WORT ZUM SONNTAG: Vorsicht, Alltag

Nach Neujahr, wenn man sich am Ausgang von den Besuchern eines Gottesdienstes verabschiedet, passiert es, dass der eine oder der andere sagt: „Gut, dass der Trubel vorbei ist und der Alltag uns wieder hat.“ Manche drücken es noch drastischer aus: Sie reden etwa vom „Weihnachtsrummel“, und so ganz aus der Luft gegriffen ist das ja nicht. Eine Kassiererin im Supermarkt, der ich am 24. Dezember ein schönes Fest wünschte, sagte: „Mein Mann und meine beiden Kinder werden von mir nicht viel haben. Ich schlafe mit Sicherheit schon beim Abendessen todmüde ein.“

Was bleibt von der ‚fröhlichen, seligen, gnadenbringenden Weihnachtszeit‘? Bleibt überhaupt etwas? Bei der Frage geht es jetzt natürlich nicht um die Sachwerte, die auf dem Gabentisch lagen. Nein, es geht, sagen wir, um die Seele und es wäre schade, wenn so gar nichts vom Glanz des Christfestes und der nachfolgenden Festzeit bliebe. Aber für seine Seele sich etwas schenken zu lassen, liegt in erster Linie an einem jeden Menschen individuell.

Im deutschen Fernsehen läuft Jahr um Jahr der Weihnachtsklassiker: „Der kleine Lord“. Ein Film nach dem 1886 erschienenen Roman von Frances Hodgson Burnett: Die Mutter des vielleicht zehnjährigen Ceddie hatte ihren Jungen, der in einem New Yorker Armenviertel aufwuchs, gelehrt, ein jeder Mensch solle mit seinem Leben dazu beitragen, die Welt ein klein wenig besser zu machen. Diese Weisheit gibt der aufgeweckte, unbefangene Junge an seinen nicht sehr sympathischen Großvater, den ‚Earl von Dorincourt‘, der ihn samt seiner Mutter als einzigen Erben nach England geholt hatte, weiter. Und der Film zeigt die erstaunliche Wandlung des steinreichen, alten verbitterten Mannes zu einer  aristokratisch strengen, aber liebevollen, gütigen Persönlichkeit.

Wir haben Weihnachten gefeiert. Das Fest der Geburt von Jesus Christus. In theologischen und kirchlichen Kreisen sagt man, wir feierten die ‚Menschwerdung Gottes‘. Die danach folgende Festzeit des Kirchenjahres geht am zweiten Februar, an ‚Marie Lichtmess‘, zu Ende. Gott hat menschliche Gestalt angenommen. Vor zweitausend Jahren ist er im von Römern besetzten Palästina als Einheimischer, als Jude, geboren worden.

In jenen Tagen und in jenem Land gehörte es sich nicht, sich auf die heidnischen Besatzer einzulassen. Er, Jesus, hat es getan und den Sklaven eines römischen Hauptmanns geheilt.  – In jenen Tagen und in jenem Land sprach man als Jude nicht mit den Samaritanern und schon gar nicht mit deren Frauen. Er, Jesus, hat die Samariterin am Brunnen um einen Trunk Wasser gebeten und damit deren Leben umgestülpt. – In jenen Tagen war das Heil, das von Gott erwartet wurde, allein für die Juden reserviert. Er hat die Tochter einer Kananäerin geheilt. –In jenen Tagen und in jenem Land waren Pharisäer (Geistliche) respektiert und Zöllner (die Steuerbeamten der römischen Besatzungsmacht) verachtet. Er, Jesus, hat Matthäus, einen Steuereinnehmer, zum Apostel berufen und hat sich bei Zachäus, einem anderen, hochgestellten Zollbeamten, zum Essen eingeladen.

In diesen und vielen anderen Begebenheiten, von denen uns die Evangelien berichten, lässt Jesus sichtbar werden, was der Prophet Jesaja verkündet hat: „Gott will das Heil aller Menschen!“ (Jes. 40,5).Es liegt an uns, diese Sichtweise Gottes anzunehmen und gerade ein Jahreswechsel und die Nachweihnachtszeit sind eine gute Gelegenheit dafür. Wir würden durch unvoreingenommene Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturräumen, sei es in unserer Nachbarschaft oder auch auf einer Reise, ungemein bereichert werden. Wir würden uns auch nicht mehr so leicht einen Bären aufbinden lassen, wenn man uns weismachen will, dass alles, was fremd oder anders ist, auch feindselig und rückständig ist. Scheuklappen, Fundamentalismus und Fremdenhass haben immer schon viel Unheil und Unfrieden gebracht und werden auch unsere Zeit nicht heilen.

Das Geheimnis von Weihnachten und der weihnachtlichen Festzeit ist die Begegnung zwischen Mensch und Gott und durch ihn zwischen Mensch und Mensch. Wir brauchen dieses Fest, damit wir nie vergessen, worauf es im Leben ankommt: Dass das Ich nur durch das DU zu sich selber findet, das Du Gottes und das Du des Mitmenschen. Es ist für unsere Gesellschaft und einen jeden einzelnen lebenswichtig zu erkennen, dass wir alle in einem Boot sitzen und wir dieses Boot nur im gegenseitigen Vertrauen durch die Klippen bringen können, die uns bedrohen. Begegnung beschenkt, Begegnung verändert. Möge 2013 ein gutes Jahr werden! Ein Jahr voller bereichernder Begegnungen!