Abenteuer Ruhrgebiet

Von der Umgestaltung der Bergbauregion in ein Kultur- und Freizeitgebiet

Der Förderturm des Bergbaumuseums in Bochum.

Im Westfalenpark von Dortmund sind tausende Pflanzen zu bewundern. Mit der Schmalspurbahn kann man durch die Anlage fahren, am See kann man mit dem Boot bis unmittelbar vor die Freilichtbühne gelangen.

Seltene Tiere aus allen Kontinenten sind im Dortmunder Zoo zu sehen.

Vergleiche zu machen ist nicht immer angetan. Und doch kommt man gelegentlich in Versuchung, dies zu tun - besonders auf Auslandsreisen. So entsprechen Rumäniens schöne Landschaft und Freizeitmöglichkeiten bei weitem nicht den Ansprüchen eines Tourismus von internationalen Ausmaßen. Und dann gibt es noch einen Sektor, der bislang völlig vernachlässigt worden ist: den der Industriekultur. Die Erkenntnis über die in den Jahren nach der Wende verzeichneten diesbezüglichen Verluste bleibt bei den Verantwortungsträgern aus, die diesbezüglichen Interessenten stehen machtlos da. Daher bietet sich ein Vergleich zwischen Rumänien und dem Ruhrgebiet in Deutschland an.

Gelegen zwischen Ruhr und Lippe, zwischen Duisburg und Hamm, sorgte die Steinkohle im 19. Jahrhundert für eine rasante Entwicklung dieses Gebiets. Stahlhütten, Zechen, Kokereien waren auf Schritt und Tritt anzutreffen. Insgesamt 53 Städte bilden den drittgrößten Ballungsraum Europas. Auf 4435 Quadratkilometern  leben 5,3 Millionen Menschen, die rund 140 unterschiedlichen Nationen angehören und hier eine neue Heimat gefunden haben. Nach 1980 nahm die Kultur die Stelle von Steinkohleausbeutung und Stahlindustrie ein: Freizeitzentren wurden eingerichtet, alte Industrieanlagen verwertet und in Museen umgewandelt.

Heute gehört die Zeche Zollverein in Essen zum UNESCO-Weltkulturerbe, in Oberhausen ist der Gasometer ein Wahrzeichen der Stadt, in Bochum macht der Förderturm auf das Bergbaumuseum aufmerksam und lädt zu einem Besuch ein, in Duisburg ist der Landschaftspark-Nord eingerichtet worden. In Dortmund hat der Westfalen-Park die Stelle der ehemaligen Industrielandschaft eingenommen und ist zur einer grünen Oase für die Stadt geworden.

In Rumänien hingegen wurden nach der Wende Betriebe aus dem 19. Jahrhundert im Zuge der Privatisierung dem Erdboden gleichgemacht. Dabei bereicherten sich die neuen Eigentümer, indem sie das Metall der Betriebe verwerteten. Kürzlich wurde die alte Bierbrauerei in Azuga gesprengt; auch in Kronstadt sind keine Spuren der ehemaligen Erdölraffinerie oder der Schiel-Maschinenfabrik übrig geblieben. Dabei hätten einige der ehemaligen Hallen gut als Ausstellungsräume oder Museen eingerichtet werden können.
Zurück ins Ruhrgebiet. Gleich, aus welcher Richtung man kommt, wird man von der großen Anzahl der hier befindlichen Städte regelrecht überwältigt: Düsseldorf, Dortmund, Essen, Oberhausen, Gelsenkirchen, Duisburg, Hagen, Hamm, Herne, Mühlheim, Recklingshausen, Unna – um nur einige zu nennen.

Wenn man früher vielleicht etwas zurückhaltend mitteilte, man stamme aus dem Ruhrgebiet, so ist das längst nicht mehr der Fall. Außerdem gibt es regelrechte Solidarität zwischen den „Ruhries“, ausgenommen natürlich die Fußballfans, die, wenn sie aus benachbarten Städten kommen, große Rivalen sind. Die Anhänger des Vereins Schalke 04 – 1904 in Gelsenkirchen gegründet – haben stets ein Hühnchen mit jenen von Borussia Dortmund zu rupfen, einem Verein, der fünf Jahre bestand. Derartige Rivalitäten gibt es nicht nur zwischen Anhängern von Mannschaften der ersten Bundesliga, sondern auch zwischen den Fans weniger renommierter Vereine.

Panoramablick von Hochofen 5

Den besten Eindruck vom Ruhrgebiet gewinnt man, wenn man es von oben betrachtet, zum Beispiel von Aussichtsplattformen, die auf ehemaligen Industrieanlagen errichtet wurden. Eine solche Plattform gibt es im Landschaftspark Duisburg-Nord auf dem Hochofen 5 des ehemaligen Hüttenwerks in Meiderich. Bei Nacht reicht der Blick bis zu den beleuchteten Hochhäusern von Essen. Einen noch besseren Ausblick hat man vom 117 Meter hohen Gasometer in Oberhausen. Errichtet wurde dieser 1929 als Großspeicher für Kokereigas, heute beinhaltet er eine der interessantesten Ausstellungshallen in Deutschland. Im Umfeld stößt man auf weitere ehemalige Stätten der Montanindustrie, die zu Dienstleistungszentren oder als Kultur- und Erholungsanlagen umgebaut wurden. Überdies kennzeichnen das Ruhrgebiet die neuen Branchen, die hier Einzug gehalten haben: Logistik, Medizin, Informationstechnologie, Energie- und Wasserwirtschaft.

Noch gibt es zwar die Kohle- und Stahlzweige, doch in immer geringer werdender Präsenz. Dieser Strukturwandel ist auch an den Tätigkeitsbereichen zu sehen: Waren Ende der fünfziger Jahre noch etwa 470.000 Beschäftigte im Bergbau tätig, sind es heute nur noch 30.000. Und auch diese Zahl wird immer kleiner, bedenkt man, dass es früher 141 Zechen gab, die Steinkohle förderten, heute nur noch sechs. Und selbst diese sechs wird es nicht mehr lange geben: Die Förderung der Steinkohle im Ruhrgebiet soll bis 2018 völlig eingestellt werden. So sieht es der von Bund und Ländern gefasste Kohleausstiegsbeschluss vor.

Kultur statt Stahlindustrie

Nicht viel anders stehen die Dinge im Bereich der Stahlindustrie, in der um 1950 noch 300.000 Beschäftigte tätig waren. Heute sind es noch bei 57.000. Der dadurch entstandene Strukturwandel war vorauszusehen: Tourismus und Kultur haben neue Perspektiven erhalten. Allein der Umsatz von 1,2 Milliarden Euro im Tourismusbereich ist bezeichnend. 14.000 Menschen haben einen Job in der Branche. Der Freizeitpark Movie Park Germany in Bottrop, das Museum Folkwang in Essen, das Schauspielhaus in Bochum, das Aalto-Theater in Essen, das Konzerthaus in Dortmund sowie zahlreiche Museen locken tausende Besucher. In Duisburg, an der Mündung der Ruhr in den Rhein, ist am Innenhafen eine neue Kultur- und Flaniermeile entstanden. Die Stadt Oberhausen ist zu Europas größtem Einkaufszentrum geworden: CentrO ist auf dem ehemaligen Gelände der Gutehoffnungshütte entstanden und lockt Kauffreudige auch aus den Nachbarländern. Wer mit dem Schiff auf der Ruhr eine Rundfahrt vornehmen will, kann vom Wasserbahnhof in Mülheim mit einem Schiff der Weißen Flotte starten.

Grüne Oasen zum Wandern und Radeln

Zahlreiche „Grüne Lungen“ sind im Ruhrgebiet erweitert oder neu angelegt worden. Den Westfalenpark in Dortmund erwähnten wir schon; doch sollte unbedingt auch der Zoo in Dortmund besucht werden. Das große Areal, auf dem sich diese beiden Freizeitanlagen erstrecken, lädt zu regelrechten Wanderungen ein, auf denen man sich stundenlang an der Pflanzen- und Tierwelt erfreuen kann. In Duisburg sollte man eine Wanderung entlang der Sechs-Seen-Platte vornehmen. Außerdem gibt es im Ruhrgebiet viele Wanderwege und rund 1500 Kilometer gut ausgeschilderte Radwege.

Der Grugapark in Essen wurde 1927 angelegt und zwei Jahre später  als „Große Ruhrländische Gartenbau-Austellung“ (GRUGA) eröffnet. Gelsenkirchen, ein Standort, wo es früher 24 Bergwerke gab und das damit als größte Zechenstadt in Europa galt, konnte die ehemaligen Strukturen noch nicht ganz umgestalten. Doch auch hier gibt es viel Sehenswertes. So locken zum Beispiel das Schloss Horst und das Wasserschloss Berge viele Besucher an.

Neben Industriekultur, Landschaft und Binnenschifffahrt sollte man auch die Leckereien und das Bier des Ruhrgebiets genießen. All das sind freilich bloß Anregungen, die man bieten kann, wenn man eine Reise durch das Ruhrgebiet vorgenommen hat und aus der Fülle der Eindrücke schöpft.