Wilde Reiter vor den Toren Europas

ADZ-Serie Geschichte Siebenbürgens – Teil 1/5 : Hintergründe und Folgen der Mongoleninvasion von 1241-1242

Rettete der unerwartete Tod von Ögodei Khan Europa vor mongolischer Herrschaft?
Fotos: Wikimedia Commons

1241 fielen die Mongolen in Siebenbürgen ein. Nach einem blutigen Gemetzel im damals deutschen Grenzstädchen Rodna/Rodenau legten sie eine furchtbare Spur der Verwüstung. Ihr nächstes Ziel: die ungarischen Tiefebenen. Fünf Pferde musste ein mongolischer Krieger auf einem Feldzug unterhalten. Das Grasland zu erreichen war unerlässlich dafür. Doch was hatte die Mongolen zu ihrem Europa-Feldzug veranlasst? Was war ihr eigentliches Ziel? Und warum traten sie nach nur einem Jahr überraschend den Rückzug an, nicht ohne eine ebenso blutige Spur der Verwüstung zu hinterlassen? 

Kein Zweifel besteht über die schrecklichen Folgen der Mongolenüberfälle in Siebenbürgen: weitreichende Zerstörungen, gebrandschatzte Dörfer und Städte, unzählige Tote oder Gefangene, die auf dem Sklavenmarkt verkauft wurden, Entvölkerung ganzer Landstriche… Aber hatte der erste Mongolenüberfall von 1241-1242 auf Siebenbürgen auch einen positiven Effekt? Eine gewagte Frage. 

Historiker sind sich zumindest einig, was den positiven Effekt der „Pax Mongolica“ betrifft: Rund 200 Jahre lang sicherte sie in den von den Mongolen verwalteten Territorien der heutigen Russo-Ukrainischen Gebiete östlich des Flusses Pruth Frieden, Ordnung und freien Handel. Die Wissenschaftler haben jedoch Schwierigkeiten, ähnliche Auswirkungen auf das ungarische Königreich festzustellen, dessen östlichste Provinz Siebenbürgen damals war, so der Historiker Rüdiger von Kraus, Autor der spannenden fünfteiligen Serie. 


Blitzkrieg und Rückzug

Eine schnelle Erklärung dafür wäre das kurze Verweilen der Mongolen: Sie blieben nur ungefähr ein Jahr, vom 31. März 1241 bis irgendwann im Frühling 1242. Ursache für den raschen Rückzug war der unerwartete Tod des Großen Khans Ögedei im Dezember 1241, Vater dreier Söhne, die die Ansätze der Invasion Ungarns damals leiteten. Alle drei wetteiferten um die Nachfolge - ein Problem, das nur in der heimischen Hauptstadt Karakorum entschieden werden konnte. 

Ohnehin ist Verweilen wahrscheinlich das falsche Wort, da die Mongolen Siebenbürgen nur durchzogen, um in die Tiefebenen Ungarns zu gelangen. Denn ausgedehnte Wiesen wie die große Tiefebene Nagyalföld waren unverzichtbare Schlüsselressourcen für eine Armee, in der jeder Kämpfer fünf Pferde unterhalten musste, die für die schnellen Angriffe erforderlich waren, eine Taktik, die Jahrhunderte später „Blitzkrieg“ genannt werden sollte. Nur die Pannonischen Ebenen Ungarns lieferten das nötige Futter in Hülle und Fülle, nicht aber das Siebenbürgische Hochland.

Gab es positive Folgen? 

Angesichts des vorübergehenden Wertes, den Siebenbürgen für die Mongolen hatte - ein Gebiet, in dem zehntausende Soldaten plündern mussten, um sich durchzubringen - wäre es unrealistisch, unmittelbare Vorteile der Invasion zu erwarten. Man würde jedoch annehmen, dass längerfristige positive Effekte hätten registriert werden können, von denen sich einige identifizieren lassen, wenn auch trotzdem mit negativen Konnotationen. Diese beruhen auf der Grundlage folgender Annahmen:

- Erstens erforderte die Zerstörung von Häusern und Gebäuden einen umfassenden Wiederaufbau. In Fällen, in denen die Zerstörung zu groß war, könnten neue, möglicherweise umgesiedelte Gemeinschaften entstanden sein. 

- Zweitens sind sich die meisten Historiker, wenn nicht sogar alle, darin einig, dass die mongolischen Verwüstungen neben der Tötung von Menschen auch die Gefangennahme zur eigenen Verwendung als Sklaven oder zum Verkauf beinhalteten. Eine solche weitreichende Entvölkerung erforderte das Beibringen neuer Siedler aus anderen Gebieten Europas, die höchst-wahrscheinlich auch neue Techniken und Methoden für die Landwirtschaft, das Handwerk und den Handel mit sich brachten. 

- Drittens wurden solche Bemühungen möglicher-weise von Herrschern und Kirche unterstützt, die verschiedene Anreize lieferten, etwa die Befreiungen von Steuern und Zöllen, die in friedlichen Zeiten erhoben wurden. 

- Viertens könnte es positive Effekte gegeben haben, die aus der „Pax Mongolica“ resultieren: Eine Erleichterung des Handels in den von den Mongolen eroberten Gebieten hätte auch Europa, einschließlich Siebenbürgen, zugute kommen sollen.

Vorboten der Eroberung

Für die meisten Europäer wurden die Mongolen erst ein Begriff, als sie begannen, an die Tore Europas zu klopfen. Eines der ersten Gebiete, das sich mit den vorrückenden Horden konfrontiert sah, war Magna Hungaria nördlich des Kaspischen Meeres, das direkt an der Grenze zu Asien gelegene Ursprungsland der frühen Magyaren, das von den heutigen Ungarn als ihre angestammte Heimat beansprucht wird.

Eine Gruppe von Dominikanermönchen unter der Leitung von Bruder Julian, die nach Magna Hungaria ausgesandt worden waren, um diese „Verwandten“ zum Christentum zu bekehren, kehrte 1237 zurück und warnte den König vor dem mongolischen Vormarsch. Daraufhin schickte der ungarische König Bela IV. Bruder Julian erneut zurück, um die Absichten der Mongolen auszukundschaften. Dieser kehrte seinerseits mit dem Ultimatum von Batu Khan wieder... 

Anspruch auf Kumanen-Flüchtlinge

Batu Khan war der mongolische Herrscher des westlichsten Territoriums der Mongolen, das aus Rus, dem mittelalterlichen, von den Wikingern gegründeten Kiewer Reich (Rus wurde später die Wurzel für Russen und Russland), Wolga Bulgarien, Cumania und dem Kaukasus bestand. Ab 1242 bezeichnet die Nowgorod-Chronik Batu dann nicht mehr nur als Khan, sondern auch als Zar, was auf eine vereinigte Herrschaft über die vielen kriegführenden Fürstenfamilien Russlands verweist. 

Zum Ultimatum von Batu Khan kam es durch eine von Köten Khan angeführte Splittergruppe der Kumanen: Köten war mit diesen zu Bela IV., dem König von Ungarn, geflohen, nachdem Cumania von Batu Khan überrannt worden war. Batu Khan hatte dabei Kumanen gefangen genommen, die er als Sklaven hielt oder bis nach Ägypten verkaufte. Als neuer Meister des Kumanen-Territoriums glaubte er, dasselbe mit den angeblich 40.000 Kumanen von Köten Khan tun zu können, die in Ungarn Zuflucht gefunden hatten. Die Weigerung von König Bela, diese auszuliefern, mag die Mongolen sehr verärgert haben. Genug, um den Überfall zu motivieren! Obwohl dahinter sicher viel mehr steckte als nur die Frage der Flüchtlinge... 

Hintergründe mongolischer Eroberungswut

Um die mongolischen Eroberungsfeldzüge zu verstehen, müssen wir noch ein Stück weiter in der Zeit zurückreisen, zum Tod von Dschingis Khan, dem Vater von Ögedei Khan, im Jahr 1227. Alle vier Söhne von Dschingis Khan - Jochi, Chagatai, Ögodei und Tolui - fühlten sich in der Pflicht, das vom Vater zurückgelassene Imperium nach vorgelebtem Beispiel zu erweitern. Toliu verwaltete das Reich zwei Jahre lang, gefolgt von Ögodei. 
Die Enkel von Dschingis Khan (Jochis Söhne Batu und Orda, Ögodeis Söhne Guyuk und Kadan sowie Chagatais Sohn Baidar) setzten 1241 die längst zur Familientradition gewordene Erweiterung des Imperiums, die Dschingis Khan begonnen hatte, fort. Die neue Front gab ihnen Gelegenheit, ihre Führungsqualitäten zu beweisen und zu versuchen, sich in eine gute Position zu drängen, um eines Tages die Nachfolge von Ögodei, dem alternden Großkhan, zu übernehmen. Die Kriegsführung war ihnen längst zur zweiten Natur geworden. Ungarns Grasland war das natürliche nächste Ziel auf dem Weg in Richtung Westen. Aber um zu verstehen, wie die Enkel überhaupt so weit gekommen waren, muss man diesen außergewöhnlichen Drang eurasischer Vorherrschaft an ihrer Wurzel beleuchten: bei Dschingis Khan.

Einleitung und redaktionelle Anpassung: Nina May

Die fünfteilige Serie „Geschichte Siebenbürgens: Hintergründe und Folgen der Mongoleninvasion von 1241-1242“ erscheint wöchentlich jeden Freitag.

Teil 2 finden Sie hier.


Kuriose Folgen der Türken- und Tatarenüberfälle im Laufe der Zeit

Das Mädchen und der Türkenschatz

Ein 17-jähriges sächsisches Mädchen namens Anna fand 1847 in Bogeschdorf/B˛gaciu beim Umgraben des väterlichen Weinbergs eine hölzerne Kiste. Die Tagelöhner fürchteten, es sei ein Sarg und gaben erschrocken Fersengeld. Doch benachrichtigten sie Annas Vater, der einen Ochsenkarren schickte. 

Kurz darauf  sprach der Vater beim Dorfreichsten vor und bot seine Tochter dreist als Braut! Anna galt nicht gerade als gute Partie, die Familie wohnte nur am Dorfrand... Doch der Vater legte als Überzeugung ein paar Goldmünzen auf den Tisch und versprach bei jeder Geburt eines Kindes zehn weitere Kilo Gold. So heiratete die arme Anna den reichen Daniel Haller. Vier Generationen Söhne entsprangen dem Paar und die Familie brachte es zu großem Ansehen im Dorf. 

Was in der Kiste gewesen war? 62 Kilogramm Gold – Münzen, Kirchengefäße und Schmuck, wahrscheinlich die vergrabene Beute einer plündernden Türkenkohorte, so der Erzähler dieser teilweise historisch belegten Geschichte, ein Nachfahre der Familie Haller.

Vom Sklaven zum Orient-Experten

Als die Osmanen 1438 Mühlbach/Sebe{ belagerten, versprachen sie den Bürgern im Gegenzug zur Aufgabe der Stadt das Leben. Ein erstaunliches Angebot, verdienten doch die begleitenden tatarischen Hilfsheere allein am Verkauf der anfallenden Sklaven. Einige Bewohner plädierten dafür, sich zu ergeben. Andere verschanzten sich im Studententurm der Stadtmauer,  doch als die Angreifer an der Basis Feuer legten, fielen sie ihnen doch in die Hände.  

Unter ihnen war ein Student, der auf dem Sklavenmarkt in Edirne verkauft wurde und in den folgenden 20 Jahren achtmal den Besitzer wechselte, bis er an einen ihm wohlgesonnenen Herrn gelangte. Dieser nahm ihm das Versprechen ab, an einer Universität de Islam zu studieren und dann zu ihm zurückzukehren. Er verschaffte ihm ein Dokument und ließ ihn frei. Der Sklave aber dachte nicht daran, sein Versprechen zu erfüllen, und flüchtete in ein Kloster nach Rom. Dort schrieb er als Frater Georgius ein vielbeachtetes Werk über die Sitten und Gebräuche der Osmanen, über die man damals kaum Kenntnis hatte.

Eine seltsame Lawine 

Auf dem Prislop-Pass zwischen der Bukowina und der Maramuresch erzählt man im dortigen Kloster die folgende Geschichte, wie man 1717 die Tataren vertrieben haben will. Ein Pfarrer organisierte den Hinterhalt und hatte eine geniale Idee: Mittels eines ausgeklügelten Systems wurden Baumstämme auf dem Berghang aufgetürmt und mit Seilen befestigt, die man auf Kommando durchschlagen konnte. In einer gigantischen Holzlawine rollten diese dann auf die bergauf reitenden Angreiferhorden zu. So schnell konnte sich bestimmt kein Pferd in Sicherheit bringen!