Zeitung – cool und jung!

MIDAS-Preisträgerinnen 2015: Wie man Kinder für gedruckte Nachrichten begeistern kann

Strahlend nahmen Lise Christoffersen (links) , Eyla Both (Mitte) und Ina Grøning (rechts) den MIDAS-Preis entgegen - doch sie finden, eigentlich gebührt er den Kindern!
Foto: George Dumitriu

„The making of Zejt-ung“: Lise B. Christoffersen (rechts hinten), Ina Grøning (links) und Eyla Both (am Computer).

„Zejt-ung“sreporterinnen Johanna und Livia interviewen den dänischen Popstar Christopher vor dem Konzert.

Julie und Caroline posieren nach dem traditionellen Mini-Golf-Spiel, zu dem die Jungreporter ihre Interviewpartner herausfordern.

Die Mädchen haben Spaß bei der Produktion der Kochvideos für die Sparte „Zejt-Food“.
Fotos: Lars Salomonsen/FLA

„Rødegrød med fløde!“ sagt das blondgelockte Mädchen und der ganze Tisch biegt sich vor Lachen. „Rote Grütze mit Sahne“ auf Dänisch. Die kehligen Laute kann niemand nachahmen, es klingt wie ein einziges Gurgeln. Wir revanchieren uns mit Rumänisch: Wer kennt einen Satz, der nur aus Vokalen besteht? Die Bemühungen der dänischen Mädchen, „Ai o oaie?“ (Hast du ein Schaf?) nachzusprechen, scheitern ebenso kläglich. „Wie gut, dass man das nur selten braucht“, kichert Lise. Schnell sind wir im Gespräch, trotz der gemischten Sprachen an unserem Tisch - Dänisch, Deutsch, Rumänisch, Polnisch. Es ist das erste, noch informelle Abendessen des jährlichen Treffens der Vertreter der Minderheitenzeitungen Europas im kroatischen Kurort Opatija. Lise B. Christoffersen, Ina Grøning und Eyla Both sind zum ersten Mal dabei.

Noch kennt sie niemand, doch am nächsten Abend  sollen die drei 27-Jährigen im glanzvollen Mittelpunkt stehen. Denn die Redakteurinnen und die Grafikerin der dänischen Minderheitenzeitung aus Deutschland, „Flensburg Avis“, sind die MIDAS-Preisträgerinnen des Jahres 2015. Ihnen ist es gelungen, Kinder und Jugendliche für ein Medium zu begeistern,das viele vom Aussterben bedroht sehen: die gedruckte Zeitung!
Zejt-ung. So heißt ihre Kinderseite auf der Rückseite des dänischen Minderheitenblattes. Phantasielos? Mitnichten! Denn auf Dänisch bedeutet „zejt“ so viel wie „cool“ und „ung“ heißt „jung“. Lise hält mir einen bunten Ausdruck hin. Das Design ist ganz anders als der Rest der Tageszeitung: farbenfroh, kreativ, das „Z“ in der Headline spiegelverkehrt. „Nur nichts Rechteckiges!“, hatte Grafikerin Eyla Both gefordert. Darunter der doppeldeutige Slogan „Wir bewegen Grenzen“, in Anlehnung an den der Tageszeitung: „Wir machen Dänemark größer“.

„Ziel des Projekts war, Kinder ab 13 dazu zu bringen, Nachrichten zu konsumieren, aber nicht auf Klatsch-Niveau“ erklärte Chefredakteur Jørgen Møllekær auf seiner Ansprache bei der Preisverleihung. Studien besagen, 75 Prozent der Welt der 13-Jährigen spielt sich auf dem Smartphone ab. „Zeit, neue Wege zu gehen“, forderte Møllekær und beantragte Gelder von der dänischen Regierung für ein zweijähriges Projekt, für das drei Stellen ausgeschrieben wurden.

Vorgaben gab es kaum, erzählt Lise Christoffersen. Doch die zuvor im dänischen Kinderfernsehen beschäftigte Redakteurin und ihre ebenfalls aus Dänemark stammende Kollegin, die Journalistin und Pfadfinderführerin Ina Grøning, hatten während der Sommerferien ausreichend Zeit zur Vorbereitung. Nun galt es, nicht nur ein inhaltliches Konzept zu entwickeln, sondern auch Kinder dafür zu begeistern, als Volontäre aktiv mitzuwirken. Denn was für Kinder gedacht ist, wird am besten auch von Kindern gestaltet und aus deren Blickwinkel erzählt.

Erste Schritte

Lebhaft gestikulierend berichtet die 27-Jährige von dieser spannenden Anfangsphase. Auf Englisch, denn Deutsch lernt die extra von Dänemark nach Flensburg gezogene Journalistin erst nach und nach. Gemächlich zieht die istrische Landschaft vor den Fenstern vorbei, während die übrigen Tagungsteilnehmer im Bus dösen, erschöpft vom vorabendlichen Programm mit Gala-Dinner und Ehrung der Preisträger. „Ina und ich machten viel Brainstorming, sahen Unterrichtsmaterial ein, besuchten Schulen und Horte, sprachen mit Lehrern, Erziehern und Schülern“ erzählt Lise. „Was findet ihr lustig?“, „Worüber möchtet ihr gern lesen?“ wurden die Kinder interviewt. Man wandte sich an den Schülersprecherrat, eine Vereinigung aller Sprecher der dänischen Minderheitenschulen. „Wir haben ein Agreement, dass sie uns informieren, was in den Schulen so passiert - ob das Essen schlecht ist, ob es zu viele Hausaufgaben gibt oder andere Probleme. Meist geschieht nicht viel, aber wir haben den Finger am Puls“, erklärt Lise.

Dann wurden die kleinen „Journalisten“ angeworben und ausgewählt. 18 bis 20 Kinder - mehr Mädchen als Jungen - schreiben heute auf regelmäßiger Basis. Einige wöchentlich, andere nur einmal in zwei Monaten, denn der Einsatz ist freiwillig und hängt von Lust, Verfügbarkeit und Auslastung ab. Zur Auswahl wurden Interviews geführt und Videoclips gedreht. Vorrangiges Eignungskriterium war das nötige Selbstbewusstsein, sich der Öffentlichkeit zu stellen, denn unter allen Artikeln stehen Name und Foto der Verfasser. Außerdem werden Videoreportagen auf dem eigenen You Tube Kanal online gestellt.
In einem Workshop wurde das Kinderteam anschließend in die wichtigsten journalistischen Tricks und Kniffe eingewiesen. Der Rest erfolgte im „Training on the Job“. Zusammen mit Eyla brüteten die Redakteurinnen dann über Layout und Design, bis es endlich so weit war: Am 1. September ging die erste Seite in den Druck!

„Wir korrigieren so wenig wie möglich“

Für die tägliche Arbeit mit den Kindern wurde ein „Spielzimmer“ in der Redaktion eingerichtet. „Dort können wir machen, was wir wollen“, frohlockt Lise. Einmal hüpften sie sogar auf dem Schreibtisch des abwesenden Chefredakteurs herum.  „Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse“, lacht sie und schüttelt ihre Locken. Eine Seite pro Woche für zwei Redakteure - das klingt nicht nach viel Arbeit. Doch der Umgang mit Kindern erfordert Zeit. Viel Aufwand bedeuten auch die Videoclips für You Tube und Facebook, denn oft heißt es seitens der Kinder: „Oh, nein, da seh ich bescheuert aus!“, und alles beginnt von vorn.

Der Schwerpunkt liegt dennoch auf der gedruckten Seite. Lise Christoffersen erklärt die Etappen bei der Entstehung eines Artikels. „Wir reden zuerst mit den Kindern: ‚Warum willst du dieses Thema machen?‘,‚Was willst du fragen?‘ und lehren sie, offene Fragen zu stellen - statt ‚Magst du Eis?‘ ‚Warum magst du Eis?‘.“ Die Instruktion findet meist im Auto statt. Danach wird gemeinsam resümiert: Was war wichtig im Gespräch? Wie soll der Titel lauten? Die Redakteure geben ihre Ratschläge als Empfehlungen formuliert. Am Ende wird der Text redigiert: Er soll vor allem leicht lesbar und verständlich sein. Doch die Story macht das Kind alleine. „Es ist wichtig, den Originalton zu behalten, deswegen korrigieren wir so wenig wie möglich“ verrät Lise. „Man darf auch ruhig erkennen, wer von der besser dänisch sprechenden Minderheit in Flensburg und wer aus dem Süden kommt.“

Worüber lesen Kinder gerne?

Die Themen erstrecken sich vom aktuellen Tagesgeschehen über kulturelle Aktivitäten der dänischen Minderheit, bis hin zu von den Kindern vorgeschlagenen Alltagssubjekten. Kontakt wird per e-mail gehalten. „Manchmal geben wir ein Thema vor und fragen, wer will das machen? Oder wir wenden uns an ein bestimmtes Kind, von dem wir wissen, dass es das interessiert.“ Besonders beliebt sind Buchvorstellungen, aber auch Themen rund um die Schule. Nach einer Befragung in Schulen „Was ist das Beste - was das Schlechteste“, rangierten in fünf von sechs unsaubere Toiletten ganz oben auf der Negativliste. Also wurde das Thema in der Zeitung aufgegriffen. „Wir hatten unheimlich viele Zuschriften zu dem Thema, alle Kinder wollten sich äußern“, erzählt die Redakteurin. Manchmal ändert sich danach sogar etwas, fügt sie an.

Gelegentlich überraschen die Kinder auch mit unerwarteten Vorschlägen - etwa das Mädchen, das unbedingt einen Politiker zur deutschen Politik hinsichtlich der Terrororganisation ISIS befragen wollte. Nach den Ereignissen von Charlie Hebdo wurde die ganze „Zeit-ung“-Seite dem Thema Zensur gewidmet. Um nachempfinden zu können, was das überhaupt bedeutet, schwärzte man einzelne Passagen in den eigenen Artikeln. Ein Kind wollte über Adoption berichten und so suchte man gemeinsam nach einer Mutter, die adoptiert hatte und einem angenommenen Kind als Interviewpartner. Eine ausführliche Reportage entstand über ein mit ihren Eltern aus Afghanistan geflüchtetes neunjähriges Mädchen, dessen Vater Öl an die Amerikaner verkauft hatte und deshalb bedroht worden war. Wie schließt man erste Freundschaften, wenn man die Sprache nicht beherrscht? Das Interview führten die Kinder mithilfe eines Dolmetschers auf Englisch. Auch Themen aus Dänemark stehen im Fokus. Zum Beispiel das Trainingsprogramm des ersten dänischen Astronauten, der im September ins All fliegen soll.

Dazwischen werden immer wieder Subjekte aus dem Alltag aufgegriffen: Wie verbringt man die Freizeit in der Stadt, wie auf dem Land? Wie bereite ich mir mein Essen zu, und wie tat es meine Großmutter? „Kids wollen über alltägliche Themen lesen - nicht über Politik“, musste das Team erkennen.

Ob sich das Projekt auf die Verkaufzahlen der Zeitung ausgewirkt hat, kann Lise nicht mit Bestimmtheit sagen. „Doch wir bekommen viel Feedback und Facebook-Likes und die Kinder motivieren ihre Eltern, das Abo zu behalten“. Ein verstecktes Kompliment gab es von einer Redaktionskollegin, die eines Morgens hereinstürmte und in gespieltem Ärger ausrief: „Ihr drei geht mir ja so auf die Nerven!“ Dann erzählte sie, wie sich ihr Kind am Frühstückstisch auf den Bogen mit der letzten Seite stürzt und ihr den kläglichen Rest hinhält - ohne die erste Seite zum politischen Tagesgeschehen, die ja mit der letzten zusammenhängt. „Die Kinder denken, das ist ihre Zeitung!“, freuen sich Ina, Eyla und Lise.

„Es ist toll für uns, diese Anerkennung von anderen Journalisten entgegenzunehmen“, erklärt Lise Christoffersen stellvertretend für ihre Kolleginnen bei der Verleihung des MIDAS-Preises. „Doch das Lob geht an unsere Kinder: Sie überraschen uns täglich mit ihrer Neugier, und wir staunen immer wieder, mit welcher Begeisterung sie schreiben!“