WORT ZUM SONNTAG: Weckruf im Advent

In den Kasernen wurden früher die Soldaten mit Trompeten vom Schlaf geweckt und zum Dienst gerufen. So entstand das Lied: „Kameraden, die Trompete ruft“. Auch die Werktätigen müssen pünktlich zur Arbeit erscheinen. Ohne Pünktlichkeit im Verkehr und an den Arbeitsplätzen wäre ein geordnetes Wirtschaftsleben nicht möglich. Aber sie weckt keine Trompete und auch kein Nachtwächter wie im Mittelalter. Darum stellen viele Menschen einen Wecker auf das Nachtkästchen, der sie vom Schlafe aufwecken soll.

Wir sind aber „Bürger zweier Welten“. Hier auf Erden rufen uns die Weckapparate zum Dienst. Aber die zweite Welt, deren Bürger wir durch die Taufe sind, ist wertvoller und kennt kein Ende. Der Dichter bringt es auf den Punkt: „Du bist für eine andere Welt, dein Ziel ist nicht auf Erden! Du sollst, wenn einst dein Leib zerfällt, ein Himmelsbürger werden!“

Im „Kampf ums Dasein“ verlieren wir diese so wesentliche Zielbestimmung leicht aus den Augen. So haben wir auch hier Weck- und Mahnrufe nötig. Die Adventszeit ist dazu besonders geeignet. Der Weckruf des Apostels Paulus lautet: „Die Stunde ist jetzt da, vom Schlaf aufzuwachen. Denn nun ist unser Heil viel näher als damals, als wir gläubig wurden!“ Dazu ermuntert uns auch Goethe. Als er einmal zwischen zwei Pastoren ging, dichtete er: „Rechts Propheten, links Propheten, und das Weltkind in der Mitte!“ Dieses „Weltkind“ mahnt uns: „Ganz leise spricht ein Gott in unserer Brust, ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an, was zu ergreifen ist und was zu fliehen!“ Der Weckruf Gottes ist nicht so laut wie das ohrenbetäubende Getöse eines Schlagerfestivals. Die Stimme Gottes ist leise. Wir können sie nur hören, wenn wir innerlich gesammelt sind. Sonst ergeht es uns wie dem Mann in der öffentlichen Fernsprechzelle, der seinen Freund anrief. Er konnte die Stimme seines Freundes nicht verstehen, denn er hatte die Tür zur Straße offen gelassen. Sein Freund rief ihm zu: „Schließ doch die Tür! Anders kannst du mich nicht verstehen!“ Er tat es. Nun war die Verständigung möglich. Auch wir müssen die Tür zur Welt öfter schließen, wollen wir die Weckrufe Gottes verstehen. Der Dichter unterstreicht dies: „Einsamkeit ist Seelennahrung! In der Stille kommt dem Geiste rechte Geistesoffenbarung!“ Wenn wir aber unser Herz nur mit den täglichen profanen Angelegenheiten ausfüllen, wie soll uns dann der Weckruf Gottes erreichen?

Wir haben es schon oft erfahren, wenn wir telefonieren wollten, kam der Anschluss nicht zustande, weil die gewünschte Leitung schon besetzt war. Das Besetztzeichen zeigte uns an, dass der Mensch, mit dem wir sprechen wollten, für uns nicht zu haben war. Wenn wir unser Sinnen und Trachten nur auf dieses profane Leben richten und dieses uns gefangen nimmt, wie soll uns dann der Weckruf Gottes erreichen? Es tönt ihm ja immer das Besetztzeichen entgegen. Und währt dies das ganze Leben hindurch, was wird die Folge sein?

Der oströmische Kaiser Leo V. (813-820) konnte einmal in der Nacht nicht schlafen. Er verließ sein Gemach und fand alle seine Leibwächter schlafend auf den Stühlen. Da ging er leise von einem zum andern und legte jedem ein Goldstück in den Schoß. Einer erwachte früher als die anderen und nahm ihnen die Goldstücke weg. Als sie auch erwachten, hatten sie keine Ahnung, was geschehen war und was sie verloren hatten.

Gott hat uns allen unvergleichlich mehr in den Schoß gelegt: Die Erbschaftsurkunde für sein ewiges Reich! Wenn wir die Zeit, in der wir wachen sollen, verschlafen, kommt der Teufel und klaut sie uns. Er kommt nicht immer als „brüllender Löwe“. Für Schlafende kommt er als leiser Dieb und raubt sie aus.

Den Apostel Petrus brachte ein krähender Hahn zu der Erkenntnis seines großen Fehltritts. Es wäre gut, wenn jedem von uns ein Hahn krähen würde, der uns aus dem gottfernen Schlaf aufweckt und zur Besinnung bringt. Viel schlimmer wäre es, wenn „kein Hahn mehr nach uns krähen“ würde.

Benützen wir die adventliche Weckrufzeit zum geistigen Erwachen und beschreiten wir beherzt den Weg der Umkehr vom Irrweg.