WORT ZUM SONNTAG: Von der Kraft des Weizenkorns

„Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.“

Am Sonntag Lätare sind wir vor schwierige Fragen gestellt. Der Text aus dem Johannesevangelium 12, 20 – 26 stellt uns vor die Frage nach dem Sinn im Leben.

Der Tod ist unausweichlich. Und trotzdem lieben wir unser Leben. Lieben Sie ihr Leben? Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren! So sagt es Jesus den Jüngern in dem Predigttext für den Sonntag Lätare.
Aber lieben wir nicht alle unser Leben? Gerade jetzt, wenn es endlich mal wieder warm wird? Die Sonne scheint. Der Frühling sich mehr und mehr spürbar macht. Die Blumen langsam sichtbar werden. Gibt es eine bessere Zeit, sein Leben zu lieben? Die Straßen werden voller Menschen, die irgendwie mehr Lebenslust haben als in den kalten Wintertagen.

Lieben Sie nicht auch Ihr Leben? Den Besuch von Freunden und Bekannten? Den Austausch mit anderen? Etwas Neues zu erfahren oder alte Freizeitaktivitäten wieder aufzunehmen? Kindern zuzuschauen, die in den Tag hineinleben. Sich ärgern, sich streiten, sich versöhnen. Erinnerungen genießen. Einfach mal in den Tag leben. Das Leben ist so vielfältig, so überraschend. So schön.

Wer von uns will darauf verzichten? Wer will all das zurücklassen? Die Menschen, die man liebt, die Sachen, an denen man hängt, und all die kleinen Überraschungen des Lebens? Wer von uns will seinen Liebsten, seine Frau, seinen Mann, jemanden, der einem nahesteht, gehen lassen? Sie nicht mehr in seinem Leben haben?

Der Tod anderer lieber Menschen erinnert uns auch daran, wie sehr wir unser Leben und das der anderen lieben. Doch Jesus sagt: „Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.“

Dass der das ewige Leben gewinnt, der sein Leben hasst? Diese Worte Jesu sind schwer zu verstehen. Was meint Jesus also damit? Eine sichere Antwort habe ich nicht, aber ein Hinweis findet sich im selben Text: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Auf den ersten Blick hat das nicht viel mit den andern Aussagen zu tun. Doch schauen wir es uns genau an: Das Weizenkorn, es ist klein. Es wird in die Erde geworfen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es hängt an seinem Da-Sein als Weizenkorn, es bleibt am Leben als Weizenkorn, aber dann bleibt es allein. Es bleibt einfach ein Weizenkorn im Acker. Einsam und irgendwann verrottet es.

Oder es ist bereit, sein Leben als Weizenkorn aufzugeben, es ist bereit zu sterben, sich zu wandeln. Ja dann, dann wird irgendwann ein kleines Pflänzchen aus der Erde wachsen. Ein Pflänzchen, das größer wird, zu einem Halm, der Frucht trägt.

Ein wunderbarer Vorgang, einer, den wir immer wieder erleben: Der kleine Sonnenblumenkern wird zur Sonnenblume. Die Raupe zum Schmetterling. Winter wird zu Frühling und Sommer und das Weizenkorn bringt Frucht.

Nur wer bereit ist, sich zu wandeln, der kann sich entwickeln. Nur wer bereit ist, sein gewohntes Leben aufzugeben, der kann weiterkommen. Und das ist ein schmerzhafter Prozess. Aber gleichzeitig herrlich. Wenn wir nur den Schmerz und die Schwierigkeiten sehen, versäumen wir die Freiheit und die Kraft, die uns angeboten werden. Wenn wir nur das Herrliche sehen, verliert das Opfer an Bedeutung.
Jesus macht keinem Illusionen, alle die ihm dienen wollen, werden es nicht leicht haben. Aber diese werden vom Vater geehrt. Wenn wir Jesus dienen und dort sind, wo Jesus auch ist, das heißt auch am Kreuz mit ihm, dann bekommen wir die Ehre Gottes. Wer also versteht, dass dieses Leben hier nicht das eigentliche ist, der wird den Bezug zum Wirklichen, zu Gott, zur Liebe nicht verlieren, sondern der wird gewinnen, der wird Frucht bringen, also tiefe Erkenntnis gewinnen.

Das Weizenkorn muss sterben, um wieder Leben hervorzubringen. Es ist mit dem Tod nicht alles vorbei. Das Weizenkorn wird Frucht bringen, ein Halm wird wachsen. Ein Sonnenblumenkern wird zur Sonnenblume, eine Raupe zum Schmetterling, der Winter zum Frühling und Sommer. Und Karfreitag, der Tag des Todes, wird zu Ostern zum Fest des Lebens.