WORT ZUM SONNTAG: Speisung der Viertausend

Liebe Leserinnen und Leser der ADZ, 
können wir in dieser Welt, in der wir leben, dankbare Menschen sein? Gibt die Pandemie, die kritische Wirtschaftslage, die noch immer köchelnden Konfliktherde in der Welt mit ihren Kriegen, der Hunger, der in weiten Teilen der Welt herrscht, Anlass, dankbar zu sein? Sind unsere Existenzängste geringer geworden?

Am Erntedanktag werden wir eingeladen, uns über diese Umstände Gedanken zu machen. Angesichts der schön geschmückten Altäre in unseren Kirchen sollten wir meinen, keine Existenzängste haben zu müssen. Auf ihnen liegen Gemüse, Früchte und Blumen. Sie veranschaulichen die reiche Ernte und sind gleichzeitig ein Zeichen für den großen Segen, der uns – trotz allem – wieder geschenkt wurde. Oft liegt mitten auf dem Altar ein großes Brot, als Zeichen der Dankbarkeit für das „tägliche Brot“, das wir empfangen. Doch jeder von uns empfindet dieses Beschenkt-Sein von Gott anders. Viele glauben gar nicht daran, dass man jemandem dafür danken müsste. 

Zur Zeit Jesu waren die Menschen auch unsicher, voller Ängste und suchten nach Orientierung. Sie hatten von Jesus gehört und wollten wissen, was dieser Mann ihnen bieten könnte, und darum machten sie sich auf den Weg zu ihm. Er empfing sie nicht in einem Konferenzsaal mit bereitgestelltem Kaffee und Schnittchen. Nein, sie finden ihn mit seinen Jüngern in der Wüste, also dort, wo die Not am größten ist. Er ist damit beschäftigt, Menschen zu heilen und wieder lebenstüchtig zu machen. Sie werden Zeugen der göttlichen Kraft, die Jesus ausstrahlt und mit der er Zeichen der Liebe Gottes in die Welt setzt. Doch sie lauschen auch seinen Worten und sind überwältigt von dem, was sie da hören. Drei Tage sind sie bereits bei Jesus. Sie hatten ihren mitgebrachten Proviant verzehrt. Vielleicht dachten sie auch, dass diese Begegnung mit Jesus nur kurz sein würde.

Und was nachher geschieht, beschreibt uns das Markusevangelium, der Predigttext am Erntedanktag, im 8. Kapitel, von Vers 1 bis 10.

Viertausend Menschen sind zu der Versammlung gekommen und, bevor er sie nach Hause entlässt, will Jesus neben der seelischen auch für ihre leibliche Sättigung sorgen. Er ruft seine Jünger zusammen und eröffnet ihnen: „Mich jammert das Volk, denn sie haben nun drei Tage bei mir ausgeharrt und haben nichts zu essen.“ So fühlt Jesus für die Menschen, die zu ihm kommen. Er öffnet sein Herz voller Empathie und Barmherzigkeit für diejenigen, die ihm zugehört haben, die ihrerseits bereit waren, sich für die heilbringende Botschaft der Liebe Gottes zu öffnen. Er sorgt sich um das Gegenwärtige und für das Zukünftige. Sie sollen zu Kräften kommen und gestärkt bleiben auf ihrem weiteren Lebensweg. So wird durch Jesus das mitfühlende Herz Gottes, das sich auch um uns kümmert, sichtbar.

Lassen wir uns durch die Hinterfragung der Zahlen, wie viertausend Menschen mit sieben Broten und einigen Fischen satt werden, nicht irreführen. Sie dienen nur dazu, das dort geschehene Wunder zu bekräftigen und laden uns ein, den tieferen Sinn des Vorgangs zu entdecken. Gewiss haben wir damit unsere Schwierigkeit, da wir oft sehr, oder vielleicht zu schnell, meinen, die Augen vor dem Geheimnisvollen schließen zu müssen, wobei uns dann das Wesentliche in der Tat verborgen bleibt. 

Und das Wesentliche in dieser Begebenheit ist, dass Jesus seine Jünger in diesen Vorgang der Barmherzigkeit einbezieht, dass er ihnen durch das Danken zeigt, woher er die Kraft für die ganzheitliche Heilung an Leib und Seele bekommt und dass er diese an die Menschen damals und heute zur weiteren Multi-plikation weitergibt. Er bevollmächtigt die Jünger damals und uns heute, die Liebe Gottes durch Wort und Tat mit dem Wissen an andere weiterzugeben, dass diese Liebe nie versiegen wird. Und wenn davon die Rede ist, dass alle satt werden und noch „Brocken“ übrig bleiben, dann wird damit wohl auf die überwältigende Größe dieser Liebe, die wir nie ganz „verbrauchen“ können, hingewiesen.

So dürfen wir uns auch heute auf den Weg zu Jesus machen und einen Altar der Dankbarkeit für das Gute, das wir erhalten haben, in unseren Herzen schmücken. Mögen wir uns von seinem Mitgefühl überwältigen und zu Taten der Barmherzigkeit für unsere Nächsten beflügeln lassen. Wir tun es auch, indem wir dafür sorgen, dass diese uns von Gott geschenkte Erde für uns und unsere Nachkommen erhalten bleibt aber auch dadurch, dass wir andere zu Jesus führen, damit er sie an Leib und Seele heil und satt machen kann.


Imre István war evangelischer Pfarrer von Broos-Orăștie (Kirchenbezirk Mühlbach) bis 1984, sowie danach Pfarrer in der siebenbürgisch-sächsischen Kirchengemeinde von Kitchener (Kanada) und in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Deutschland.