Mit Instagram nach Schäßburg und Paris

Warum reisen alle an dieselben Orte, um exakt die gleichen Fotos zu machen?

Besonders originell sind die wenigsten Fotos auf Instagram. Der Account „insta_repeat“ nimmt diese Tatsache auf die Schippe. Mit „Déjá Vu Vibes“ sind die Collagen beschrieben, die jeweils zwölf beinahe identische Posts zusammengefasst abbilden. Foto: www.instagram.com/insta_repeat

Unter allen nominierten Travel-Accounts der „Elle New Media Awards“ zeichnet sich Aurelia Teslaru durch besondere Klischeehaftigkeit aus. Foto: www.instagram.com/dailytravelpill

Abbild und Wirklichkeit sind gelegentlich zwei paar Stiefel. Am Pedra do Telégrafo ist nur der richtige Winkel entscheidend. Man denkt, wer dort sitzt oder hängt kann Hunderte Meter in die Tiefe fallen, dabei geht es hier nur 1,5 Meter nach unten. Foto: Jefferson Vieira de Melo (CC BY-SA 4.0)

„Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“, schrieb der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger bereits Ende der fünfziger Jahre. Dass Kultur zur bloßen Kulisse verkommen kann, wenn zu viele Touristen kommen, zeigt das soziale Bildernetzwerk „Instagram“ besonders eindrucksvoll.

Kristallklares Meer, ein traumhaft weißer Strand und schönster Sonnenschein. Dieses Motiv dominiert in diesen Tagen den Instagram-Kanal von „delianomad“, welchen die Sängerin Delia Matache pflegt und von über 80.000 Personen abonniert wurde. Bei den „Elle New Media Awards“ der internationalen Frauenzeitschrift „Elle“ wurde die 38-Jährige in der Kategorie „Travel“ für ihren Social-Media-Auftritt ausgezeichnet – und außerdem auch in den Kategorien „Celebrity“ und „TikTok“.

Dabei ist der Account von Delia gar kein professioneller Travel-Blog, dem ein klares Konzept zugrunde liegt. Er ist vielmehr eine wilde Sammlung an Urlaubserinnerungen, welche auf ihrem eigentlichen Kanal „delia“ keinen Platz haben. Erklärungen oder kleine Texte gibt es bei „delianomad“ kaum, manchmal veröffentlicht die Sängerin Dutzende Bilder von den verschiedensten Orten rund um den Globus an einem Tag. Über 1400 Aufnahmen haben sich auf diese Weise in den vergangenen zehn Monaten angesammelt. Doch die „Elle New Media Awards“ sind ein Publikumsentscheid und eine Kritik an der Preisvergabe auch gar nicht der Anlass dieses Beitrages.

„Cele mai instagramabile locuri din …“ heißt es auf verschiedensten rumänischen Reise-Webseiten: „Die besten Orte für Instagram“. Dazu zählen selbstverständlich die Transfogarascher Hochstraße (Transfăgărășan), die Lügenbrücke in Hermannstadt (Podul Minciunilor din Sibiu), die Festung in Schäßburg (Cetatea Sighi{oarei) oder auch das Schloss in Eisenmarkt (Castelul Corvinilor din Hunedoara). Die Social-Media-Plattform ist der Inbegriff der Selbstdarstellung. Das zeigt wirkungsvoll der sogenannte „Tunnel der Liebe“ (Tunelul Iubirii) bei Karansebesch/Caransebeș, der erst im Herbst und mit dem richtigen Instagram-Filter zu einem traumhaften Motiv wird.

Mit ihren wunderschönen, aber oftmals gestellten Bildern suggerieren „Travel-Influencer“, dass es eigentlich überall schöner ist als dort, wo man sich selbst gerade befindet. Sonnenaufgang in der Karibik, Brunch in San Francisco und im Winter Skifahren in Sankt Moritz – oder eben Mamaia, Klausenburg/Cluj-Napoca und die Schulerau/Poiana Brașov. Die Motive sind zahlreich, sehen stets wunderschön aus und sind doch immer gleich. Die Künstlerin Emma Agnes zeigt dies auf dem Account „insta_repeat“ besonders anschaulich in Collagen.

Geht es beim Reisen nicht um persönliche Entdeckungen, Genuss und Entspannung – egal, was alle anderen davon halten?

Wichtig sind auf Instagram, neben den Fotos mit den eigentlichen Motiven, die „Selfies“ von der Aussichtsplattform des Burj Khalifa in Dubai oder aus einer Gondel in Venedig. Das Selfie-Gesicht ist zu einem globalen Phänomen geworden. Mit diesem ganz bestimmten Gesichtsausdruck, den ein Mensch sich für ein Selbstporträt zugelegt hat, drückt er aus, wie er wahrgenommen werden möchte. Auf Reisen am besten glücklich.

Doch zwischen Oktober 2011 und November 2017 sind mindestens 259 Menschen gestorben, während oder weil sie ein Selfie geschossen hatten – das ergab eine Studie des „Journals of Family Medicine and Primary Care“. Besonders schockierend: Das sind mehr als fünf Mal so viele, als im selben Zeitraum bei Hai-Angriffen ums Leben kamen (nämlich 50). Bei den Verstorbenen habe es sich vor allem um 20- bis 29-Jährige gehandelt, dicht gefolgt von der Altersgruppe der 10 bis 19-Jährigen.

Insbesondere Millennials lassen sich bei ihren Reisezielen von Instagram, aber auch Pinterest inspirieren. Kaum verwunderlich, dass sich inzwischen regelrechte „Insta-Spots“ entwickelt haben – Reiseziele, die von fotowütigen „Instagramern“ nur so überlaufen sind. Es sind beeindruckende Panoramen, die sich oftmals hinter mit dem Rücken der zur Kamera gewandten Instagram-Nutzern erstrecken. Was die meisten Fotos nicht zeigen, sind die langen Warteschlangen, die sich an vielen dieser heißbegehrten „Spots“ mittlerweile entwickelt haben. Klar ist somit: Gerade, wenn es um Instagram geht, ist nicht immer alles authentisch und real.

Der Pedra do Telégrafo ist ein beliebter Aussichtspunkt im brasilianischen Rio de Janeiro. Auf Instagram findet man Hunderte Fotos von Menschen, die auf dem Felsvorsprung waghalsige Kunststücke für einen Schnappschuss machen. Doch während es so aussieht, als würde es unter dem Fels, auf dem die Reisenden posieren, Hunderte Meter in die Tiefe gehen, befindet sich tatsächlich knapp unter dem Plateau Erdboden. Nur der richtige Winkel sorgt dabei für den beeindruckenden Effekt.

Instagram scheint ein Ort zu sein, an dem Individualität in Massenproduktion existiert

Neben Delia Matache waren bei den „Elle New Media Awards“ auch tatsächliche Reise-Blogger nominiert: „aventurescu“, „alexandrudrg“, „dailytravelpill“, „ipiripinapa“, „world
travel.bug“ und „ioanacu“. Von diesen überzeugt aller-dings lediglich Alexandru Dr²gan (alexandrudrg) mit oft atemberaubend schönen Aufnahmen aus Rumänien, während sich die übrigen Nominierten in die belanglose Mittelmäßigkeit der Travel-Accounts auf Instagram einreiht, welche von Beliebigkeit und fehlender Inspiration geprägt sind.

Bis es die paradiesischen Orte in den „Lonely Planet“ oder „Stefan Loose“ schafften, vergingen oft mehrere Jahre. Heute dagegen ist das Smartphone stets griffbereit und ein Internetanschluss in jedem Hostel verfügbar. Oft reicht ein einziger inszenierter Post eines angesagten Influencers mit Tausenden Abonnenten, um bislang stille Ecken gleichsam über Nacht an die Spitze der Liste „Most instagrammable places of the World“ zu katapultieren.

Als ein italienischer Blogger im Jahr 2017 einen Post über das Verzascatal in der Schweiz veröffentlichte, erlebte das Tessiner Tal eine kaum zu bewältigende Besucherwelle. Lokale Medien berichteten von kilometerlangen Staus, wild parkenden Fahrzeugen und Abfallbergen. Anwohner waren genervt.

Gleichwohl gibt es auch abseits der Instagram-Konformität interessante Accounts. Als „raidenbucharest“ zeigt Cristi Radu interessante Einblicke in die rumänische Hauptstadt und liefert mit kurzen Texten auch gleich noch Hintergrundwissen zu Bauwerken oder Stadtvierteln. Zusammen mit Alex F²sui kuratiert Radu auch den Account „typography.bucharest“, wo beide die Gestaltung von Schildern und Schriftzügen dokumentieren. Und die URBANICA Group zeigt auf dem Account „socialistmodernism“ das bauhistorische Erbe der Warschauer-Pakt-Staaten der Jahre 1955 bis 1991.


New York City ist der Instagram-Hotspot

Auf Instagram werden täglich über 95 Millionen Bilder und Videos hochgeladen, die mit über einer Milliarde Nutzern geteilt werden. Was ist darauf zu sehen? Leckeres Essen, die eigenen Schuhe – kunstvoll in Szene gesetzt – und natürlich schöne und berühmte Orte. Dank der Geotagging-Funktion können Instagram-Bilder mit den geografischen Koordinaten versehen und von Instagram anschließend ausgewertet werden. Das Ergebnis ist ein ziemlich verlässliches Bild darüber, welche Orte als „cool“ empfunden werden. Denn nicht selten geht es darum, sich möglichst gut in Szene zu setzen, um den Neid der Daheimgebliebenen anzustacheln. Zu den beliebtesten Orten gehören der Central Park und der Times Square in New York City sowie der Eiffelturm in Paris.

Fotos nur mit langer Wartezeit

Instagram bietet Reiseinspirationen, ermöglicht Tipps für die besten Restaurants und zeigt durch Geo-angaben die schönsten Orte für Sonnenuntergänge – ein kleiner Reise-Guide im Hosentaschenformat. Doch mittlerweile werden viele Orte nicht mehr wegen ihrer kulturellen Besonderheiten besucht, sondern aufgrund der „Instagramability“. Das Problem: Auf der Jagd nach dem perfekten Foto gehen viele der ehemals einzigartigen Orte unter den Touristenmassen zu Grunde. Wer dem Hashtag #trolltunga folgt, um die scheinbar endlose Einsamkeit der Natur rund um die spektakuläre Felsformation einmal mit eigenen Augen zu sehen, wird vor Ort schnell eines Besseren belehrt. Obwohl viele Bilder absolute Einsamkeit rund um den spektakulären Felsvorsprung suggerieren, bilden sich häufig schon morgens lange Menschenschlangen hinauf zur „Trollzunge“. Das perfekte Foto vor dem Abgrund? Das will hier natürlich jeder haben. Hinzu kommt, dass die Instagram-Wut schnell gefährlich werden kann: Immer wieder verunglücken leichtsinnige und schlecht ausgerüstete Touristen bei der Jagd nach dem perfekten Selfie schwer.

Reise planen mit Pinterest

Pinterest hat mittlerweile über 300 Millionen aktive Nutzer weltweit und ist vor allem bei Frauen beliebt. Doch anders als Instagram ist die Plattform viel mehr als eine visuelle Suchmaschine. Die veröffentlichten Bilder können andere Nutzer kommentieren und auch auf ihrer eigenen Pinnwand teilen. Ziel von Pinterest ist der Austausch der Nutzer über ihre Interessen oder Hobbys. Und die Plattform zeigt nicht nur hübsche Bilder und Infografiken, sondern liefert auch gleich Informationen, Tipps und wertvolle Hinweise. Gerade zum Planen oder Entdecken von Reisezielen, Reisetipps und passenden Unterkünften ist Pinterest äußert beliebt.