„Hier täte ich es wagen“

Der winterliche Bulea-See lockt mit dem Eishotel und Wintersportmöglichkeiten

Das Eishotel am Bulea See zieht jedes Jahr neugierige Touristen an.

Eiskletterer erklimmen den vereisten Wasserfall am südlichen Seezufluss.

Für ein romantisches Abendessen im Eisrestaurant sollte man sich warm anziehen.

Eisblöcke mit Fellen belegt – so sehen die Betten im Eishotel aus.
Fotos: Holger Wermke

Mit dem Wetter ist es so eine Sache. Eine Föhnwetterlage sorgt im Tal des Alt/Olt für fast schon frühlingshafte Temperaturen. Ein heftiger Wind bläst von den Kämmen des Fogarascher Gebirges/Munţii Făgăraş auf das wir über eine idyllische Pappelallee zufahren. Rund zwei Kilometer Fels ragen senkrecht aus der Ebene auf. Die bis zu 2500 Meter hohen Gipfel bieten gerade jetzt im Winter einen majestätischen Anblick. Eine einzige Straße quert das eindrucksvolle Massiv, allerdings nur zwischen Juni und Oktober. In der in den Bergen acht Monate dauernden Wintersaison kommen Autofahrer wie wir nur bis zur Talstation der Seilbahn, die zum Bulea-See/Bâlea Lac hinauffährt.

An Tagen wie diesen kann es allerdings durchaus passieren, dass die Seilbahn ihren Betrieb wegen starker Windböen einstellen muss. Bis zu einer Windgeschwindigkeit von etwa 50 Kilometern pro Stunde fährt die Bahn. In den vergangenen Jahren geschah dies selten, etwa ein- bis zweimal pro Saison, erfahren wir von den Betreibern.

Wir haben Glück und steigen mit weiteren wartenden Touristen in die ein Dutzend Passagiere fassende Gondel, die von einem Stahlseil gemächlich in die Höhe gezogen wird, vorbei am teilweise gefrorerenen Bulea-Wasserfall und über die unter einer dicken Schneedecke liegenden Serpentinen der Transfogarascher Hochstraße/Transfăgăraşan.

Rund 3,6 Kilometer misst die Strecke der Bahn, die wir in rund 15 Minuten zurücklegen. Ehe wir die Bergstation erreichen, umhüllen uns dichte Wolken – so ist es leider in den Bergen, eine Schönwettergarantie gibt es nicht. Über die Grate der Gipfel rund um den Kessel, in dem der Bulea See liegt, pfeift ebenso wie im Tal der Wind, nur ist er hier oben auf 2000 Metern Höhe empfindlich kälter. Es mutet paradox an, aber Schutz suchen wir im – mittlerweile rumänienweit und sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannten – Eishotel, das in diesem Winter zum achten Mal am Bulea errichtet wurde.

Jedes Zimmer ein Unikat

In seinem Innern liegt die Temperatur relativ konstant zwischen -2 und +2 Grad Celsius, was uns angesichts des eisigen Windes draußen erstaunlich angenehm vorkommt. Das Hotel hat die Form einer langgezogenen, halbrunden Röhre, gerahmt von zwölf Zimmern. Zwischen den Türen befinden sich Tische und Stühle – natürlich aus Eis – und am Ende der Halle gibt es eine Bar, die gerade von Bukarester Touristen in Beschlag genommen wurde.

Jedes Zimmer ist ein Unikat, gemein ist ihnen allen das Bett aus Eis, bedeckt nur mit Decken und Fellen. Dekoriert ist das gesamte Hotel mit Eisskulpturen, 25 sollen es sein. Ein bisschen lächeln muss man schon über den aus Eis nachgestalteten Kamin im Eingangsbereich des Hotels. Die Zimmer schmücken Drachen, Dracula, Sirenen und mehr.

Wir ziehen jedoch eine beheizte Unterkunft vor, die hundert Meter entfernte Hütte direkt am Bulea-Ufer, dessen Verlauf man derzeit allerdings nicht einmal erahnen kann. Sie wird von dem Ehepaar Regina und Franz-Günther Klingeis betrieben. Die beiden wohnten bis 1990 in Freck/Avrig, wanderten aus und kamen nach einem Jahrzehnt in Deutschland zurück in die Heimat. Erst wollten sie die Jägerhütte auf der Poiana Neamţului bei Freck kaufen, doch dann hörte das Ehepaar, dass auch die abgebrannte ehemalige Hütte des Siebenbürgischen Karpatenvereins (SKV) am Bulea-See zum Verkauf stand.

Hütten am Bulea-See

„Hier täte ich es vielleicht wagen“, habe sie damals ihrem Mann gesagt, und sie wagten es. An eine Ruine erinnert heute nichts mehr, im Gegenteil: die Hütte ist größer und komfortabler als zu Zeiten von SKV und Staatsverwaltung. Im Sommer 2000 eröffneten sie, später kaufte die Familie, zu der noch die beiden Söhne Leopold und Arnold (mittlerweile Bürgermeister in Freck) gehören, die Seilbahn und baute eine nahegelegene, ebenfalls abgebrannte Hütte wieder auf.

Neben diesen beiden gibt es noch eine dritte Hütte am Bulea-See, die von einem Hermannstädter Unternehmen betrieben wird, die so genannte „Ceauşescu-Hütte“, heute Vila Paltinu. „Einmal im Jahr kam Ceauşescu hierher zur Gemsenjagd“, erzählt Klingeis. Heute lockt das Eishotel neugierige Journalisten und in ihrem Gefolge auch Touristen an. Anfangs habe sie der Idee ihres Sohnes Arnold, dem Initiator des Hotels, sehr skeptisch gegenübergestanden, gibt die energische Regina Klingeis zu. „Im Sommer ist die Hölle los“, meint sie, aber seit „der Arnold 2005 mit dem Eishotel anfing, hat sich der Wintertourismus besser entwickelt.“ Viele Tagestouristen besichtigen das Hotel oder die Eiskirche, die im Januar geweiht wurde. 

Vier-Gänge-Menü im Eisrestaurant

In das Eishotel kehren wir an diesem Abend noch einmal zurück. Wir wollen das Eismenü probieren, das man hier anbietet. Noch vier weitere Tische sind besetzt. Einen davon mit einem deutschen Paar, das zum ersten Mal Rumänien besucht. „Wir finden das Hotel  witzig und spannend“, schwärmt Gerhard Berger. Der Nacht in der Kälte sieht er entspannt entgegen. „Ich glaube, dass es mit der richtigen Ausstattung gar nicht mal so kalt sein wird.“

Bevor wir unser Gespräch vertiefen, wird schon der erste Gang vorbeigetragen: Lachsrogen auf einem Eisteller – interessant. Es folgen ein heißes Karottensüppchen und Rindermedaillons, dazu wird ein Glas Rotwein serviert. Die Atmosphäre im Eisrestaurant ist ungewöhnlich, aber durchaus romantisch mit Kerzenlicht und leiser Musik. Zum Abschluss des Menüs gibt es gefrorene Himbeeren mit Schlagsahne, wieder auf einem Eisteller serviert. Ich muss zugeben, dass ich positiv überrascht bin von dieser kulinarischen Erfahrung.

Nach dem Vier-Gänge-Menü spüren wir, wie die Kälte in uns hochkriecht. Wir verabschieden uns ohne Spur von Neid von den Touristen am Nachbartisch und wünschen ihnen eine angenehme Nachtruhe. Das Personal des Eishotels hält für seine Gäste Schlafsäcke bereit, die kurz vor dem Zubettgehen in Zimmertemperatur übergeben werden.

Der nächste Tag überrascht mit klarem Himmel und ohne Wind und Wolken. Wie spektakulär der Karkessel bei Sonnenschein wirkt! Das Eishotel ragt am Ende des Winters kaum noch aus den  Schneemassen heraus. Dagegen hebt sich das Kreuz der erst später eröffneten Eiskirche deutlich gegen den blauen Himmel ab. Immer wieder finden in der ökumenisch geweihten Kirche Gottesdienste und Andachten statt. Und auch in diesem Jahr haben sich Gäste für eine Hochzeit angemeldet, die sie auf dem Eis des Bulea -Sees feiern wollen.

Beim Frühstück stoßen wir auf die Bukarester Touristen vom Vorabend, die die Nacht im Eishotel sichtlich gut überstanden haben. Die Übernachtung im Eishotel sei „super“ gewesen, meint Liviu Dărmon, der Erfahrung mit winterlichen Übernachtungen in Berghütten hat. Er und seine Begleiter hatten sich vorsorglich mit Thermounterhosen ausgestattet. Zwei Frauen in der Runde gaben sich nicht ganz so euphorisch, sie hätten die Nacht als „etwas kühl“ empfunden. Wie dem auch sei, eine bleibende Erfahrung muss so eine Nacht bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sein. Selbst den deutschen Botschafter aus Bukarest und dessen Frau habe man in dieser Saison schon zu Gast gehabt, freut sich Regina Klingeis.

Ein paar Wochen wird der Winter hier oben noch ausharren und mit ihm das Eishotel. Ende April, mit dem einsetzenden Tauwetter, schließt es seine Pforten.

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Wintersport rund um den Bulea See

In der Gegend rund um den Bulea-See herrscht im Winter Lawinengefahr. Eine Gedenktafel an einem Felsen erinnert an ein Lawinenunglück vom 17. April 1977, bei dem 23 Schüler der Hermannstädter Brukenthalschule ums Leben kamen. Wenn es in der Nacht zuvor geschneit hat, sollte man nicht an den Hängen des Bulea-Kessels wandern. Immer wieder riskieren dennoch Wagemutige ihr Leben – mit oft tragischen Folgen.

Eine besonders exklusive, jedoch riskante Art des Ski- und Snowboardfahrens bietet der Hermannstädter Tourismusunternehmer Martin Freinademetz an: „Heliskiing“ nennt sich das Vergnügen, das vor allem zahlungskräftige Ausländer – Deutsche, Österreicher, Schweizer, Italiener oder Franzosen - in Anspruch nehmen. Der gebürtige Österreicher macht seit drei Jahren regelmäßig mit Touristengruppen auch am Bulea-See Station. Sie beziehen ihr Lager in der Bulea-Hütte und werden tags  darauf mit einem Helikopter zu den unberührten Gipfeln in Umgebung geflogen. Von dort geht es dann durch Tiefschnee talabwärts.

Mit der richtigen Ausrüstung kann man am Bulea-See Eisklettern. Der Zulauf zum See wird aus einer Quelle gespeist, die im Winter zufriert. An der mehrere Meter hohen Eiswand sieht man  Sportler mit Eispickel in der Wand hängen. Mit Schneeschuhen ausgerüstet, kann man das Plateau auch im Winter erkunden. Außerdem gibt es einen Motorschlittenverleih. Für die Sicherheit der Touristen sorgen die Bergretter von Salvamont, deren Hütte in der Wintersaison permanent besetzt ist. Hier erhält man auch Auskünfte zur Lawinengefahr.