WORT ZUM SONNTAG: Ein kleines Stück Land

Ein holländischer Schriftsteller schreibt über seinen streng religiösen Vater, der eine Gärtnerei besaß: „Mich hat berührt, wenn ich meinen Vater beobachten konnte, wie er diese sehr winzigen Pflanzen, die man kaum sehen kann, mit Hilfe eines Rohrschilfchens pikierte und in ein Frühbeet hinübersetzte. Ich war acht, neun Jahre alt und stand auf einer Bank. Ich dachte, dass mein Vater mit heiliger Arbeit beschäftigt war und dass auch Gott da war. Wenn ein kleines Stück Land in seiner Gärtnerei frei blieb, kaufte er Samen von schönen Blumen. Die verkaufte er nicht, er wollte damit Gott dienen.“

In einer großen Gärtnerei ein kleines Stückchen Erde, auf dem Blumen gesät werden, die nicht für den Verkauf, sondern allein zur Ehre Gottes blühen dürfen. Ein Bild, in dem der durcheinandergebrachte Geisteszustand unserer Zeit, aber auch die in ihr liegenden Möglichkeiten und Chancen eingefangen sind. Der Zusammenbruch des Weltfinanzmarktes und die schlechten Auswirkungen auf unser Weltwirtschaftssystem sind die unheilvollen Konsequenzen einer götzenhaften Anbetung von Profit und Wachstum.

In der Gärtnerei – um im Bild zu bleiben – gibt es kein Fleckchen Erde mehr, das nicht dem Zwang der Gewinnmaximierung unterworfen wäre. Alles wird auf größtmöglichen Erfolg abgestimmt, ohne Rücksicht auf Arbeitskraft und Lebensenergie in Familien und Schulen, in Betrieben und Büros, in Altenheimen und Krankenhäusern. Sogar die idyllische und jahrhundertealte Hirtenwirtschaft in unseren Bergen muss sich den harten EU-Richtlinien beugen. Der Mensch, so ergibt sich der Eindruck, wird ausgequetscht bis zum letzten Tropfen.

Und wie mit dem Menschen verfahren wird, so gehen wir mit der Schöpfung um.

Ein internationaler Umweltbeauftragter sagte: „Wenn wir so weiter machen, bräuchten wir im Jahr 2035 zwei Planeten, um unseren Bedarf zu decken.“ Wo, so müssen wir fragen, gibt es in unserer Gärtnerei jenes Stückchen Land, auf dem die Blumen blühen dürfen nicht zum Verkauf, sondern allein zum Lobe Gottes? Oder anders ausgedrückt: Wie wird unser gehetztes und ausbeuterisches Tun zur „heiligen Arbeit“, die der Gärtnerssohn an seinem Vater beobachtete?

Das Judentum feiert in uralter Tradition das wöchentliche Ritual des Sabbats. Ein voller Tag in der Woche, an dem nicht gearbeitet wird. Dieser bewusste Verzicht auf Arbeit bedeutet, dass der Mensch einen ganzen Tag lang darauf verzichtet, in die Schöpfung einzugreifen. Das wussten auch unsere alten Sachsen, die am Sonntag alle Feldarbeit ruhen ließen. Es hat dies mit dem Bewusstsein zu tun, dass der Planet, auf dem wir leben, nicht unser Besitz und darum nicht das Objekt unserer Ausbeutung ist, sondern ein anvertrautes Pfand, das wir mit unserer Hände (und Köpfe) Arbeit gebrauchen dürfen. Wir sollen es ja unversehrt unserem Schöpfer wieder zurückgeben! Dabei bekäme die Arbeit und der Verdienst einen Stellenwert, der dem nahe kommt, was der Gärtnerssohn an seinem Vater als „heilige Arbeit“ wahrgenommen hat: eine Arbeit, die in Dankbarkeit sich der Erde bedient und zugleich in Verantwortung sie schützt vor dem zerstörerischen Zugriff des Menschen.

Wo wachsen heute in unserer Gärtnerei die Blumen, die nicht für die käufliche Verwertung, sondern als Loblied des Schöpfers blühen dürfen? Vielleicht auch mal auf kirchlichen Grundstücken um den Kirchturm? Jesus sagt einmal ganz schroff: „Ihr Heuchler! Das Aussehen der Erde und des Himmels wisst ihr zu beurteilen. Wie kommt es, dass ihr die Zeichen der Zeit nicht erkennt?“
Auf Weltkonferenzen und in unseren persönlichen Entscheidungen könnte sich in der Antwort auf diese Frage das Schicksal unseres Planeten entscheiden.