Zugebissen: Rumänischer Radlerblues

Jahrelang war ich tapferer Tretroller-Pendler zwischen einem Bukarester Vorort und der Hauptstadt: Morgens vier Kilometer die Landstraße lang zum Bahnhof, bei jedem Wetter, außer Schnee. Dann den Roller zusammenfalten, in den Zug steigen und nochmal sechs Kilometer durch die Hauptstadt, vorbei an sich stauenden, stinkenden Autoschlangen auf leidlich befahrbaren Radwegen, die eigentlich keine mehr sind… Trotzdem hat keiner die Markierung je entfernt oder ein entsprechendes Hinweisschild angebracht. 

Mit dem Wechsel in der ADZ-Leitung kam dann die Notwendigkeit, früher in der Redaktion zu erscheinen als mit Zug und Roller möglich. Und aus der Perspektive des Autofahrers, notgedrungen, merke ich erst jetzt, wie brandgefährlich das Rad- oder Rollerfahren hierzulande ist. Auf unserer dörflichen Hauptstraße zum Beispiel ist einfach nicht genug Platz für zwei sich entgegenkommende Pkw-Raser und einen Rad- oder Rollerfahrer. Bremsen? Völlig uncool! Dann lieber beschleunigen und kurz vor dem Rad einen Haken schlagen wie ein Hase - und hoffen, dass der andere auch geistesgegenwärtig am Lenkrad reisst...

Dabei ist das Rad immer noch Hauptfortbewegungsmittel für die meisten Dorfbewohner. Mit Anhänger und Gasflasche, mit Kindersitz und Einkaufskorb, mit Schirm und Hut und Handy – alles schon gesehen, selbst den Opa, der die Oma im Damensitz auf dem Gepäckträger befördert, feingemacht für den Termin beim Arzt oder im Rathaus. Radfahren ist billig, umweltfreundlich und gesund, das ideale Verkehrsmittel - und hat hierzulande doch keine Lobby. 

Erst vor den letzten Kommunalwahlen wurde die noch völlig intakte Hauptstraße demonstrativ neu geteert. Doch kein Hindenken daran, den nutzlosen Grün-und-Dreckstreifen in einen Radweg zu verwandeln! Sind Radler zweitklassige Wähler? Oder ahnte man schon, dass ein Radweg sowieso für die Katz wär: ständig zugeparkt, zugemüllt, die Begrenzungspfosten umgefahren oder bei Nacht und Nebel entfernt? 

Dabei gehört Radlern die Zukunft: In Europa steigt die Zahl der Radfahrer und auch die Produktion von Rädern rasant an: 2017 bis 2021 von 9,9 auf 13,5 Millionen. Die Pandemie hat das Radfahren geboostet, die Treibstoffkrise wird den Trend fortsetzen. Man staune: 2021 wurden in Rumänien fast 20 Prozent aller Fahrräder in der EU produziert. Schade bloß, dass die großen Herstellerländer auch jene mit der niedrigsten Nutzerrate sind. 

Auch das flache Bukarest hätte beste Voraussetzungen als Drahteselparadies. Doch Greenpeace berichtet, dass dort nur ein Prozent aller Wege mit dem Rad zurückgelegt werden (zu Fuß immerhin 15 Prozent) - in Amsterdam und Kopenhagen sind es über ein Viertel der Wege. Paradoxerweise führt Rumänien trotzdem die Liste der EU-Länder mit den meisten tödlichen Radunfällen an!

Wo liegt der Hase im Pfeffer? Warum wird nicht wie wild drauf losgeplant, die schönen grünen Hauptstadtvororte zum Strampeln erschlossen? Die Züge mit Fahrradwaggons aufgestockt? Die Dörfer mit sicheren Fahrradautobahnen vernetzt? Das Transportrad, das Rad mit Kleinkindanhänger, das ultrastabile Erwachsenendreirad oder der behindertengerechte Elektroscooter gefördert und beworben?  

Ich fürchte, Radfahren & Co. gilt hierzulande einfach nicht als cool genug! Könnte man aber schlagartig ändern: Wie wär‘s mit dem schwarzgelackten Bizykel-SUV, oder dem Rennrad mit Zierauspuff und Porsche-Sound, dem }uicaflaschenbestückten Anglerrad mit faltbarem Fischeimer, Ködertäschchen und Gepäckträgergrill, um nur die wichtigsten Zielgruppen anzusprechen? Für den Radausflug in die Natur darf freilich auch die transportable Musikbox nicht fehlen. Und der geländegängige Müllkorb-Anhänger, man wird ja noch träumen dürfen… Bis dahin: Roller- und Radlerblues, aber immerhin mit Galgenhumor.