Zeuge sein

Wort zum Sonntag

Johannes der Täufer predigt die Taufe der Buße und zeigte allen Menschen die Möglichkeit der Umkehr. „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“, sagt er. Sein Wirken war auf das ganze Volk hin ausgerichtet. Er hatte in seiner Verkündigung nicht im Sinn, eine kleine Gruppe von Auserwählten zu bilden, sondern er wollte durch seine Predigt, durch sein Wort und sein Handeln jedem Menschen die Möglichkeit geben, umzukehren und neu anzufangen. Auch Sündern soll diese Möglichkeit der Selbstfindung und Neuorientierung gegeben werden. Das ist auch das Neue bei Johannes, durch welches er zum Wegbereiter des Heilandes Jesus Christus wird.

Mehr noch: Johannes wird ein Zeuge der Gegenwart Gottes. Jedoch nicht seine bescheidene Lebensweise machen ihn bemerkenswert, sondern sein Zeugnis. Er verheißt dem Volk den Messias und wird selbst ein Zeuge der Gegenwart Gottes. Zeuge von Gottes Gegenwart und Gottes Wirken in dieser Welt zu sein, verstanden die Christen immer als ihre Aufgabe. Sie machten sich zur Aufgabe in ihrer Verkündigung den Heiland Jesus als den gekreuzigten und auferstandenen Herrn zu bezeugen. Von Generation zu Generation wurde dieses Zeugnis weiter gegeben. Aber nicht immer lebten die Christen bewusst in diesem Zeugnis für das Lamm Gottes. Sie vergaßen die Gebote, sie vergaßen das Gebet und sie vergaßen den Dank für Rettung aus Sünde und Tod, wie auch für den empfangenen Segen. Dafür musste sie Gott der Herr immer wieder harten Prüfungen unterstellen, um sie an die Verheißung, die Erlösung und das Gericht oder das Heil zu erinnern. Ich denke heute ist wohl so ein Tag für uns, der uns wieder einmal in Erinnerung ruft, dass Gott noch ein Wort in dieser Welt zu sagen hat.

In den 30er Jahren hat sich unser Volk geradezu überheblich gezeigt. Ich erinnere mich an ein ernsteres Gespräch mit meinem Onkel über diese damalige Zeit. Angeblich war bei meiner Geburt, außer der Hebamme auch ein Dr. Adler, ein Jude, zugegen. Und von diesem Dr. Adler erzählte man mir, dass er nicht ins KZ deportiert wurde, weil ihn Kronstädter Sachsen versteckt hielten. Andere Juden wären von Kronstädtern verhöhnt, verspottet und bespuckt worden, oder auch verraten. Dr. Adler ist später nach Israel ausgewandert und hat in den 80er Jahren viele Pilgerfahrten ins Heilige Land unterstützt.

Ich will jedoch auf diese Überheblichkeit der Auserwählten einer „arischen Rasse“ zurückkehren, die durch ihr unmenschliches Denken und Handeln sich arg versündigt hat. Ihr gehörten auch Führer unserer sächsischen Gemeinschaft an, die diese Erniedrigung und Demütigung schürten und verbreiteten. Und als dann die große Wende mit ihrem Elend eintrat, da fragte man sich WARUM?

Unser Volk hat in der guten Zeit der Konjunktur, der Zwischenkriegszeit vergessen, Zeuge zu sein. Man hat sich von der Aufgabe, für Christus Zeuge zu sein, gedrückt. Was darauf folgte, wissen wir. Kaum eine Familie ist von der Deportation nach Russland verschont geblieben. Viele Schriften versuchten, dem WARUM nachzugehen. Wenige deuten es mit dem Zeugenverlust, der nur durch das Verständnis der christlichen Aufgabe deutlich wird, der Auftrag „allerorts Zeuge zu sein“, Zeuge mit allem für und wider, mit Segen und Gericht, mit Glückseligkeit oder Martyrium. Nicht nur die Prediger hatten vergessen zu bezeugen, sondern auch das Volk hatte den Zeugenmut verloren.

Ein DARUM ist dann später aus dieser Bußzeit erwachsen, als man im Nachhinein in der ganzen Lebensanschauung zur Vernunft gekommen war. Eine neue Epoche war angebrochen. Ob dieser unlogische Krieg in der Ukraine, eben in den Gebieten, die heute unter Beschuss stehen und in deren Kohlegruben des Donbas viele Deportierte ihr Leben ließen, eine neue Sicht für Menschlichkeit und Frieden bringen wird, kann nicht gesagt werden. Alle Welt müsste hingegen Buße tun, damit dem Himmelreich Herzen und Seelen geöffnet werden.

Doch ob wir heute noch genügend Kraft aufwenden können weiterhin zu bezeugen, oder ob wieder eine Zeit der Unvernunft angetreten ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall bleibt unsere Aufgabe weiter bestehen: Aufzurufen, Zeuge für Christus zu sein und die Hand zu heben und laut zu rufen: Siehe, das ist Gottes Lamm.

Heute, wo wir uns der 78. Wiederkehr des Gedenkens an die Deportation besinnen, sollen wir uns mit allem Ernst vornehmen, das Zeugnis für Jesus Christus mit offenen Ohren zu hören und in Predigt, Gebet und dem täglichen Leben dieses Zeugnis zu bekräftigen und zu leben. Ein Vorsatz, der nur in tiefem Glauben und Gottvertrauen geschehen kann.

Amen.