Zwischen Washington D.C. und Schäßburg

Seit zehn Jahren lebt der Amerikaner David Blum in der Festung – und fand dort eine eigenwillige Mission

Jurist, Abenteurer, Schriftsteller: David Blum, hier mit seinem ersten Roman

1984 fand in der Synagoge von Schäßburg (erbaut 1903-1904) der letzte Gottesdienst statt. Heute wird sie von Touristen besucht und für Kulturveranstaltungen genutzt.

Im August 2007 fand die feierliche Wiedereröffnung der restaurierten Synagoge im Beisein des damaligen Oberrabbiners Menachem Hacohen statt.

Einst gab es hier eine rege jüdische Gemeinschaft. Dazu gehörte einer der Projektanten des Stundturms, der einen Davidstern neben der Uhr an der Fassade eingeritzt haben soll. Oder Familie Blau, die im 18. Jh. medizinischen Alkohol für Apotheken herstellte.

Mit Viorica Bălut (2. v. li.), der treuen Schlüsselhüterin
Fotos: George Dumitriu

Die Wellen des Lebens hatten ihn nach Schäßburg getragen. Einfach so. Seine Geschichte vor meine Füße gespült, plötzlich und überraschend, wie das Meer, das dem barfüßigen Strandspaziergänger unverhofft über die Zehen schwappt. „Mein Erscheinen hier war ein Unfall – ‘an accident’“ – lacht David Blum. Wir schlendern zusammen durch die Gässchen der Festung. Gut zehn Jahre ist es nun her, als er zufällig nach Schäßburg kam. „Ich verliebte mich sofort, denn in Amerika gibt es so etwas nicht!“ schwärmt er mit leuchtenden Augen. Zufällig war gerade eine Wohnung zum Verkauf ausgeschrieben, mitten in der Festung. Der Rest ergab sich von allein.

Seit über zehn Jahren lebt David Blum nun in Schäßburg/Sighişoara. Zumindest im Sommer, die kalten Winter verbringt der über 80-Jährige mal in Thailand, mal bei Familienmitgliedern in San Francisco oder in seiner alten Heimat, Washington. Zwölf Jahre hatte er dort als Jurist für Bürgerrechte an der US-Regierung gearbeitet und städtische Sozialwohnprojekte betreut. „Dann musste ich etwas anderes machen“, lacht er auf, „denn ich wollte nicht, dass auf meinem Grabstein mal steht: ‘Hier liegt ein toter Bürokrat’“.

Unser Weg führt unter dem Stundturm hindurch, vorbei am Hermann-Oberth-Platz, an romantischen Parks und Gärten. Vor einem weißgetünchten Haus in der Strada Tache Ionescu bleibt er stehen, öffnet das kreischende Metalltor, ein kleiner Hund kläfft freudig und springt an ihm hoch. Das rumänische Ehepaar, das hier wohnt, hat nicht mit Gästen gerechnet. Trotzdem kommen schnell Tomaten, Käse und }uica auf den Tisch. Dann legt Viorica Bălut die Kittelschürze ab, streicht sich das Kleid glatt und holt den Schlüssel für die benachbarte Synagoge, denn gleich muss sie für eine Touristengruppe aufsperren. Sie ermutigt uns, kräftig zuzulangen und eilt davon. „Domnul Blum bedeutet uns sehr viel“ bemerkt Ilie Bălut voller Ehrfurcht. Die Wohnung oben in der Burg musste er damals für eine Operation dringend veräußern. Der buchstäblich vom Himmel gefallene Käufer kam wie gerufen – und verschaffte dem heutigen Rentnerehepaar auch noch den Job als Hausmeister der Synagoge.

Eine eigenwillige Mission

„Nein, religiös bin ich nicht“, lächelt David Blum. „Sicher, ich bin Jude, als Jude geboren und aufgewachsen, aber nicht wirklich gläubig.“ Warum er trotzdem die Synagoge restaurieren ließ? „Jemand musste es tun“, sagt er schlicht. Mit seinem Freund, dem Arzt Dr. Petru Oprea, sei er oft hier spazieren gegangen. Da fiel dem damals 71-Jährigen auf, in welch bedauernswertem Zustand sich das Gebäude befand. „Jemand sollte das wirklich in Ordnung bringen“, dachte er jedes Mal.
„Ich hatte ein wenig Erfahrung im Bauwesen und kannte einen sehr guten Bauingenieur, das war schließlich der Schlüssel zu der Idee, dass ich es tun könnte,“ erklärt David Blum. Mit der Innengestaltung beauftragte er die damals 20-jährige Raluca Dumitrescu, Ikonenmalerin für orthodoxe Kirchen. Nur mit den Bauarbeitern gab es Probleme, bis ihm Petru Oprea eine Roma-Mannschaft empfahl. „Wir hatten erwartet, dass das schwierig werden würde“, hebt David Blum an. „Doch die Gypsies dachten, das sei eine Kirche und behandelten die Ikonenmalerin mit großem Respekt. Es funktionerte!“ frohlockt er.

In Davids Leben klingt alles wie ein Zufall. Ein Mensch, der sich voll Vertrauen treiben lässt, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufzuschlagen – für ihn, für alle. So fragte er sich anfangs gar nicht, für wen er die Synagoge restaurierte, denn in Schäßburg gibt es schon lange keine Juden mehr. 1903, als sie erbaut worden war, waren es noch um die 100, 1956 sogar 217, doch ab 1966 sank ihre Zahl wegen Emigrationsbewegungen auf 35, 1977 auf zehn und 1992 auf zwei. Als David in Schäßburg ankam, lebte dort noch ein über 90-Jähriger, der den Schlüssel der Synagoge hütete und sie verwaltete, „ein sehr gebildeter Mann, sprach sieben Sprachen“, bemerkt er ehrfürchtig über Erich Raducan. „Jetzt bin ich der einzige Jude in Schäßburg“, fügt David an – und bekräftigt: „Aber religiös bin ich nicht.“

Aus dem Nachbargebäude erheben sich Stimmen. Sie singen die israelische Nationalhymne, klärt der Amerikaner auf und wir schlendern hinüber. „Hier ist David Blum, der Mann, der unsere Synagoge restauriert hat“ wird er der Gruppe vorgestellt. Begeisterter Applaus, Händeschütteln, man begrüßt sich auf Hebräisch. Freude ist in den Gesichtern der Besucher zu lesen. Sie erkennen den Stifter auf Anhieb, sein Konterfei hängt an der Wand. Dieser wirkt tief bewegt. „Die Synagoge wird tatsächlich viel mehr genutzt als ich anfangs dachte“, erklärt er. Und ergänzt: „So etwas geschieht hier jede Woche!“

Fasziniert von der jüdischen Weltgemeinschaft

„Ich bin ein verrückter Kerl“, fühlt sich David bemüßigt, zu erklären. Auf der Empore plaudert er aus seinem Leben. Geschichte hatte ihn schon immer begeistert, so hat er zwei Bücher geschrieben, eines über das Amerika der 1950er bis 70er Jahre - kulturelle Veränderungen, Frauenbewegung, Drogen, Rassenkonflikte. Ein Roman über fünf Familien im industriellen Pennsylvania. Das andere heißt „Eine kleine Geschichte der Juden“ und ist seinem Freund, dem Regisseur Radu Gabrea gewidmet. „Er mochte dieses Buch“, erklärt David dazu schlicht. „Über die Jahre verstand ich unsere Geschichte immer besser“, motiviert er, „so dass ich sie auf eine sehr komprimierte Weise erzählen wollte. Das ist das Neue daran – denn ansonsten sind die Büchereien voll mit Werken über jüdische Geschichte, wozu also noch eins?“

Auf einmal füllen sich seine Augen mit Tränen: „Jetzt sind wir an einem kritischen Punkt angekommen.“ Es geschah auf seiner ersten und einzigen Reise nach Israel. Dort waren Juden aus aller Welt für einen Kongress zusammengekommen. „Sogar einer aus Indien - ein Jude wie wir! Das ist faszinierend. Ein nachhaltiger roter Faden zieht sich durch unsere Geschichte! Die Schwierigkeiten, die die Juden überall hatten, als ‘Christus-Mörder’. Und wie wir zusammenhalten, was wir aushalten. Das ist eine Geschichte!“ ruft er überwältigt. „Diese Erkenntnis machte mich leidenschaftlicher als Jude.“

Stark und verbunden über die Grenzen hinweg, so charakterisiert er die jüdische Weltgemeinschaft. Ihr Geheimnis? „Ich verstehe es selbst nicht!“ ruft er theatralisch. Sein Buch hätten manche als kontrovers empfunden, fügt er an, doch dies sei nicht seine Absicht gewesen. „Ich versuche, mit Fakten sehr genau zu sein.“

Irgendwie angekommen

„Schäßburg ist ein guter Ort, die Leute sind freundlich zu mir“, sagt er unvermittelt. „Ich habe meine Wohnung mitten in der Festung, jeden Morgen blicke ich auf diese wahnsinnig hohe Decke.“ Das Staunen eines Amerikaners – oder ist es ein Osteuropa-Gen, das sich zu regen begann, als er der Heimat seiner Eltern näher kam? „Mein Vater kam 1886 aus Lemberg in die USA, er war Schneider, starb 95-jährig und war nie einen Tag krank. Meine Mutter stammt aus einem Schtetl, einer jüdischen Gemeinschaft, in der Ukraine“, weiß David. Dann schwärmt er: „Siebenbürgen ist wunderschön! Habsburger und sächsische Geschichte, sehr ungewöhnlich. Und man kann hier wunderbar leben.“

Am nächsten Abend sehen wir David bei einem Open Air Konzert in der Festung wieder. Aus der Menge winkt er uns zu. Wir versuchen, zusammenzukommen, doch die Menschenmenge wogt weiter, trägt ihn mit, da und dort taucht sein Kopf immer wieder auf. Er lässt es geschehen, mit einem breiten, glücklichen Lächeln.