Zeitgenössische Kunst: Alte Räume Südosteuropas wiederbelebt

Fassade der Omnia-Halle in Bukarest | Foto: Nationales Tanzzentrum Bukarest

Tribüne auf dem Berg Uktus im ehemaligen Skisport-Zentrum in Jekaterinburg am Tag | Foto: Alexey Ivanow/Uralnasch

Martina Tritthart und Holger Lang vom österreichischen Kulturverein Mutual Loop haben sich lange mit Geschichte und Aussehen alter, verfallener Bauwerke Südosteuropas befasst und sie in ihre Arbeit integriert, um ihnen ein neues Gesicht zu verleihen. Viele dieser Gebäude, die während der sozialistischen Zeit politischen, industriellen und Erholungszwecken dienten, wurden mit der Wende aufgegeben, wobei sie ihre ursprünglichen Bestimmungen verloren. Die ortsspezifischen Kunstprojekte des österreichischen, 1999 gegründeten Kulturvereins Mutual Loop vermitteln die Botschaft, dass die verfallenen architektonischen Werke gerettet werden sollen.

„Licht, Video und Audio erlauben es, insbesondere in der Nacht, ein Bauwerk in der Erscheinung und Wirkung sehr stark zu modifizieren. Die Wahrnehmung eines Raumes erfolgt grundsätzlich über diese Sinneseindrücke, und wenn sie verändert werden, kann ein Ort, den man scheinbar schon oft gesehen und erlebt hatte, plötzlich völlig anders wirken. Diese Veränderung kann dann dazu führen, dass man sich neue Möglichkeiten und auch Nutzungswege für vorhandene Räume und Gebäude vorstellen kann“, sagen die zwei Künstler.
 
2022 verwandelte Mutual Loop zusammen mit rumänischen Künstlern und dem Österreichischen Kulturforum Bukarest die geschichtsträchtige, aber verlassene Omnia-Halle aus der rumänischen Hauptstadt Bukarest in einen Raum voller zeitgenössischer Kunst. Das Gebäude wurde vom rumänischen Architekten Cezar Lăzărescu 1967 als Nebengebäude des Hauptquartiers des Zentralkomitees der Rumänischen Kommunistischen Partei im modernistischen Stil entworfen, in dem ursprünglich Parteikonferenzen abgehalten wurden. Später hat die Omnia-Halle den rumänischen Senat und das Nationale Operettentheater „Ion Dacian“ beherbergt. 

Tritthart und Lang haben etwa zwei Wochen lang nach geeigneten Gebäuden für ortsspezifische Kunst in Bukarest gesucht. „Die Omnia-Halle wurde uns von lokalen Künstlern bei den Recherchen kurz vor dem Ende dieser Arbeitsphase empfohlen. Zuerst haben wir angenommen, dass das Gebäude in Verwendung war, weil Wachpersonal davor positioniert war“, meinen die Künstler. „Die Dimensionen, der Aufbau, die architektonische Qualität, die Baumaterialien und die Bedeutung, sowohl in der Vergangenheit, wie auch in der erhofften und gewünschten Zukunft – all das hatte uns angesprochen“, sagt Holger Lang. 

Im August 2022 zeigten Mutual Loop und mehrere rumänische Künstler die Ausstellung „Omission Possible“ mit Licht- und Bildinstallationen in der Omnia-Halle. Die Vergangenheit des Gebäudes wurde den Besuchern durch Bilder, Betonung durch Licht, vor allem aber in den performativen Rundgängen bewusst gemacht. Die Ausstellung  wurde auch in einem gleichnamigen Dokumentarfilm gezeigt. „Die Halle wurde vernachlässigt und sehr sorglos behandelt“, meint Martina Tritthart. „Außerdem wird die seit vielen Jahren vorgesehene Nutzung nicht so zügig umgesetzt, wie es zu erwarten gewesen wäre. In dieser Zeit verursacht der nachlässige Umgang mit dem Gebäude immer mehr Schäden, die auch einmal zum tatsächlichen Verfall führen könnten“.

„Mutual Loop verwandelte einen verfallenen Nicht-Ort in einen Ort“, fügt Ina Alice Danilă, Kommunikationsspezialistin aus Bukarest, hinzu. „Man kann sich fast vorstellen, wie Ceaușescu dort seinen Redeakt hatte und die Menschen applaudierten. Die Geschichte hat ihre knifflige Art, das Vorhergehende zu überlagern, zu verwischen, aber nicht komplett zu zerstören“, sagt Corina Cimpoieru, Forscherin am Nationalen Tanzzentrum Bukarest. 

Die sozialistische Architektur ist ein Teil des breiten und reichhaltigen Spektrums der Architektur in Bukarest. Die Omnia-Halle unterschiedet sich dabei aber sehr stark von anderen Seiten der sozialistischen Architektur. Architekturwissenschaftlerin Ana Maria Zahariade sagt in dem Buch „Architecture in the Communist Project. Romania 1944-1989“, dass die Tendenzen des Modernismus – der in den 1960er Jahren in Rumänien an Bedeutung gewann – und die nationalen Bestrebungen im Bereich der Architektur durch die kulturelle Spannung zwischen Traditionalismus (orientiert am orthodoxen Osten) und Modernisierung (Assimilation an den Westen) geprägt wurden. 

Die sich über viele Jahrzehnte immer wieder überlagernden Zugänge zur Stadtplanung und Architektur haben eine Art Patchwork in drei Dimensionen geschaffen, in welchem heute in Bukarest sehr unterschiedliche Stile als Ausdruck verschiedener Weltanschauungen nebeneinander stehen. „Wenn die Erhaltung der Gebäude mehr Sorgfalt bekommen würde, könnte Bukarest über diese facettenreiche Architektur viel Aufmerksamkeit bekommen“, so Martina Tritthart. 

Das Projekt „Omission Possible“ lief im Rahmen des Projekts „On the Road Again“, das vom Österreichischen Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten unterstützt und von Simon Mraz – von 2009 bis 2011 Leiter des Österreichischen Kulturforums in Moskau – kuratiert wurde. Alle Projekte von „On the Road Again“ werden Mitte Februar 2023 im Wiener Künstlerhaus in einer Abschlussausstellung gezeigt. Für die 23 Österreichischen Kulturforen weltweit wurden Projekte gesucht, in denen Künstler nach der Pandemie wieder reisen konnten. Laut Mraz gab es insgesamt 487 Einreichungen und jedes siegreiche Projekt wurde mit 7000 Euro dotiert. 

Lange vor dem Start des Projekts „On the Road Again“ bekamen Mutual Loop in Südosteuropa mit ihrer Lichtinstallation „Breathing Star“, die 2021 über dem Pflanzenlabyrinth im Stadtpark in Skopje in Nord-Mazedonien entstand, viel Aufmerksamkeit. Die Lichtinstallation war im September 2021 Teil des internationalen Lichtfestivals „Skopje Light District“. „Das Pflanzenlabyrinth im Stadtpark hatte sich wegen der Dimensionen und der Lage im Park sehr gut angeboten“, meinen die Künstler von Mutual Loop. „Wir hatten uns einerseits auf die Natur konzentriert und dabei auch den nebenan gelegenen Zoo im Hinterkopf gehabt. Dieser Aspekt hatte dann einen starken Einfluss auf die Inhalte der Audio-Installation, die Teil des Projektes war“, erklärt Holger Lang.

Die meisten Gebäude in Skopje stammen aus den 1960er Jahren und später. Dies liegt daran, dass Skopje am 26. Juli 1963 von einem massiven Erdbeben betroffen wurde, das 80 Prozent der Stadt zerstörte. „Der architektonische Stil des Brutalismus ist in Skopje mit neuen Formen, Oberflächen, Dimensionen und Materialien präsent, was gleichzeitig eindeutig ein Bedürfnis nach einem prägnanten Gestaltungsausdruck repräsentiert. In Skopje waren leider viele Gebäude im brutalistisch-sozialistischen Stil in der jüngeren Vergangenheit in einem relativ anspruchslosen und geschmacklosen ‚Zuckerbäckerstil‘ überbaut und eingehüllt worden“, sagt Martina Tritthart. 

An einem kalten Dezembermorgen 2019 wurde eine Tribüne eines verlassenen Skizentrums in der russischen Stadt Jekaterinburg auf dem Berg Uktus im östlichen Teil des Uralgebirges zum Schauplatz der Videolichtintervention „Sky Lights“. Die Installation war Teil von „Undarkfestival Ne Temno #8“ in Jekaterinburg. Das Skizentrum war 1934 auf dem Gelände am Rande der Stadt errichtet worden. Die ursprüngliche Skisprungschanze wurde 2013 abgebaut und als Rest blieb nur die ehemalige Tribüne, die weiter verfällt. Von der Struktur war über die Jahre nur noch eine Art Gerippe übrig geblieben, die heute manchmal als eine Aussichtswarte für Spaziergänger genutzt wird.

„Durch die erhöhte Position hatte uns der Gedanke eines Leuchtturms inspiriert, ebenso die Vorstellung, von oben herab die Umgebung überblicken zu können. Ausgehend von diesen Überlegungen hatten wir einen weit sichtbaren, leuchtenden Kubus gestaltet, der von innen projizierte, dynamische Collagen zeigte. Die heutigen skelettartigen Reste des Gebäudes haben uns insbesondere an das Werk von El Lissitzky erinnert und wir haben in der Gestaltung viele Aspekte der Russischen Avantgarde aufgegriffen“, meint Holger Lang. 

Zur Zeit versuchen Martina Tritthart und Holger Lang einen passenden Ort für Kunst in Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens, zu finden, wären aber auch an Orten in Bosnien und Herzegowina oder Bulgarien interessiert.