Die ewige Stadt, wo sich Politik und Kirche die Hand reichen

Aachen: Reichsstadt, Krönungort, Europastadt und Kurort

Karlsbüste

Deckengewölbe im Dom

Das Simeonsreliquiar | Fotos: die Verfasserin

Die Krone der Prinzessin Margareta von York

Die westlichste Großstadt Deutschlands ist nicht nur für die Produktion von Süßwaren wie Lindt-Schokolade und die Aachener Printen, eine lokale Lebkuchenspezialität mit Schokolade oder Nuss, weltweit berühmt. Aachen liegt im geo-grafischen Schnittpunkt dreier Länder, in umittelbarer Nähe befindet sich als Tourismusziel das sogenannte Dreiländereck, wo die deutsche, niederländische und belgische Fahne sowie jene der Europäischen Union flattern. Der Europäismus ist in Aachen nicht nur aufgrund seiner Lage im Herzen Mitteleuropas zu Hause, sondern vor allem Dank des fränkischen Kaisers Karl des Großen (747/748 – 814), der durch die Erweiterung des Frankenreiches nicht nur fast das gesamte Mitteleuropa eroberte, sondern es auch unter derselben Religion, Sprache und Schrift infolge der Gründung des Heiligen Römischen Reiches 800 und seiner Bildungsreform vereinigte und vereinheitlichte. In der Erinnerung an einen der bedeutendsten mittelalterlichen Herrscher im europäischen Geschichtsbewusstsein, einen wahren „Pater Europae“ und seiner Errungenschaften wird jährlich seit 1950 der Internationale Karlspreis an Menschen und Institutionen für besondere Leistungen im Dienst Europas in der ehemaligen Reichsstadt Aachen vergeben. Ebenfalls dort befindet sich außerdem das erste deutsche bau- und kunstgeschichtliche Ensemble, welches in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen wurde. 

Namengebung und frühe Geschichte

Aachen war einst eine keltische Siedlung, die von den Römern kolonisiert und mit Thermalbädern ausgestattet wurde. Die Tatsache, dass ein römisches Bad im 1. Jahrhundert n. Chr. historisch belegt ist, weist darauf hin, dass die Stadt schon seit der Antike für ihre hochstehende Badekultur berühmt war. 

Der antike Ortsname lautete etwa Aquae Granni, sowie er von  Historikern und Sprachwissenschaftlern rekonstruiert wurde, und bezog sich auf die örtlichen, dem keltischen Gott Grannus geweihten Heilquellen. Nach dem Abzug der Römer wurde die Stadt Ende des vierten Jahrhunderts n. Chr. vom Stamm der Franken besiedelt und germanisiert. Der fränkische König Pippin der Jüngere baute dort einen Hof und sorgte 765 für die erste schriftliche Erwähnung Aachens als „Aquis villa“.  Der gegenwärtige Ortsname ist dem lateinischen Plural für den Begriff Wasser „aquas/aquae“ entlehnt. Derjenige, der Aachen auf die Landkarte Europas setzte, war jedoch König Pippins Sohn, Karl I., der von 768 bis zum Tod seines Bruders Karlmann zusammen mit ihm über das Fränkische Reich herrschte, 771 Alleinherrschaft erlangte und 800 zum Kaiser gekrönt wurde.  

Karl der Große

Der fränkische König, dessen Expansionsstreben und Bewunderung der antiken Reichskultur der Römer zur größten Ausdehnung des Frankenreiches, zu dessen Blütezeit und zu einer wahren kulturellen Renaissance führte, war schon zu Lebzeiten als Karl der Große oder Charlemagne bekannt. 

Infolge mehrerer Feldzüge erweiterte Karl der Große das Frankenreich im Südwesten bis zur spanischen Grenze, eroberte 774 das Langobardenreich im heutigen Italien, das Restreich der Awaren, und unterwarf nach langwierigen Kriegen die Sachsen, die er zwangschristianisierte. Sein Reich erstreckte sich im Norden bis zur Nordsee, im Westen bis zum Atlantischen Ozean und im Süden bis zum Mittelmeer. Die Grenzen im Osten gegen die Dänen, die Slawenstämme und die Mauren im Südosten sicherte Karl der Große durch Marken (Grenzregionen). Im Grunde genommen umfasste sein Reich beinahe ganz Mitteleuropa und war das bedeutendste staatliche Gebilde im Westen seit dem Fall Westroms. Das Frankenreich stieg zur neuen europäischen Großmacht neben Byzanz auf. 

Im gegebenen Kontext betrachtete Karl der Große sich selbst als Nachfolger der römischen Kaiser und wollte die Tradition des antiken römischen Reiches fortsetzen, so dass er Papst Leo III. durch seine politische Unterstützung veranlasste, ihn am 25. Dezember 800 zum Kaiser im alten Petersdom in Rom zu krönen. Durch die Kaiserkrönung Karls des Großen ausgerechnet zur Jahrhundertwende, am Weihnachtstag und in Rom, wo der letzte Kaiser mehr als 300 Jahre davor abgesetzt worden war,  wurde die römische Herrschaft symbolisch auf die Franken übertragen und das Heilige Römische Reich als Gottes heiliger Wille ins Leben gerufen und im christlichen Sinne legitimiert.  

Karl der Große schrieb Geschichte nicht nur dank seiner erfolgreichen Kriegsstrategien und seiner Fähigkeit, politische Gelegenheiten zu seinem Vorteil zu nutzen, sondern auch weil er Einheitlichkeit in Sprache, Schrift und Religion in Mitteleuropa und eine gewisse Stabilität sicherte. Als gebildeter Mensch legte Karl der Große viel Wert auf Kultur und Bildung. Durch seine Bildungsreform erzielte er eine Vereinheitlichung des bestehenden Kulturguts, eine Korrektur der stark vulgarisierten lateinischen Sprache und die Förderung der Kopiertätigkeit und literarischen Produktion, die alle im Begriff „karolingische Renaissance“ eingeschlossen sind.  Neben der Kopierung und Berichtigung von lateinischen Bibeltexten und antiken Schriften wurden alte germanische Heldenlieder aufgeschrieben und dies ermöglichte die Entwicklung der volkssprachlichen Literatur sowie des Althochdeutschen. Zum schriftlichen Ausdruck war eine einheitliche Schriftart nötig und somit setzte sich die karolingische Minuskel durch, die als Schreibschrift gut geeignet war. Der Kaiser unterstützte die Gründung von Schulen und Skriptorien in und rund um die Klöster und setzte die Grundlage für die berühmte Aachener Hofschule, der meisterhaft illustrierte Handschriften entstammen. An seiner Hofschule versammelte Charlemagne die wichtigsten damaligen Gelehrten und Wissenschaftler aus seinem Reich, von denen er sich beraten ließ. Ebenfalls am kaiserlichen Hof wurden die antiken Septem Artes Liberales (Rhetorik, Grammatik, Dialektik, Artithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) unterrichtet.

Den königlichen Hof in Aachen erbte Charlemagne von seinem Vater, König Pippin dem Jüngeren, und beschloss nach einem dort verbrachten Winter 768/769 und mehreren Aufenthalten, Aachen zur Reichsstadt zu entwickeln. Infolgedessen baute er den Aachener Hof zu einer Kaiserpfalz mit Palast und Kapelle auf den Ruinen der römischen Bäder aus. An der Stelle des Palastes befindet sich heute das Rathaus und die Pfalzkapelle, das karolingische Oktogon wurde zum heutigen Aachener Dom mittels erneuter baulicher Ergänzungen und Veränderungen erweitert. 

Nach dem Tod des Kaisers am 28. Januar 814 hielt das Heilige Römische Reich wegen interner Konflikte unter der Herrschaft seines Sohnes Ludwig nicht mehr zusammen. Dieses zerbrach schließlich und führte zur Entstehung von Ost- und Westfrankenreich, welche etwa den späteren Ländern Frankreich und Deutschland entsprechen. 1165 wurde Karl der Große von Gegenpapst Paschalis III. heiliggesprochen und der 28. Januar gilt als sein Gedenktag in der katholischen und evangelischen Kirche. 

Die Route Charlemagne

Wer die wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Stadtzentrum besuchen möchte, sollte der Route Charlemagne folgen.  Diese führt an modernen sowie historischen Bauten und Informationszentren für Touristen vorbei. Die erste Station ist der Geschichte der Stadt gewidmet. Das Centre Charlemagne vermittelt Informationen über die karolingische Pfalz des 8. bis 9. Jahrhunderts, den mittelalterlichen Krönungsort römisch-deutscher Herrscher (10. bis 16. Jh.), Krisen wie den Stadtbrand (17. Jh.), den Aufbruch in die Moderne (17. - 19. Jh.), die Weltkriege und das Zeitalter des Nationalsozialismus, aber auch zur jüngsten Geschichte unter dem Titel „eine Stadt erfindet sich neu“.

Die zweite Station ist das Rathaus am Marktplatz, der Sitz der politschen Macht und das Symbol für die Entwicklung der bürgerlichen Selbstverwaltung und europäischer Demokratisierung, die hier abwechslungsreich präsentiert werden. Außerdem wird im Rathaus jährlich seit 1950 der Internationale Karls-preis an Menschen und Institutionen für besondere Leistungen im Dienst Europas verliehen. Das Rathaus, welches auch heute der Dienstsitz des Oberbürgermeisters ist, wurde auf den Fundamenten der karolingischen Königshalle gebaut und beherbergte den Festsaal für die Krönungsmähler der dort gekrönten deutschen Könige. Die Touristen können hier interaktiv gestaltete Informationen zur Geschichte Aachens, z.B. zum Aachener Frieden (1748), wodurch der österreichische Erbfolgekrieg beendet wurde und bei dem der Entsandte Englands, John Montagu, Earl of Sandwich, die nach ihm benannten Brötchen während eines Kartenspiels erfand, erfahren und im ersten Stockwerk, im Krönungsaal, die naturgetreuen Repliken der Reichskleinodien bewundern. 

Auf der Route Charlemagne befinden sich noch das Grashaus in der Schmiedestraße, das älteste, 1267 von den Bürgern der Freien Reichsstadt Aachen erbaute Rathaus, die archäologische Vitrine im Elisengarten und das Couven-Museum in der Rethelstraße, das sich primär dem Thema Lebenskultur widmet.

Rundgang durch den Dom

Der Aachener Dom, auch Aachener Münster oder Aachener Marienkirche, ist die Bischofskirche des römisch-katholischen Bistums Aachen und das bedeutendste Wahrzeichen der Stadt Aachen. Der Dom besteht aus mehreren Teilbauten, deren jeweilige Entstehungszeiten die Epoche des Frühmittelalters bis hin zur späten Neuzeit umfassen. Das karolingische Oktogon, ehemals die Pfalzkapelle der Aachener Königspfalz, ist das bedeutendste architektonische Beispiel für die karolingische Renaissance. Karl der Große ließ den Zentralbau und das Westwerk gegen Ende des achten Jahrhunderts als Kern seiner Pfalzanlage errichten. Die Grundsteinlegung erfolgte um 795, die Fertigstellung um 803. 

Der an byzantinische und römische Vorbilder, vor allem an das Pantheon in Rom und San Vitale in Ravenna angelehnte Entwurf eines oktogonalen Zentralbaus mit einem zweigeschossigen Umgang zählt zu den herausragenden Beispielen frühmittelalterlicher Sakralarchitektur. Der Kirchenbau wurde über den Resten einer römischen Thermenanlage mit Baumaterial aus vielen Teilen des Fränkischen Reiches realisiert und durch Spolien, wie zum Beispiel die antiken Säulen im Hochmünster und wieder verwendbares römisches Baumaterial aus der Region realisiert. Herausragend sind im karolingischen Sakralbau die wertvollen Ausstattungsgegenstände, wie die karolingischen Bronzetüren und die Gitter im oberen Umlauf, die größtenteils noch erhalten sind. Neben dem Oktogon wurden in dieser Bauepoche zwei im Westen vorgelagerte Treppentürme errichtet. 

Im Obergeschoss des Aachener Doms steht noch heute der marmorne Karlsthron. Der Königsthron ist überaus schlicht und einfach gestaltet, Verzierungen fehlen gänzlich. Zu dem auf einem Unterbau errichteten Sitz führen sechs Stufen. Der Stuhl selbst besteht aus vier mit bronzenen Klammern zusammengehaltenen Marmorplatten die nach neueren Untersuchungen, eben-so wie die Stufen, um 800 der Grabeskirche in Jerusalem entnommen wurden. Von 936 bis 1531 wurden über 30 römisch-deutsche Könige und zwölf Königinnen in der Aachener Marienkirche gekrönt. Nach der Krönung vor dem Altar durften sie sich einmal für die Dauer eines Vaterunsers auf den Thron setzen.

Ottonische und stauferische Herrscher verehrten die Kirche und vermehrten die Kunstschätze durch großzügige Schenkungen und Stiftungen. Unter Kaiser Otto III. wurde ab 997 vor allem die Innenausstattung der Kirche verändert. Neben der Ausmalung der Kirche wurde sie teilweise mit Mosaiken verziert. 

Vornehmlich während der Gotik wurde ein Kranz von Kapellen um den karolingischen Bau errichtet, um der zunehmenden Anzahl der Pilger einen Platz zur Andacht und zum Beten zu geben. Die größte dieser Kapellen ist die Chorhalle, die wegen ihrer mehr als eintausend Quadratmeter Glasfläche und rund 27 Meter hohen Fenster auch das „Glashaus von Aachen“ genannt wird. 

Im Jahr 1656 wütete ein verheerender Stadtbrand in Aachen, der erheblichen Schaden auch an der Marienkirche anrichtete. Die Dächer des Chores, des Oktogons und der Türme sowie der angrenzenden Kapellen wurden dabei fast vollständig zerstört. 

Aachen wurde 1794 durch die französischen Truppen besetzt und stand bis 1814 unter französischer Verwaltung. Mit der französischen Herrschaft begann eine schwere Zeit für das Münster: Das Kirchengebäude wurde geplündert und zeitweilig als Pferdestall genutzt. 1794 wurden aufgrund eines Dekretes des Wohlfahrtsausschusses Kulturgüter konfisziert und nach Frankreich überführt. Infolgedessen wurde die Dachabdeckung aus Blei abgetragen und der Dom war seitdem ungeschützt der Witterung ausgesetzt. Durch eindringendes Regenwasser wurden der Stuck, die Gemälde und die Fußböden zerstört. 

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts, nach dem Fall Napoleons, versuchte man, dem Dom sein originales Erscheinungsbild wieder zurückzugeben. Dafür wurden der Westturm ausgebaut, die barocke Ausstattung beseitigt und die aus Paris zurückgekehrten Säulen wieder eingesetzt bzw. fehlende durch Kopien ersetzt. 

1930 wurde Aachen wieder zum Bistum und die Marienkirche zur Kathedrale erhoben. Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs überstand sie vor allem dank der Jugendlichen, die sich in der „Feuerlöschgruppe Dom“ zusammentaten und weitere Zerstörungen verhinderten. 

Nach langjähriger Säuberung der Mosaiken erstrahlt das Innere in neuem Glanz. Es bedarf einer steten Arbeit, um den Dom für künftige Generationen als einzigartiges Bauwerk und Versammlungsort der Gläubigen zu bewahren.

Kostbare Schenkungen sind dauerhaft im Dom ausgestellt, wie Pala d‘Oro, Heinrichsambo und Barbarossaleuchter. Der Karls- und Marienschrein im Chorraum bergen jeweils die wichtigsten Aachener Heiligtümer. Die ideelle Anbindung an Karl den Großen fand durch zahlreiche königliche Stiftungen ihren Ausdruck. Vor allem die „goldenen Schenkungen“ der Ottonen aus dem 10. und 11. Jahrhundert entlocken den Besuchern des Doms noch heute große Bewunderung. 

Friedrich I. ließ Karl den Großen 1165 heiligsprechen und stiftete den goldenen Radleuchter, der sich in seiner Form und Symbolik in das Gesamtbild der Kirche einfügt. Wie die Himmlische Stadt Jerusalem schwebt er scheinbar vom Himmel auf die Erde hernieder. 

Mit der Vollendung des Karlsschreins 1215 wurde der Höhepunkt der gefühlten und symbolisierten Anwesenheit des heiliggesprochenen Kaisers erreicht. Auch die vier großen Aachener Heiligtümer erhielten 1239 mit dem Marienschrein eine angemessene Aufbewahrung. 50 Jahre nach der Bestattung des Kaisers im süd-östlichen Bereich des karolingischen Oktogons werden seine Reliquien in den Karlsschrein überführt. In der Folgezeit entstehen zahlreiche Reliquienbehälter wie die Karlsbüste und das Karlsreliquiar, die Teile der Gebeine Karls des Großen aufnehmen und besonders wirkungsvoll seine Verehrung dokumentieren. 

Die Aachener Heiligtumsfahrt 

Die Aachener Heiligtumsfahrt gilt als eine der größten Wallfahrten im Spätmittelalter. Der Legende nach geht der Reliquienschatz in Aachen auf eine Schenkung des byzantinischen Kaisers an Karl den Großen zurück. Dabei sollen auch die vier großen Aachener Heiligtümer gewesen sein. Nach der Überlieferung handelt es sich um das Kleid der Mutter Gottes, die Windeln Jesu, das Enthauptungstuch Johannes des Täufers und das Lendentuch Christi, das er am Kreuz trug. Die vier Tuchreliquien werden seit 1239 im Marienschrein aufbewahrt und seit 1349 bis in die heutige Zeit alle sieben Jahre den Pilgern gezeigt. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit präsentierte man zu diesem Anlass den gesamten Reliquienschatz in seinen kostbaren Behältnissen. Das Kunstwerk, das der Übergangszeit von der Romanik zur Gotik zuzuordnen ist, gehört neben dem Karlsschrein zu den bedeutendsten Goldschmiedearbeiten des 13. Jahrhunderts. 

Nach altem Brauch ist der Marienschrein mit einem kunstvoll bearbeiteten Schloss versiegelt, welches zusätzlich noch mit Blei ausgegossen wird. Der dazugehörige Schlüssel wird von zwei Goldschmiedemeistern zersägt. Den Kopf des Schlüssels erhält das Domkapitel, der Bart wird den Stadtoberen ausgehändigt, was sich aus dem geteilten Mitaufbewahrungsrecht und Wächteramt der geistlichen und politischen Oberhäupter an den Heiligtümern erklärt. Zu Beginn einer jeden Heiligtumsfahrt wird dann das Schloss zerschlagen, um den Schrein erneut zu öffnen. Die nicht mehr verwendeten Schlösser werden in einer Dauerausstellung der Aachener Domschatzkammer präsentiert. Folglich reichen sich Politik und Kirche alle sieben Jahre symbolisch die Hand, um den Marienschrein zu entriegeln. Die nächste Heiligtumsfahrt wird vom 9. bis zum 19. Juni 2023 stattfinden. 

Glanzlichter der Domschatzkammer

Die Aachener Domschatzkammer birgt den bedeutendsten und umfangreichsten Kirchenschatz nördlich der Alpen. Die Schatzstücke sind in ihrer Bedeutung eng verknüpft mit ihrem eigentlichen Zweck: der Ausstattung der durch Karl den Großen um 800 gegründeten Marienkirche und der Feier ihrer Liturgie. Der Schatz wächst mit der zusätzlichen Bedeutung der Marienkirche als Grablege Kaiser Karls des Großen, Krönungskirche der deutschen Könige und europäischer Wallfahrtsort. 1930 erhält das Gotteshaus den Status einer Bischofskirche (Dom).

Mit dem Dom wird auch der Domschatz 1978 als erstes deutsches Welterbe in die Liste der UNESCO aufgenommen.

Liturgische Gegenstände, Handschriften, Bucheinbände, Reliquienbehälter, Messgewänder und andere Paramente, Skulpturen, Tafelbilder und bischöfliche Insignien dokumentieren die lange Geschichte des kirchlichen Lebens. 

In der Schatzkammer sind auf drei Etagen circa 130 Kunstwerke nach Themen ausgestellt, die die verschiedenen Funktionsbereiche der Marienkirche repräsentieren. Im Untergeschoss sind die Objekte aus dem Textilschatz, vor allem Festkleidung für das Gnadenbild der Muttergottes im Dom, ausgestellt.

Die Karlsbüste: Kein anderes Kunstwerk bestimmt bis heute unsere Vorstellung von Karl dem Großen so sehr wie seine Büste aus Gold und Silber.

Das Idealbild des Herrschers entstand fünfeinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod. Die Unterbringung einer bedeutenden Reliquie, der Schädeldecke Karls des Großen, im Inneren des Kopfes, überhöht das Bildnis zum Reliquiar.

Der achteckige Sockel ist mit Lilien aus Email verziert, die für Frankreich stehen. Den Brustpanzer zieren Adler aus Silber. Sie stehen für das Deutsche Reich. Sowohl die französischen als auch die deutschen Königshäuser nahmen den ersten Kaiser des Abendlandes als Urvater in Anspruch.

Die Krone, mit Edelsteinen, antiken Gemmen und Perlen geschmückt, bot vermutlich den Anlass zur Anfertigung der Büste: Karl IV. wurde mit ebendieser Krone am 25. Juli 1349 in Aachen zum König gekrönt und vermachte sie wohl später der Aachener Marienkirche als Geschenk.
Mit der Büste wird der Verherrlichung Karls des Großen als zeitlosem Ideal christlicher Kaiserherrschaft und als Heiligem Ausdruck verliehen.

Proserpinasarkophag: Der Proserpinasarkophag wurde im 3. Jahrhundert n. Chr. in einer stadtrömischen Werkstatt geschaffen und diente als erste Grablege Karls des Großen. Der Marmorsarg zeigt auf seiner Vorderseite den Raub der Proserpina, eine antike Sage, die bildlich für den immerwährenden Kreislauf der Natur von Werden, Vergehen und Wiederkehr steht. Dynamisch entwickelt sich die Entführungs- und Verfolgungsjagd in Leserichtung von links nach rechts. Zentrale Figur ist Proserpina, die von Pluto, dem Gott der Unterwelt, entführt wird.

Der römische Sarg führt den lebendigen Umgang mit antiken Werken in karolingischer Zeit vor Augen, die mit christlichen Inhalten neu besetzt wurden. Nach seiner Heiligsprechung wurden Karls Gebeine 1215 in den neu geschaffenen Karlsschrein, der sich heute im Dom befindet, überführt. 

Das Lotharskreuz: Das sogenannte Lotharskreuz ist ein Vortragekreuz, welches im letzten Viertel des 10. Jahrhunderts geschaffen wurde. Es ist eines der berühmtesten Gemmenkreuze des Mittelalters. Seine Seiten sind sehr unterschiedlich gestaltet. Eine Seite zeigt in einer einfachen Gravur den gekreuzigten Christus, die andere ist mit prächtigen Edelsteinen geschmückt. Damit wird das Kreuz zum Triumphzeichen. Der antike Kameo mit dem Portrait des lorbeerbekrönten römischen Kaisers Augustus ist in diesem Zusammenhang als der mit dem Siegeslorbeer bekrönte Christus zu verstehen.

Namensgeber des Kreuzes ist ein Siegelstein, der am unteren Kreuzbalken zu sehen ist, die umlaufende Inschrift benennt König Lothar von Lotharingien (855-869).

Die Idee, auch das himmlische Jerusalem bildhaft in Szene zu setzen, gelingt durch die besonderen Fassungen der Edelsteine: Sie sind von kleinen, aus goldenem Filigran geschaffenen Arkaden umgeben, so dass das Bild von edelsteinglänzenden Tempeln in goldenen Straßen entsteht.

Das Simeonsreliquiar: Die Goldschmiedearbeit am Simeonsreliquiar zeigt eine Begebenheit aus dem Neuen Testament in einer einzigartigen vollplastischen Darstellung: die Darbringung Jesu im Tempel. Maria und der Priester Simeon stehen an einem auf vier Säulen ruhenden Altartisch. Er besteht aus einem älteren Reliquienkästchen, das für die Figurengruppe zum Tisch umfunktioniert wurde. Seine Längsseiten sind mit Edelsteinen und Emaillen geschmückt, zwei gläserne Medaillons schmücken die Tischoberseite. Mit verhüllten Händen empfängt Simeon das Jesuskind.

Maria hält in ihren ausgestreckten Händen zwei Tauben als Opfergabe. Das Kind stellt mit einer ausholenden Bewegung des rechten Armes die Verbindung zu Maria her, das Köpfchen ist Simeon zugewandt. So wirken die durch die Länge des Kästchens weit auseinander stehenden Figuren doch miteinander verbunden.

Die Krone der Prinzessin Margareta von York: Die mit Edelsteinen, Perlen und Emaillen reich verzierte Krone der Prinzessin Margareta von York ist eine von zwei englischen Prinzessinnenkronen des Mittelalters, die bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind.

Das burgundische Wappen und die weiße Rose verweisen wie die Initialen C und M auf ein prominentes Brautpaar: Der burgundische Herzog Karl der Kühne heiratete 1468 die englische Prinzessin Margareta von York. Die Krone wurde für diese Eheschließung angefertigt. Margareta schenkte bei einem Aachenbesuch 1474 die Brautkrone der Aachener Kirche. Seither dient sie dem Aachener Gnadenbild während der Heiligtumsfahrt als königlicher Schmuck.