzten Schritt seines Gehorsams, den Gipfel seines Auftrags, seine grenzenlose Liebe, unseren Loskauf von Sünde, Tod und Hölle. Als Sündloser trägt er die Sünde der Welt an das Kreuz und in den Tod. Stellvertretend erduldet er den Tod, den wir erleiden müssten. Verloren zwischen Himmel und Erde hängt er am Kreuz für dich und mich – im letzten Todeskampf die Bestätigung: „Es ist vollbracht!“ So wurde Jesu schandbarer Kreuzestod zu seiner göttlichen Verherrlichung.Deshalb soll die Karwoche für uns nicht nur eine Trauerwoche sein, sondern wir sollen dankbar begreifen, dass uns Jesus mit seinem Kreuzestod mit Gott versöhnt hat. Jesus blickt über den Todesgraben hinweg auf die Herrlichkeit, in der er wieder bald sein wird, die er schon vorher hatte, vor der Erschaffung der Welt. Das stärkt ihn für seinen Weg und die Erfüllung seines Auftrags. Somit spannt Jesus den Bogen von seiner früheren Herrlichkeit über die „Verherrlichung am Kreuz“ zu der neuen Herrlichkeit nach seiner Himmelfahrt.

Mitten in Nacht und Dunkelheit schöpft Jesus im Gebet Kraft und Vertrauen zu seinem himmlischen Vater. Er kann stillhalten, Unrecht und Spott ertragen, Schmach und Hohn aushalten, Geißel, Schläge und Dornenkrone... „damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast“... Wie eindrücklich beschreibt der Liederdichter Paul Gerhardt dies in dem wunderbaren Lied (EG 60) „O Haupt voll Blut und Wunden“: „Wenn dein Haupt wird erblassen, im letzten Todesstoß, alsdann will ich dich fassen, in meinen Arm und Schoß!“ Wenn der Auftrag Jesu in Gehorsam erfüllt ist, dann schenkt uns Jesus durch seine Verherrlichung das ewige Leben. Aus diesen Versen hat der russische Schriftsteller Leo Tolstoi die Essenz herausgehört: Gott kennen ist Leben! Wirkliches, neues, ewiges Leben ist dies: Zu wissen, dass Gott und sein Sohn Jesus Christus wahr und wirklich sind, dass Jesus am Kreuz für mich gestorben ist, damit ich erlöst werde, damit meine Schuld vergeben wird, damit mir die Herrlichkeit des Vaters zugänglich gemacht und eröffnet wird.

So nah und intim lässt uns Jesus an sich heran, damit wir ihn noch besser erkennen. Durch sein Gebet erahnen wir etwas von der wunderbaren Herrlichkeit Gottes. Jesus gibt damit den Auftrag an seinen himmlischen Vater zurück. Es liegt an uns, ob wir in diesem Auftrag erfasst sind, es liegt an mir selber, ob ich diesem Worte glaube und dadurch das ewige Leben habe. Jesus hat die Voraussetzungen dafür geschaffen. Er hat den Auftrag Gottes erfüllt und durch seinen Tod am Kreuz die Türe zum Leben aufgetan, auf dass „alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh.3,16) Die Spuren von Gottes Herrlichkeit begegnen uns immer wieder in unserer Welt und manchmal erahnen wir in besonderen Momenten unseres Lebens etwas davon. Am Nächsten begegnet uns aber Gott in seinem Sohn Jesus Christus, der sich selbst für uns dahingegeben hat, damit wir durch ihn gerettet werden.
Gott begleite uns in dieser Karwoche und schenke allen ein gesegnetes Osterfest!