Via carpatica – ein Weitwanderweg durch die Karpaten

Warum können die Karpaten nicht vom stark wachsenden Markt „Wandertourismus“ profitieren?

Jede Menge traumhafte Natur – aber nicht immer sind die Wege so gut ausgeschildert wie hier...

Wandern im Raum Vatra Dornei | Fotos: Günther Krämer

Im August 2007 ist ein alter Traum in Erfüllung gegangen: Zu Fuß von Ulm am Fuß der Schwäbischen Alb nach Czernowitz/Cernăuți in der Bukowina/ Ukraine zu wandern. Nach 111 Wandertagen und rund 2000 Kilometern haben wir zusammen mit Wanderfreundinnen und -freunden die immer noch beeindruckende Stadt Czernowitz erreicht – und entdeckten auf dem Weg in den Osten in den Karpaten wahre Wanderparadiese. Mit dieser Einschätzung sind wir nicht allein, denn auf die Frage des Trekking-Magazins nach ihrem Geheimtipp für das Wandern in Europa antwortete Lis Nielsen, die frühere dänische Präsidentin der Europäischen Wandervereinigung: Die rumänischen Karpaten! Wir stimmen Frau Nielsen ohne Einschränkung zu, denn wir sind von der Ukraine weitergewandert nach Rumänien, und unsere Wandergäste, die wir seit rund 20 Jahren durch die Karpaten führen, sind ausnahmslos begeistert von den Traumpfaden durch Blumenwiesen, von den Begegnungen mit den Bauern, Hirten, Kindern, Alten, von der herzlichen Gastfreundschaft und nicht zuletzt vom kulturellen Reichtum der Karpaten. Aber…

Es gibt für nur für Tschechien, Polen und die Slowakei flächendeckend sehr gute und laufend aktualisierte Wanderkarten, digital und auf Papier, sowie perfekte Wegmarkierungen und Wegweiser, wobei die Markierungen in Karte und Landschaft exakt übereinstimmen. In den Wald-, Ost- und Südkarpaten finden sich durchgehende Markierungen hauptsächlich auf den Gebirgskämmen, meist ohne Anbindung an Versorgungs- und Übernachtungsmöglichkeiten. Immerhin wächst in letzter Zeit in der Ukraine und in Rumänien das Angebot an markierten Wegen und Karten im geeigneten Maßstab. Beide Karpatenländer bieten landschaftliche und kulturelle Höhepunkte, von den grandiosen Ausblicken über die blumenreichen Hochweiden bis zu den UNESCO-Welterbe-Kirchen der Maramuresch und der Bukowina. Aber wir treffen außerhalb der Touristenzentren um Kronstadt/Brașov und Hermannstadt/Sibiu nur wenige Wanderer.

Warum können die Karpaten nicht vom stark wachsenden Markt „Wandertourismus“ profitieren? Nur in der Hohen Tatra, um Kronstadt und im Fogaraschgebirge ist Wandern ein Wirtschaftsfaktor mit nennenswerter Wertschöpfung, wenn auch mit geringer Auslastung im Jahresschnitt. Den Kampf um die Kunden, vor allem der zahlungskräftigen aus Mitteleuropa und den Ballungsräumen, gewinnen wenige traditionell starke Destinationen. Der große Rest der Karpaten geht weitgehend leer aus.

Die aktuellen Rumänien-Angebote der gängigen Reiseveranstalter für Wanderreisen nach Rumänien verdienen mit wenigen Ausnahmen diese Bezeichnung nicht: Meist sind es Busrundreisen mit täglichen Fahrtstrecken bis zu 300 Kilometern, Besuch einer Weltkulturerbestätte, kurzer Spaziergang, vielleicht etwas Folklore – und wieder weg. Alles andere als Wert schöpfend und nachhaltig!

Die Idee der Via carpatica

Vor diesem Hintergrund haben nach der Jahrtausendwende etwa gleichzeitig das Institut für sozialwissenschaftliche Forschung in München unter Joachim Jaudas (seit 2005, veröffentlicht z. B. in der Karpatenrundschau im Nov. 2009), die Lustwandeln GbR aus Ulm (im Internet seit 2001, als Via carpatica seit 2005) und der Verein Ostwind e.V. (seit 1995) Konzepte zur nachhaltigen Regionalentwicklung durch sanften Wandertourismus unter dem Begriff „Via carpatica“ entwickelt und publiziert. Olga Kusewytsch bearbeitete 2008 in ihrer Tourismus-Diplomarbeit die ukrainischen Waldkarpaten. Die Akteure versuchten über zehn Jahre lang Gemeinden, Kreise, Tourismusämter, Vereine und bekannte Privatpersonen für das Projekt Via carpatica zu gewinnen. Leider bisher vergeblich. 

Nachdem Ende 2010 die EU-Donaustrategie verkündet wurde, überschlugen sich die Ereignisse: Interreg-Programme, transnationale Projekte mit Norwegen und der Schweiz, WWF-Projekte und die Karpatenkonvention. Die Naturfreunde Internationale, Universitäten und zuletzt auch der Siebenbürgische Karpatenverein und die Europäische Wandervereinigung erarbeiten Konzepte und erkunden nochmals die längst bekannten Wege. Eine praktische Umsetzung steht jedoch noch aus. So sind z. B. in Rumänien die offiziellen Tourismusinstitutionen davon überzeugt, dass sie alles richtig machen. Und die Regierenden reagieren anscheinend nur, wenn größere Summen in ihre eigenen Taschen wandern.

In der Banater Zeitung vom 8.11.2016 beschrieb Dr. Dan Cărămidariu die traurige touristische Bilanz Rumäniens: Rumänische Touristen gaben von Januar bis August 2016 200 Mrd. Euro mehr im Ausland aus als ausländische Touristen in Rumänien ausgaben. Das heißt, die Tourismusbranche Rumäniens arbeitet defizitär – und das, obwohl Rumänien ein herausragendes landschaftliches und kulturelles Potenzial besitzt. Dabei wächst der Tourismusmarkt weltweit stark, mit einem noch stärker wachsenden Anteil des Wandertourismus. Warum kann Rumänien daran nicht teilhaben? Dr. Cărămidariu gibt einige richtige Antworten: Mängel in der Infrastruktur (Eisenbahn!), schlechte Vermarktung, mangelndes Angebot – und bis heute hat sich kaum etwas geändert! 

Die Realität

Von Jahr zu Jahr verbuschen mehr Wiesen und Weiden, schöne, regionaltypische Karpatenhäuser verfallen, dafür stehen überall moderne Bausünden herum, finanziert mit im Ausland verdientem Geld. In abgelegenen Siedlungen leben nur noch alte Menschen. Junge Familien sieht man vorwiegend im Urlaubsmonat August. Das traditionell dichte Fußwegesystem der Ortsverbindungen, Almwege, Forstwege und Karrenwege wächst allmählich zu.

Der Geograph Prof. Werner Bätzing (Bern, Erlangen) hat dieselben Entwicklungen in der Kulturlandschaft der Alpen seit den 1980er Jahren dokumentiert und in einer Streitschrift zusammengefasst. Fazit: Die Alpen zwischen Wildnis und Freizeitpark.

Beinahe eins zu eins lassen sich die Argumente auf die Ost- und Waldkarpaten übertragen: Als periphere Gebiete sind sie ebenfalls von Abwanderung und Überalterung der Bevölkerung betroffen. In der Folge wird allmählich die traditionelle Landnutzung aufgegeben, die Landschaft verändert sich, sie wird dunkel, unzugänglich und verschließt sich dem Menschen. Immer mehr Häuser stehen leer. Nur in den Ferien kehren die Abgewanderten zurück, für vier Wochen leben die Dörfer auf, nebenbei wird an halbfertigen stillos hässlichen Neubauten weitergewerkelt. 

Zukunftschance: Nachhaltige Regionalentwicklung

Was bedeutet dies für die Karpaten? Der Begriff Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft und bedeutet, dass nicht mehr Holz geschlagen wird als in derselben Zeit an Holzmasse nachwächst. Er bedeutet nicht, dass für einen gefällten Baum ein junger gepflanzt wird! Übertragen auf die Regionalentwicklung bedeutet dies ein Zusammenwirken von Ökologie, Ökonomie und sozialen Aspekten.

Ökologisches Fundament: Klimaschutz durch ausgeglichene CO2-Bilanz, Stabilität durch Artenreichtum, an die natürlichen Voraussetzungen angepasste Nutzung, Schonung der natürlichen Ressourcen, aber auch Reparatur der Schäden durch früheren Raubbau.

Ökonomischer Erfolg: Wirtschaftliche Entwicklung durch regionale Versorgungsstrukturen, Klein- und Mittelbetriebe auf Familienbasis, Diversifizierung von Produkten und Dienstleistungen und durch eine Landbewirtschaftung, welche die attraktive Kulturlandschaft erhält und gleichzeitig hochwertige Produkte liefert. Für die Leistungen der Bauern und Hirten in der klimatisch benachteiligten Bergregion muss ein finanzieller Ausgleich durch den Staat oder die EU erfolgen, wie ihn Dacian Cioloș in seiner Zeit als EU-Agrarkommissar gefordert hat. 

Soziale Gerechtigkeit: Die Unterschiede bei Einkommen und Renten sind auf ein für alle tragbares Maß zu verringern. Mobilität, Zugang zu Medien und Bildung sind für alle Mitglieder der Dorfgemeinschaft zu ermöglichen, d.h. die Verbesserung der Infrastruktur muss allen nützen.

Sanfter Tourismus

Der österreichische Zukunftsforscher Robert Jungk formulierte schon 1980 in der Zeitschrift GEO die Gegensätze zwischen hartem und sanftem Tourismus: Sanfter Tourismus nützt gleichermaßen den Reisenden und den Bereisten!  

Nach dem Schweizer Geographen Jost Krippendorf  bilden nicht die mit viel Material- und Kapitalaufwand errichteten Tourismuseinrichtungen die Hauptattraktionen des Tourismus, sondern die landschaftlichen Reize. Der Erlebniswert der Landschaft ist entscheidend. Fremdenverkehrsunternehmen überschätzen sich. Sie sind in den Augen des Touristen nur Mittel zum Zweck, man nimmt ihre Leistungen nur in Anspruch, um Natur und Landschaft besser konsumieren zu können.

Schon im Jahr 1805 hat Johann Gottfried Seume postuliert:

Wer geht, sieht mehr, als wer fährt ...
Wer zuviel fährt, kann nicht recht auf die Beine kommen ...
Sowie man im Wagen sitzt, entfernt man sich von der ursprünglichen Humanität ...
Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft ...

Das neue Wandern, wie es der deutsche Bestsellerautor und Medienprofi Manuel Andrack propagiert, verbindet Landschafts- und Kulturgenuss mit angenehmen und spannenden Erlebnissen. Die Forschungen des Deutschen Wanderinstituts ergaben, dass Wanderer heutzutage hohe Qualitätsansprüche stellen: Naturpfade, Wegmarkierungen und Wegweiser, schöne Landschaften mit viel Natur, spannende Erlebnispunkte und regionale Kultur genießen, nicht unter Lärm oder Verkehr leiden, keinen schweren Rucksack tragen, eher Ein- bis maximal Dreitageswanderungen oder Rundwanderungen unternehmen. Daraus wurden die Premiumwanderwege entwickelt, Premiumwege sind die Renner auf dem stark wachsenden europäischen Wandermarkt!  

Trotz verschiedener Anregungen und Ansätze gibt es bisher in der traumhaft schönen Wanderlandschaft der Karpaten keinen einzigen zertifizierten Premiumweg – und Wanderer bilden nur eine kleine Gruppe innerhalb der Karpatenurlauber. Ein Manko lässt sich kurzfristig nicht beseitigen: Die sanfte Anreise der zahlungskräftigen Touristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit der Eisenbahn ist derzeit nicht zumutbar. Die Bahnreise von Wien in die Karpaten dauert bei miserabelster Reisequalität östlich von Budapest länger als zu Zeiten des Kaisers Franz Joseph. 


Wer trotz aller Unzulänglichkeiten nach den Regeln des Sanften Tourismus in den Karpaten wandern will, auf längeren Streckenwanderungen oder auch auf kurzen Teilstrecken, hat nun eine Hilfe zur Hand: Wir haben unsere Erfahrungen von über 20 Jahren Karpatenwandern zwischen der Donau bei Bratislava und der Donau am Eisernen Tor mit einigen Hundert Wandergästen in einer Internetseite www.karpatenwandern.eu zusammengestellt. Im Unterschied zu den Wegprojekten der Wanderverbände hielten wir uns nicht unbedingt an die Wegmarkierungen auf dem Gebirgskamm. Wandern ist nicht nur eine abenteuerliche Freizeitbeschäftigung für kräftige junge Menschen, sondern auch für Kinder und Ältere. Also Wandern mit möglichst leichtem Gepäck, mit Unterkunft auf Hütten oder in den Dörfern im Tal. Für jede Tagesetappe wurden Kartenausschnitte mit eingezeichneter Route, GPS- und Google-Earth-Daten, eine kurze Streckenbeschreibung sowie hilfreiche Links eingefügt. So ist eine individuelle Wanderreise in die Karpaten für alle Wanderer leicht zu planen. Wunderbare Wandererlebnisse sind garantiert!