Das Bad in Uzonka

Verwunschen und versteckt. Ein Ort wie aus dem Märchenbuch

Das mineralhaltige Bad in Uzonka

Ehemaliges Kurhaus | Fotos: Wilhelm Schmidts

Ob da jemand wohnt?

Baden im Gesundbrunnen

„Omama und Otata / grüßen euch aus Uzonka.“ Die Postkarte ist vergilbt, der Stempel fast sechzig Jahre alt. Lasst uns dahin fahren, sagen die Enkel, inzwischen selbst Großeltern, auf Nostalgietour unterwegs im heimatlichen Siebenbürgen. Wohin sind unsere Großeltern damals, in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, zur Sommerfrische gereist? Mit der Bahn aus Tartlau/Prejmer nach Bixad-Steinbruch im Landkreis Covasna, danach zu Fuß über den Berg, am Waldsaum entlang, bis ins Bad Uzonkafürdö/Ozunca Băi. Sie hatten wohl nur das Nötigste im Rucksack dabei, ein Buch zum Lesen vielleicht. Und haben bestimmt das Alleinsein gesucht, Erholung vom quirligen Alltag in einem Drei-Generationen-Haus.

Um diesen Ort rankt sich eine schaurig-schöne Legende. Weil sie sich schützend vor ihren Liebsten Piliske warf, den der zornige Vater Murgó töten wollte, wurde die schöne Uzonka selbst zum Opfer. Vom Schwert des Unbarmherzigen getroffen, starb Uzonka in den Armen ihres Geliebten. An der Stelle, wo ihr unschuldiges Blut vergossen wurde, entsprang eine Heilwasser-Quelle. 

An die Wirkung dieses Wassers glauben viele. Wie sonst soll man sich erklären, dass teure Autos und schwere Motorräder vor dem winzigen Bad parken, der ungepflegten Umgebung zum Trotz? Menschen aller Altersgruppen steigen in – na ja – den Tümpel von der Farbe einer Kürbiscremesuppe. Das Wasser ist kalt, aber so kohlendioxidhaltig, dass es auf der Haut prickelt. Bald spürt man die Kälte nicht mehr. So muss sich ein Champagnerbad anfühlen, denken wir beim ersten Versuch. Aus dem Boden des Beckens blubbert Mineralwasser, das Eisen, Jod, Lithium und wer weiß was für Substanzen noch enthält. Keine Tafel klärt über die Wirkung auf, kein Text warnt vor zu langem Baden. Wer aus dem Wasser steigt, die Haut gerötet, nutzt kein Handtuch, um die Wunderwirkung der Uzonka-Quelle nicht zu schmälern. Heiß brennt die Sonne auf die Bretter am Beckenrand. Bei jedem Besuch sind sie noch etwas morscher. Der Weg zum hölzernen Plumpsklo ist ein kleines Abenteuer. Wer noch nie ein solches Örtchen gesehen hat, wie unser Münchner Enkelsohn, ist fasziniert und angeekelt zugleich. Halt, da kommen drei besondere Gäste! Sie bieten einen fast biblischen Anblick. Vater und Tochter helfen der kranken Mutter ins gelbliche Wasser, erst in ein winziges Tümpelchen am Zaun, dann ins Hauptbad. In ihren Gesichtern spiegelt sich Überzeugung: hier wird sie Linderung erfahren. Nach einer Weile helfen die Angehörigen der Mutter aus dem Becken und verschwinden. Wohin? Das kann man wegen der hohen Bäume und struppigen Sträucher nicht ausmachen. Sind da Häuser? Gästewohnungen?

Die Frage ist einen weiteren Besuch in Uzonka wert. Diesmal streunen wir mit einem Gast durch die nähere Umgebung des halb aufgelassenen Bades. Ähnlich präsentieren sich auch manche der ehemals stolzen Häuser: unbewohnt. Dane-ben aber wird gebaut. Im ganzen Uzonka-Tal grüßen Baustellen, rattern Motorsägen, brummen Betonmischmaschinen. Erlebt das kleine, ehemals feine Bad eine Renaissance? Wer hierher zieht, lebt fern von Arzt und Polizei, kann in keinem Laden einkaufen und muss ins elf Kilometer entfernte Nagy-Bacon/Bățanii Mari, will er ins Bürgermeisteramt. Kaum zu glauben, dass Omama vor sechzig Jahren eine Postkarte mit ihrem Gedicht hier abgeschickt hat und dass diese auch ankam! Im Internet erfahre ich, dass etwa fünfzig Personen, vorwiegend Nachkommen hierher übersiedelter Tschangos, ganzjährig in Uzonka leben.

Im Sommer belebt sich der Ort. Sie kommen aus ganz Siebenbürgen, sprechen vorwiegend ungarisch und erzählen, dass in dieser verrotteten Villa eine Kronstädter Familie ihre Sommerferien verbrachte, drüben im Wald ein Erholungsheim der Reformierten Kirche sei und ihr eigenes Anwesen sommers und an Wochenenden genutzt werde.  Man begrüßt einander, plaudert entspannt am Beckenrand, scherzt mit den beiden streunenden Hunden, die hier jeder kennt. Bären? Wir sehen nur die Spuren ihrer Anwesenheit: geplünderte Mülltonnen, zerwühlt auf der Suche nach Essbarem. Die Müllabfuhr kommt regelmäßig vorbei, aber das traurige Schauspiel wiederholt sich fast täglich. Ein misslungenes EU-Projekt rostet im nahen Wald vor sich hin: Auf einem Betonsockel lagern Behälter zur Mülltrennung, umzäunt, geschlossen, ungenutzt.

Komm, wir baden noch einmal in Uzonka! Und lass uns aus der Quelle trinken, die jenseits des zerfallenen Kurhauses, von der Wildnis schon fast verschluckt, mineralhaltig aus dem Boden sprudelt. Hat auch uns das Uzonka-Virus gepackt? Zeigt die sommerliche Kur mit dem quicklebendigen Wunderwasser etwa ihre Wirkung? Inzwischen kennen wir die Umgebung, das aufgelassene, halb verfallene hölzerne Kurhaus, den rostigen Heizkessel im mannshohen Unkraut, Spuren eines Badebetriebs von ehemals. Nichts kann uns mehr schockieren. Die einen kommen, die anderen gehen. Wenn wir von Uzonka erzählen, passiert es öfter, dass Menschen sich erinnern: als Kinder waren wir auch dort. Es war ein Urlaub in der Nähe, dennoch weit weg vom Alltag in der großen Stadt. Andere Menschen tauchen jetzt in das gelbe Wasser. Selig seufzen manche: dies ist der reinste Gesundbrunnen, ich muss einfach wiederkommen! 

Beim allerletzten Besuch aber staunen wir: nanu, neben dem schiefen Holzzaun, der das Becken umschließt, liegt ein Haufen Pflastersteine! Sollte die schöne Uzonka etwa zu neuem Leben erwachen?