Ein perfektes Wochenende auf dem Bauernhof

Teilnahme am Dorfleben Foto: Amedeo Zulo

Ion Liuță in seiner Werkstatt Foto: Sammlung C. Ciocârlan

Schnapsbrand Foto: Sammlung Camelia Ciocârlan

Camelia Ciocârlan Foto: Iulian Cazacu

Bürgermeister Cristian Barculescu Foto: Sammlung Camelia Ciocârlan

In der Schmiede Foto: Amedeo Zulo

Jedes Dorf hat seine eigene, einmalige Geschichte – aber nicht jedes Dorf hat jemanden, der seine Geschichte erzählt. Das kleine Dorf Dolheștii Mici hat seit einigen Jahren seine eigenen Geschichtsschreiberin: Mirela Nechita versucht die Ruhe, die Schönheit, die Traditionen und Bräuche an der Grenze zwischen der Moldau und der Bukowina, nur zwölf Kilometer nördlich von Fălticeni, bekannt zu machen und die Besucher sowohl in den Dorfalltag wie auch in das fast vergessene Handwerk einzubinden. 

Mit ihrem Verband „Asociația pentru Promovarea a Văii Șomuzului“ versucht Mirela in enger familiärer Zusammenarbeit mit zahlreichen örtlichen Familien die Besucher ihres Dorfes für die alltäglichen kleinen Dinge im Dorf zu begeistern, ohne daraus eine kitschige Touristenfalle zu machen. „Wir sind wie eine große Familie, in der jeder mithilft. Alleine hätte ich es niemals schaffen können“, gesteht Mirela. Übernachtungen in den Häusern der Dorfbewohner, aktive Teilnahme am Dorfleben, Mitmachgelegenheiten bei zahlreichen traditionellen Tätigkeiten – Kochen, Melken, Pilzesammeln oder in der Werkstatt des Eisenschmieds, Pelzmachers, Lehmziegelbrenners oder Buchbinders - ermöglichen Besuchern, in eine Welt einzutauchen, die längst vergangen scheint. Diese einmalige Erfahrung wird durch die  Gastfreundlichkeit und die wunderschöne Hügellandschaft an der Grenze zwischen der Moldau und der Bukowina ergänzt und verwandelt jeden Aufenthalt in eine entspannende, aber auch geistig anregende Erfahrung.

Die Einfahrt ins Dorf…

… scheint auf den ersten Blick nicht allzu beeindruckend: die Straße schlängelt sich um die kleinen oder größeren, für die Westmoldau oder Südbukowina typisch dekorierten Häuser mit verzierten Blechdächern entlang des Șomuz-Flusses, vorbei an der hundertjährigen hölzernen Mühle, an Brunnen und Straßenkreuzungen, an denen Fuhrwerke mit allerhand Produkten, manchmal auch moderne Fahrzeuge zu sehen sind. Brennholz stapelt sich in den Hinterhöfen, Heuhaufen zieren die dahinterliegenden Wiesen, Kinder spielen oder kurven auf Fahrrädern herum, dann das kleine, typische Gebäude der Dorfkneipe im Zentrum. Nichts wirklich Außerordentliches – und trotzdem… Beim ersten Gespräch mit einem Dorfbewohner spürt man gleich eine familiäre Atmosphäre und einen besonderen Stolz.

Berühmt ist die Ortschaft...

… für ihre traditionelle Volkstanzgruppe. Die bereits 2007 auf Initiative des ehemaligen Doftpostboten Gheorghițc Ciocârlan und seiner Tochter Camelia gegründete Tanzgruppe „Străjerii Dolhești“ hat erstmals im Jahr 2016 den internationalen Volkstanzwettbewerb „Ceahlăul“ gewonnen und hat seither mehrfach die örtlichen Traditionen auf unterschiedlichen Bühnen und Festivals vorgestellt. Ob Oberschüler, Gendarm, Mechaniker oder Rentner, jeder ist stolz, mitmachen zu dürfen. Interessierte Besucher können vor Ort die traditionellen Tänze in Tracht gekleidet erlernen.

Gleichwohl berühmt ist die Gemeinde für die 1481 vom Landherren Șendrea, dem Schwager des großen moldauischen Fürsten Ștefan dem Großen, errichtete Kirche in Dolheștii Mari.

Das ländliche Leben…

… ist Hauptattraktion der Gemeinde. Sei es beim Bienenzüchter, beim Melken oder auf dem Bauernhof – Reisende, ob ausländische Touristen oder Schulkinder, können bei allem aktiv mitmachen. Hausgemachte Würste, frischer Käse, Krautwickel oder die traditionellen köstlichen „Mucenici“ sind nicht einmalig für die Gegend, aber Köchin, Organisatorin und Ernährungsexpertin Camelia Ciocârlan lädt Groß und Klein zum Backen und Kochen ein. Von der Auswahl der Zutaten, der Vorbereitung am traditionellen holzbeheizten Ofen bis hin zum Auftischen auf den großen, mit volkstümlichen Motiven bemalten Tellern lässt sie ihre Besucher in der bunten Dolhești-Tracht die Köstlichkeiten der Region zubereiten und ihren Mitreisenden servieren. Keine Rede von Workshop, meint Camelia, „man arbeitet einfach in der Küche mit“. Und natürlich beginnt alles mit einem Stamperl hausgemachten Schnapses: aus Zwetschgen, Birnen, Äpfel, Trauben oder – Zuckerrüben!

Das traditionelle Handwerk...

… der Gemeinde Dolhești wurde durch die Tätigkeit des Vereins wahrhaftig wiederbelebt. Mehr noch: jeder Handwerker lädt die Besucher herzlich zum Mitarbeiten ein. Auf einer kleinen, den Hügel hinauf in Richtung Wald schlängelnden Straße, welche noch nicht einmal von Google Maps erfasst ist, liegt auf der rechten Seite in einer breiten Kurve das Schaffellmantel-Museum (Muzeul cojoacelor). Ion Liuță ist einer der letzten Meister des Landes, der noch die dicken Schaffellmäntel und -westen mit traditionellen Motiven von Hand fertigt. Leider gibt es niemanden, der das Handwerk übernehmen möchte, bekennt der Kürschner traurig, nicht einmal seine Söhne.

Nur knappe 200 Meter weiter liegt am Straßenrand die kleine Schmiede von Ion Stoica. Im Feuer liegt fast immer eine lange Eisenstange, die auf Bearbeitung wartet. Ob für Gartentor oder Hufeisen, „Nenea Ion“ steht stets zur Verfügung. Und im Hinterhof liegen auf einem langen Tisch die schönen, von seiner Schwester Elena handgestickten Blusen. Ihre Werkstatt mit Webstuhl, Materialien und zahlreichen Mustern aus der Gegend liegt im ersten Zimmer daneben. Elena freut sich, wenn jemand Interesse für ihre Kunst zeigt und diese sogar ausprobieren möchte.

Im ganzen Dorf bekannt ist Gendarm Mihai Butilă, aber nicht nur wegen seiner  Funktion. In seiner Freizeit hat er die Kunst der traditionellen Lehmziegelei erlernt und freut sich über jede Möglichkeit, sich zusammen mit seinen Gästen die Hände schmutzig zu machen.

Auch Neculai Liute pflegt im Dorf sein Hobby: Er ist Buchbinder und hat sich aus Klausenburg/Cluj nach Dolhești zurückgezogen. Es entspannt ihn, Bücher zu binden und mit seiner alten Druckmaschine aus Holz zu arbeiten, meint Neculai.

Und wer sich fragt, wie Körbe aus Ruten geflochten werden können, muss einfach nur bei Camelia anfragen. Sie kennt jeden im Dorf und weiß, wen sie ansprechen muss.

Natur- und Kulturschätze der Umgebung

Nach einem langen Tag neben der Hausfrau in der Küche, bei den Tieren oder bei einem der Handwerker ist eine Wanderung mehr als angebracht. Die anliegenden Hügel bieten zahlreiche Möglichkeiten - und die Mitglieder des Vereins verstehen es, eine Wanderung in ein echtes Naturerlebnis zu verwandeln: etwa um Kräuter und Pilze  zusammeln, denn die Dorfbewohner sind stolz  auf ihr naturheilkundliches Wissen und teilen ihre Kenntnisse gern.

Während des Fußmarschs durch den Wald ist es fast unmöglich, nicht auf die zahlreichen langen Gräben zu stoßen, die 1915 von den rumänischen Soldaten in Vorbereitung auf den Eintritt in den Ersten Weltkrieg angelegt wurden. Beim Haus des ehemaligen Dorfwirts Gheorghe Drobota liegt neben dem Brunnen ein großer Stein mit den eingemeißelten Namen der damals hier stationierten rumänischen Soldaten.

Im Nachbardorf gibt es eine weitere Attraktion: den international bekannten Brieftaubenzüchter Gheorghiță Vizitiu, dessen Wohnzimmerwände mit Pokalen und Diplomen regelrecht tapeziert sind.

Die knapp zwölf Kilometer entfernte Stadt Fălticeni rühmt sich, die Stadt mit der zweitgrößten Anzahl an Persönlichkeiten bezogen auf die Bevölkerungszahl zu sein und hat eine „Galerie der Persönlichkeiten“ eröffnet. Dort kann man auch das Wassermuseum oder das Museum des berühmten Bildhauers Ion Irimescu besichtigen. 

Nur 15 Minuten weiter liegt das im Weltkulturerbe der UNESCO gelistete Kloster Probota, eine Stunde nordöstlich betritt man die Welt der bemalten Moldauklöster, ebenso UNESCO-Welterbe, und zwei Fahrtstunden östlich liegt die moldauische Hauptstadt Jassy/Iași. 

Somit eignet sich die Gemeinde Dolhești nicht nur als Ziel für ein perfektes Wochenende auf dem Bauernhof, sondern auch als Ausgangspunkt für Ausflüge in die nähere oder weitere Umgebung während eines längeren Urlaubs.